Vortrag bei re:publica23: Wie eine starke deutsche Plattformaufsicht aussehen sollte

SNV in den Medien

DSA, DSC, KDD? SNV-Projektleiter Julian Jaursch hat bei seinem Vortrag auf der re:publica23 versucht, das Abkürzungswirrwarr bei der deutschen Plattformregulierung etwas aufzuklären. In rund 15 Minuten lieferte er einen groben Überblick zum neuen EU-Regelwerk zu Onlineplattformen (dem „Digital Services Act“ – DSA) und den nationalen Behörden der Mitgliedstaaten, die für dessen Umsetzung mitverantwortlich sind (den „Digital Services Coordinators“ – DSC). Zum Zeitpunkt des Vortrags war noch nicht offiziell festgelegt, wer in Deutschland dieser DSC sein wird. Möglicherweise entsteht dafür eine „Koordinierungsstelle für digitale Dienste“ (KDD) bei der Bundesnetzagentur in Bonn. Wie diese aufgebaut sein sollte, um nicht nur die wichtigen Koordinations-, sondern auch Aufsichtsaufgaben zu übernehmen, hat Julian in seinem Vortrag ebenfalls behandelt. 

 

Unter dem Video finden Sie das Transkript des Vortrags, weitere Quellen dazu sowie Einschätzungen zu den spannenden Fragen, die aus dem Publikum kamen. 

 

Kernpunkte des Vortrags und der Diskussion 

  •  Der DSC macht mehr als nur Koordinieren: Ihm fallen wichtige Durchsetzungs- und Aufsichtsaufgaben zu. 
    • Beispiel Beschwerdestelle: Der DSC kann systemisches Versagen nur erkennen, wenn er ausreichend eigene Plattformexpertise aufbaut und zentrale Sammelstelle für Beschwerden der Verbraucher:innen ist. 
    • Beispiel Datenzugang: Ohne eigene Expertise und ein eigenes Netzwerk wird es dem DSC nur schwer möglich sein, Datenanalysen durchzuführen und Datenanfragen zu bearbeiten. 
    • Es ist daher sinnvoll, Kompetenzen für die Plattformaufsicht beim DSC zu bündeln und die Liste der nebenher für den DSA zuständigen Behörden möglichst kurz zu halten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Plattformaufsicht zersplittert. Der DSC wäre dann nicht mehr als ein Sekretariat, das kaum in der Lage wäre, Aufsichtsaufgaben selbst zu übernehmen. 
  •  Der Text des DSA und die praktischen Anforderungen bedingen, dass der DSC externe Expertise einholt. 
    • Ein Beirat kann dafür passend sein, wenn er neben anderen Austauschformaten besteht, als Fachgremium wirken kann und die Besetzung inhaltlich und nicht politisch getrieben ist. 
    • Eine Forschungseinheit beim DSC, die selbst forscht und ein Netzwerk mit Fachleuten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft aufbaut, könnte dabei helfen, Plattformexpertise aufzubauen und somit den DSC in die Lage versetzen, sich auf EU-Ebene einzubringen. 

 

Video 

 

 

 

 

Transkript 

Das Transkript wurde leicht bearbeitet, um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten. 

 

Hallo und herzlich Willkommen zum Talk „Deutschland sucht den Digital Services Coordinator“. 

 

Dieser „Digital Services Coordinator“ ist eine neue Behörde, die in Deutschland entstehen soll, um EU-Regeln für Plattformen durchzusetzen. Dabei geht es um Transparenz für Werbung, Beschwerdewege und Risikominimierung. 

 

Das hört sich jetzt alles etwas trocken an: Behörde. Regulierung. Risikominimierung. Aber dieses Regelwerk der EU hat das Potenzial, viele von uns im Alltag zu berühren, weil viele von uns vermutlich Plattformen auf irgendeine Art und Weise benutzen: Suchmaschinen, Online-Marktplätze, Buchungsseiten, Foren, soziale Netzwerke. 

 

Das Ziel dieses Regelwerks ist es unter anderem, Grundrechte der Nutzenden zu schützen. Das kann aber nur funktionieren, wenn diese Regeln auch vernünftig durchgesetzt werden. Genau darum soll es jetzt gehen in den nächsten rund 15 Minuten. Ich werde erst kurz was zu diesen EU-Regeln selbst sagen, dann zu der Frage, wer sie auf EU-Ebene und in Deutschland durchsetzen soll und den Fokus ganz am Ende noch mal sehr speziell auf Deutschland legen. 

 

Mit diesen Fragen haben wir uns in der SNV beschäftigt. Die Stiftung Neue Verantwortung ist ein gemeinnütziger Think Tank. Wir arbeiten zu diversen digitalpolitischen Themen. Mein Name ist Julian Jaursch und ich bin in diesem Think Tank unter anderem mit einigen meiner Kolleg:innen für die Themen Plattformaufsicht und Plattformregulierung zuständig. Unsere Analysen und Vorschläge sind alle auf der Webseite öffentlich und kostenfrei verfügbar. Im Bereich Plattformaufsicht haben wir eigene Recherchen durchgeführt, haben mit vielen Leuten gesprochen, Fachinterviews geführt mit Leuten aus der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und haben eine Behördenbefragung durchgeführt. Basierend darauf würde ich gerne ein paar der Überlegungen, die wir angestellt haben, hier präsentieren. 

 

Der DSA im Überblick: EU-weites Regelwerk für Plattformen 

 

Ich starte mit dem Punkt zum EU-Regelwerk: Das ist der DSA, der „Digital Services Act“, also das Digitale-Dienste-Gesetz der EU. Dieser DSA ist ein Regelwerk für Onlineplattformen, das seit Ende 2022 in Kraft ist mit dem erklärten Ziel für uns Nutzende ein „transparentes und sicheres Onlineumfeld“ zu schaffen. 

 

Wie der DSA dieses Ziel gerne erreichen möchte ist, indem es Regeln aufstellt für Plattformen und damit eine Abkehr ist davon, Plattform Sachen alleine entscheiden zu lassen. Ein paar Beispiele dafür: Wie gehen Plattform damit um, welche Inhalte sie löschen, welche Inhalte sie gezielt anzeigen, welche Inhalte sie blockieren? Erklären Plattform ihre algorithmischen Empfehlungssysteme? Haben Plattformen Beschwerdewege für Nutzende? Das sind alles Fragen, die vor dem DSA in den allermeisten Fällen den Plattformen allein überlassen wurden: Es gab Selbstverpflichtungen, freiwillige Maßnahmen, manchmal gab es auch nationale Gesetze zu einzelnen Teilaspekten davon. Nach dem DSA soll es eben so sein, dass es ein EU-weites Regelwerk für solche und weitere Fragen gibt. Plattformen in der EU wird damit ein Rahmen vorgegeben und Mitgliedstaaten auch. 

 

Der DSA hat sicherlich Schwächen. Es gibt Themen, bei denen manche Leute gerne noch weitergegangen wären. Das Gesetz ist also nicht perfekt. Aber selbst wenn der DSA perfekt wäre, selbst wenn es perfekte Regeln gäbe – die besten Regeln bringen ja nichts, wenn sie nicht vernünftig durchgesetzt werden. 

 

DSA-Durchsetzung: Gemeinsame Verantwortung der Kommission und Mitgliedstaaten 

 

Damit kommen wir zum zweiten Teil und zur zweiten Frage, der Durchsetzung dieser neuen EU-Regeln. Da muss ganz grob unterschieden werden zwischen sehr großen Onlineplattformen, die im DSA erwähnt werden, und allen, die nicht als sehr groß gelten. Diese sehr großen Onlineplattform sind solche, die mindestens 45 Millionen Nutzende in der EU im Monat haben. Das sind bekannte Dienste wie Facebook, Instagram, TikTok, Wikimedia, Zalando, Booking und noch weitere, insgesamt 19 aktuell. 

Für diese sehr großen Onlineplattformen ist hauptsächlich die Europäische Kommission zuständig, um bei denen die Einhaltung des DSA zu überprüfen. Das ist eine relativ neue Aufgabe für die Kommission. Die Kommission ist bisher selten als tatsächliche Aufsichts- oder Durchsetzungsbehörde in Erscheinung getreten, denn das ist nicht ihre Rolle. Deshalb wird in Brüssel auch gerade ziemlich viel umstrukturiert, es werden neue Teams aufgestellt, es werden neue Leute gesucht. Die Kommission holt sich auch Unterstützung, unter anderem durch das Europäische Zentrum für algorithmische Transparenz. Das wurde im April in Sevilla eröffnet. Das ist eine Forschungseinrichtung, die dafür da ist, die Kommission bei der Durchsetzung für diese sehr großen Onlineplattformen zu unterstützen. 

 

Für die nicht sehr großen Onlineplattformen sind aber die Mitgliedstaaten zuständig, also jeweils der Mitgliedsstaat, in dem diese Plattform den Sitz hat. Das bedeutet in der Praxis: Die Mitgliedstaaten können durchaus mehrere Behörden benennen, die sich dann um die Durchsetzung der Regeln aus dem DSA kümmern. 

 

Diese Trennung, die ich jetzt hier aufgemacht habe, ist aber gar nicht so strikt. Denn es ist so, dass es durchaus auch Möglichkeiten gibt wie die Kommission und die Mitgliedstaaten Zusammenarbeiten. Erstens können die Mitgliedstaaten auch manchmal bei der Durchsetzung bei den sehr großen Onlineplattformen mithelfen. Zweitens sitzen die Kommission und die Mitgliedstaaten zusammen in einem neuen europäischen Gremium, dem Europäischen Gremium für digitale Dienste. Das ist ein Beratungsgremium, in dem sie eben auch zusammenarbeiten müssen. Da sitzen, wie gesagt, die Kommission und die Mitgliedstaaten. Hier kann aber aus den Mitgliedstaaten jeweils nur eine Behörde sitzen. Ich hatte ja eben gesagt, dass die Mitgliedstaaten durchaus mehrere Behörden benennen können. In diesem Fall, wenn sie in dem Gremium sitzen, kann es aber nur eine Behörde pro Mitgliedstaat sein. 

 

Das ist jetzt wahrscheinlich keine große Überraschung – das ist genau der besagte „Digital Services Coordinator“. Dieser Koordinator hat also die Aufgabe, die nationalen Behörden zu koordinieren, er hat die Aufgabe im Gremium zu sitzen, aber der Koordinator macht mehr als nur Koordinieren. Der Koordinator hat auch eine ganze Reihe von wichtigen Aufsichts- und Durchsetzungsaufgaben bekommen. Da würde ich gerne ein, zwei Beispiele liefern, um kurz zu zeigen, was der DSC genau machen muss. 

 

Der DSC für Nutzende: Zentrale Beschwerdestelle 

 

Für die Leute im Publikum, die Plattformen nutzen – seien es Suchmaschine, Onlinemarktplätze, was auch immer – ist der DSC ziemlich wichtig. Das Beispiel, das ich hier rausgepickt habe, um das zu zeigen, ist der DSC als eine Beschwerdestelle. Der DSA sieht auch vor, dass die Plattform selbst Beschwerdewege haben müssen. Aber was ist zum Beispiel, wenn genau diese internen Beschwerdewege nicht funktionieren? Dann können sich Verbraucher:innen an den DSC wenden. Was ist, wenn eine Buchungsplattform oder ein soziales Netzwerk die algorithmischen Empfehlungssysteme nicht gut erklärt? Dann können sich die Verbraucher:innen an den DSC wenden. 

 

Die deutsche Verbraucherschutzorganisation vzbv hat sehr stark betont, dass es hier wichtig ist, dass es eine zentrale Beschwerdestelle ist – damit Nutzende nicht von einer Behörde zur nächsten geschickt werden, damit sie zeitig Rückmeldung bekommen. Das bedeutet wiederum für mich, dass der Koordinator Expertise aufbauen muss zu unterschiedlichen Risiken auf unterschiedlichen Plattformen für unterschiedliche Gruppen von Menschen. Eine gewisse Spezialisierung und der Aufbau von Expertise beim DSC ist also wichtig. 

 

Der DSC für die Forschung: Eigene Analysen und Netzwerkaufgaben 

 

Für diejenigen, die Plattformen nicht nur nutzen, sondern auch zu Plattformen forschen, ist der Koordinator nochmal wichtiger und zwar, um diese viel zitierte „Blackbox“ algorithmischer Plattformen zu öffnen. 

 

Bislang war es so, dass, wenn Forschende Daten von Plattformen haben wollten, sie meistens auf den guten Willen der Plattformen angewiesen waren. Sie mussten bei der Plattform vorstellig werden, wenn sie zum Beispiel erforschen wollten: Wie verbreiten sich bestimmte Inhalte? Wie funktionieren die Empfehlungssysteme? Manchmal hat das funktioniert – es gibt ja Forschung zu Plattformen – aber in vielen Fällen hat das auch nicht funktioniert: Die Daten waren fehlerhaft oder nicht vollumfänglich, die Datenschnittstellen waren nicht gut, es war zu teuer, es gab irgendwie Schikane, wer welche Daten bekommen hat oder nicht. 

 

Deshalb war im DSA der Ansatz: Es muss einen gesetzlich verbrieften Zugang geben für Forschende zu Daten. Das steht grob im DSA, das wird auch noch verfeinert in weiteren Gesetzen – aber die tatsächliche Umsetzung des Ganzen liegt beim Koordinator. Die Kommission und die Koordinatoren können selbst Daten anfragen, aber nur die Koordinatoren sind auch dafür zuständig, dass Forschende, seien sie aus Unis oder aus der Zivilgesellschaft, Daten bei Plattformen anfragen können. Das heißt, auch hier ist es wieder sehr wichtig dass die Koordinatoren eine Expertise aufbauen, um Plattformrisiken zu verstehen, um solche Anträge bewerten zu können, um ein Netzwerk aufzubauen zu Wissenschaft und zu Zivilgesellschaft. 

 

Wenn diese ganzen Aufgaben jetzt einmal zusammengenommen werden, dann ergibt sich so eine Art Blaupause oder idealtypischer Koordinator. Das habe ich versucht, im Folgenden mal aufzuzeigen. 

 

Anforderungen an einen starken DSC: Kollaborativ, spezialisiert, vernetzt 

 

Der Koordinator muss kollaborativ sein. Das ist hauptsächlich diese Koordinierungsfunktion. Er muss die verschiedenen Behörden zusammenbringen und mit ihn im Austausch sein. Aber ich finde die Beispiele Datenzugang und Beschwerdestelle haben gerade auch gezeigt, dass er eine Expertise aufbauen muss. Es muss eine Art Spezialisierung für Plattformen, Plattformrisiken und Plattformgeschäftsmodelle beim Koordinator vorhanden sein, damit überhaupt die möglichen Vorteile für Nutzende und für Forschende genutzt werden können. Der letzte Teil ist die Vernetzung. Das ist nicht nur deshalb wichtig, weil es wortwörtlich so im DSA steht, dass der Koordinator sich vernetzen muss, sondern ist auch aus praktischen Gründen wichtig. Die Expertise kann nicht aufgebaut werden, wenn der Koordinator nicht mit externen Fachleuten im Austausch steht. 

 

Die Lage in Deutschland: Bündelung von Kompetenzen nötig 

 

Damit komme ich zum letzten Teil und zu der Frage: Wie sieht das denn jetzt hier in Deutschland aus? Und damit komme ich auch zur letzten Abkürzung für heute: KDD, die Koordinierungsstelle für digitale Dienste. Da muss ich leider ein sehr großes Sternchen dran machen, weil das alles noch nicht final ist. Es wird seit Monaten darüber diskutiert, wo der deutsche Koordinator entstehen soll, wie er entstehen soll, wie er aufgebaut sein soll. Dazu wird es einen Gesetzentwurf geben aus dem Digitalministerium und das wiederum wird dann im Bundestag debattiert, aber diesen Gesetzentwurf gibt es eben noch nicht offiziell. Das heißt, viele der Sachen, die jetzt kommen, sind eher Spekulation und dafür gedacht, dass vielleicht Leuten, die das später interessiert, auch eine Bewertung dieses Gesetzentwurfs oder zumindest der Berichterstattung dazu möglich sein soll. 

 

Ich werde mich jetzt daran versuchen, einige Prüfsteine aufzuzeigen für den deutschen Koordinator und wie das in Deutschland vielleicht gelingen kann und dazu noch mal auf die drei Bereiche von eben verweisen. 

 

Gerade in Deutschland ist es wichtig, den Koordinierungsaufwand möglichst gering zu halten. Das liegt auch daran, dass wir in Deutschland föderal organisiert sind. Es gibt auf der Landesebene und auf der Bundesebene viele Behörden, Anstalten und Gremien, die irgendwie mit Plattformen zu tun haben. Es war auch immer klar, dass es in Deutschland nicht nur eine einzige Stelle geben wird, die die Plattformaufsicht übernimmt. Aber hier sollte wirklich sichergestellt werden, dass möglichst viel beim Koordinator gebündelt wird und möglichst wenig Ausnahmen dafür entstehen, wenn der Koordinator nicht zuständig ist. Das Risiko, das ich sonst sehe, ist, dass vor lauter Koordinationsaufwand der Koordinator die ganzen anderen wichtigen Aufgaben, die ich vorgestellt habe, die den Nutzenden und der Forschung auch sehr helfen würden, dass die unter den Tisch fallen, dass er die nicht wahrnehmen kann. 

 

Der zweite Punkt zu Expertise: Da war wohl mal im Gespräch oder ist im Gespräch, ein Forschungsbudget beim deutschen Koordinator vorzusehen. Das halte ich für sehr sinnvoll, das wäre super, wenn so etwas käme. Ich würde sogar noch weitergehen und sagen, dass der Koordinator eine eigene Forschungs- oder Dateneinheit braucht, wo eben solche Datenanalysen durchgeführt werden können und wo der Kontakt zur Wissenschaft hergestellt werden kann. 

 

Zum letzten Punkt der Vernetzung: Da ist es wichtig, verschiedene Austauschformate zu haben, um die Zivilgesellschaft einzubinden. Das scheint auch der Wunsch der Gesetzgeber zu sein. Es gab Diskussionen dazu, einen Beirat beim Koordinator einzurichten. Auch das halte ich grundsätzlich für sinnvoll, wenn er eben neben anderen Austauschformaten besteht, um sich nicht nur auf dieses eine doch sehr starre Format eines Beirats zu verlassen. 

 

Was ich sonst noch als kleine Gefahr bei einem Beirat sehe, ist, dass es vielleicht nur so eine Art vorgetäuschte Einbindung von externer Expertise ist. Das ist leider nicht selten der Fall. Das Maecenata Institut hat eine Studie gemacht, in der sie sich alle Beiräte auf Bundesebene angeguckt haben und haben unter anderem drei Sachen festgestellt. Erstens: Die Zivilgesellschaft ist fast nie eingebunden. Zweitens: Die Transparenz dazu, wer in diesen Beiräten sitzt und was der Beirat machen darf, ist sehr gering. Drittens: Die Beiräte werden fast nie evaluiert. All das könnte der deutsche Koordinator besser machen. Er könnte von vornherein die Zivilgesellschaft mit einbeziehen, eine klare Rolle für den Beirat vorsehen und die Benennung so einrichten, dass sie auch wirklich inhaltlich und nicht politisch bedingt ist, und es könnte eine gesetzlich vorgeschriebene Evaluierung des Beirats vorgesehen werden. 

 

Langfristiger Blick: Eine eigenständige Plattformaufsicht in Deutschland 

 

Wenn man diese drei Punkte berücksichtigt – also eine starke Bündelung, ein guter Expertiseaufbau und eine Vernetzung mit einer echten Einbindung von Zivilgesellschaft – dann kann der Koordinator in Deutschland auch eine hoffentlich starke Rolle für uns als Plattformnutzende spielen. 

 

Ich persönlich würde sogar aber auch sagen – und da erlaube ich mir noch eine Bonusabkürzung – dass es langfristig sinnvoll wäre, eine wirklich eigenständige, unabhängige, spezialisierte neue Behörde aufzubauen: eine Digitale-Dienste-Agentur. 

 

Ich bin mir darüber im Klaren: Eine neue Behörde ist wirklich kein Allheilmittel. Das ist teuer, das dauert lange, das ist ein bürokratischer Aufwand. Aber gerade bei diesem Fall DSA ist es wirklich sinnvoll, darüber nachzudenken. Denn der DSA fordert sowieso eine unabhängige Plattformaufsicht und es ist eben nicht nur der DSA, der sich mit Plattformen, mit Datenschutz, mit Datenökonomie auseinandersetzt. Da ist noch eine ganze Reihe von deutschen und europäischen Vorhaben, die alle damit zu tun haben: das KI-Gesetz, die Verordnung zu politischer Werbung, die Reform der DSGVO. Da wäre es schon sinnvoll, wenn man sich mittel- oder langfristig darüber Gedanken macht, was die Vorteile so einer Digitalen-Dienste-Agentur sein können. 

 

Damit schließe ich erstmal, freue mich sehr auf Fragen, Kommentare und Kritik und danke schon mal sehr herzlich. 

 

Einschätzungen zu Publikumsfragen 

Konfliktfälle und Zentralisierung 

Mich würde interessieren, ob es innerhalb von Europa ein Vermittlungsverfahren gibt, falls sich die Behörden in Europa nicht ganz einig sind. Auch interessiert mich, wie du das einschätzt, ob die Zentralisierung in Deutschland bei einer Behörde sinnvoll ist, im Verhältnis zum wechselhaft effizienten Nebeneinander bei den Datenschutzaufsichtsbehörden. 

 

Zu dem ersten Punkt: Wenn die unterschiedlichen Koordinatoren aus den Mitgliedstaaten sich nicht einig sind, war mein Verständnis, dass das Gremium da eine Rolle spielt. Da gibt es einen Prozess, wie diese Behörden untereinander zu Einigkeit kommen können. Es ist aber auch wichtig zu beachten, dass bei den sehr großen Onlineplattformen, zu denen es ja wahrscheinlich viele Fragen zu geben wird, sowieso die Kommission zuständig ist. Da müsste ich mir noch mal überlegen, in welchen Fällen es überhaupt grenzüberschreitende Fragestellung geben kann, wo zum Beispiel der deutsche Koordinator mit dem spanischen irgendeine Unklarheit hat, die dann gelöst werden muss. 

 

[Ergänzung nach dem Vortrag: Artikel 58 des DSA schafft Voraussetzungen dafür, dass ein DSC den anderen in bestimmten Fällen „anstupsen“ darf. Ist ein DSC also inaktiv, gibt es eine Vorgehensweise, wie in diesem Fall vorgegangen werden soll. Welche Hürden es dabei in der Praxis gibt, ist noch unklar.] 

 

Zu deiner zweiten Frage zu meiner Meinung zur Zentralisierung. Da habe ich auch nur eine Meinung zu und keine empirischen Belege, was jetzt besser ist oder schlecht ist. Ich komme darauf zurück, was ich eben meinte zu der Bündelung. Die Datenschutzaufsicht, die ja dezentralisiert ist in Deutschland ebenso wie die Medienaufsicht, das hat alles Vorteile, aber ich glaube, man hat in beiden Fällen auch gesehen, wie es doch auch manchmal einfach lange dauert. Es funktioniert alles, das sieht man in der Praxis, aber es dauert halt und ich denke schon, dass da Vorteile wären, dass zu zentralisieren. Deshalb finde ich gerade diese Idee eines Koordinators, der da wirklich so eine Schnittstellenfunktion einnimmt, interessant. Aber das geht nur, wenn er das auch wirklich machen kann und wenn nicht ein Verfahren entsteht, wo es den Koordinator gibt und parallel noch zehn andere Behörden, mit denen er sich immer austauschen muss. Das ist ja gerade die Rolle des Koordinators, dass er mit denen vorab spricht und dann eben Deutschland auf europäische Ebene vertreten kann. Das kann er nicht, wenn er halt eigentlich nicht sprechen darf und sich mit den anderen Behörden auf zwei oder drei politischen Ebenen absprechen muss. 

 

[Ergänzung nach dem Vortrag zur Zentralisierung auf EU-Ebene: Die Zentralisierung der Durchsetzung auf EU-Ebene ist sinnvoll, da sie idealerweise für eine einheitliche Auslegung sorgt und die angesprochenen Dienste sich ohnehin auf dem gesamten EU-Markt bewegen. Auch dass die Zentralisierung zunächst bei der Kommission stattfindet, ist kurzfristig die pragmatische Lösung. Dennoch sollte die Rolle der Kommission kritisch hinterfragt und begleitet werden, da es sich bei dieser Institution nicht um eine unabhängige Aufsichtsstelle handelt (siehe dazu das SNV-Papier zum ersten DSA-Entwurf sowie die Stellungnahme des Center for Democracy and Technology). Es ist deshalb wichtig, langfristig auch alternative Stellen für die Durchsetzung des DSA in Betracht zu ziehen.] 

 

Fragen zu DSC-Beirat und Koordinierung 

Auch ich habe noch zwei Fragen. Die eine betrifft den Beirat. So ein Beirat kann, glaube ich, nicht die Funktion der Abstimmung der Behörden untereinander gewährleisten. Der Beirat kann ein Kontrollgremium sein von einer unabhängigen Behörde, die sie ja sein soll. Da muss man gucken: Funktioniert das alles? Wo gibt’s Schwierigkeiten? Wie man den besetzt, darüber gibt es ja offensichtlich auch ganz unterschiedliche Vorstellungen. Ich glaube der Beirat kann nur so eine Aufgabe übernehmen, weil der ja nicht wöchentlich tagen kann. Was hältst du zum Beispiel von der Idee, dass die unterschiedlichen Behörden auf Landes- und Bundesebene Spiegelreferate beim Koordinator haben und dort für den Kommunikationsaustausch zuständig sind und dann gebündelt beim Koordinator sitzen? Wir kennen ja das Prinzip von Spiegelreferaten auch auf Staatskanzlei-Ebene und aus dem Kanzleramt. Ich glaube, da ist gewährleistet, dass am besten der Informationsfluss auch da ist und die Rückbindung an die Behörden hin und zurück auch gewährleistet ist. 

 

Zum ersten Punkt zu Beiräten: Eine Kontrollfunktion wäre da möglich, aber ich würde widersprechen, dass das die einzige Möglichkeit ist. Der Beirat könnte auch als inhaltliches Fachgremium da sein und – da würde ich dir zustimmen – nicht um der Behörde Entscheidung abzunehmen oder in irgendeiner Weise die Regulierung zu machen. Dafür besteht ja keine Berechtigung oder Legitimation. Aber wenn man den Beirat als Fachgremium sieht, das Expertise zum Koordinator trägt, die der Koordinator nicht selbst im eigenen Haus hat, halte ich das schon für sinnvoll. Das wäre für mich mehr als ein Kontrollgremium. Das würde für mich dann auch darauf schließen lassen, dass der Koordinator selbst ein bisschen mitbestimmen kann, wer in dem Beirat sitzt. Denn der Koordinator weiß im besten Fall, „Okay, ich habe hier Referate XY und ABC, da habe ich Leute, die sind fit. Aber ich habe jetzt gerade eine Problemstellung zu dem komplett anderen Thema, da brauche ich eine Expertise, die kann ich mir über den Beirat reinholen, die kann mir über eine Konferenz reinholen, die kann ich mir über eine Konsultation reinholen.“ Da müssen wirklich unterschiedliche Formate nebeneinander existieren, um diese Fachexpertise zum Koordinator zu bringen. 

 

Zur zweiten Frage mit den Spiegelreferaten: Ich halte das auf jeden Fall für interessant, da kenne ich mich aber einfach nicht gut genug aus, wie das in der Praxis funktioniert zum Beispiel im Kanzleramt. In meiner idealtypischen Vorstellung bräuchte man die gar nicht so sehr, weil einfach sehr viel ohnehin beim Koordinator gebündelt ist. Wenn der Koordinator eben viel von den Zuständigkeiten, die ihm im DSA wirklich zugestanden werden, übernehmen kann und die eben nicht an andere Behörden gehen, dann sind auch die Spiegelreferate nicht ganz so wichtig. 

 

Zum Zwischenruf, dass Medienregulierung Ländersache ist: Ja, das stimmt, aber das wäre ja genau da im Gesetzentwurf zu sagen, dass das unberührt bleibt. Alles, was die Länder bisher gemacht haben, machen sie weiter, wenn es nicht vom DSA beeinträchtigt ist und das ist ja oft der Fall. Ich bin mir nicht sicher, ob da das Spiegelreferat dann unbedingt die einzige oder die nötige Variante ist. Aber wie gesagt, ich glaube das ist eine Möglichkeit. Man müsste eben gucken, ob man das aus den Staatskanzleien, aus dem Bundeskanzleramt gut übertragen kann. Nach meinem Wissenstand gibt sowas bisher bei den Behörden nicht. Es  gibt Vereinbarungen schriftlicher Art und es gibt auch informelle Treffen zwischen Behörden, aber mir ist nicht bekannt, dass bisher zum Beispiel eine Bundesbehörde mit einer anderen Bundesbehörde eine Art Spiegelreferat hat. Aber das wäre eben fraglich, ob man das hier eben einmal testen könnte beim Koordinator. 

 

Frage zu Strafen 

Wer kümmert sich darum, wenn die Plattformen sich nicht an die Regeln halten? Macht das auch der Digital Services Coordinator und wenn ja, welchen Spielraum hat er dann, Strafmaßnahmen zu verhängen? 

 

Das kommt eben ganz auf die Plattform an. Bei diesen sehr großen Plattform, von denen ich eben sprach, ist es so, dass da Verstöße nicht vom Koordinator unbedingt geahndet werden. Da gibt es auch Prozesse, wie das manchmal der Fall sein kann, aber in den allermeisten Fällen wird das die Kommission machen. Die Kommission wird sich die TikToks und Amazons und App Stores und Google Searches dieser Welt angucken und versuchen, Verstöße zu ahnden und Verbesserung zu machen oder eben zu bestrafen. Für die Plattformen, die nicht sehr groß sind, sind dann jeweils die Koordinatoren zuständig und da auch wieder die Einschränkung – das war auch die Diskussion von eben – für die Verstöße, die schon über andere Behörden geregelt sind, bleiben diese Behörden zuständig. Wenn jetzt ein kleineres soziales Netzwerk gegen Datenschutzregeln verstößt, hat das nichts mit dem DSA zu tun, dann sind weiterhin die Datenschutzbehörden zuständig. Wenn eine nicht sehr große Suchmaschine gegen Wettbewerbsvorschriften verstößt, hat das nichts mit dem DSA zu tun, dann bleiben die Wettbewerbsbehörden zuständig. Nur bei den Fragen, die wirklich im DSA geregelt sind –  zum Thema Inhaltemoderation, zum Thema Beschwerdewege, zum Thema „trusted flaggers“, zum Thema Transparenz von Onlinewerbung – da würden dann Koordinatoren Verstöße versuchen zu ahnden und zu bestrafen. 

 

Frage zur Forschungseinheit beim DSC 

Ich wollte nochmal einmal auf die Forschungsgruppen, die du beim Koordinator vorgeschlagen hast, zurückkommen. Da würde mich interessieren, was du dir da genau vorstellst, was die Aufgabe sein könnte von so einer Forschungsabteilung und auch so ein bisschen Abgrenzung. Soweit ich weiß, ist der DSC auch dafür zuständig, Forschungsanfragen zu beantworten, deren Berechtigung zu prüfen. Inwiefern könnte es da einen Konflikt geben, wenn du eine eigene Hausforschungsabteilung hast, aber selber auch über die Berechtigung der Anfragen entscheiden musst? 

 

Die Frage dreht sich um die Rolle des Koordinators einerseits als Vehikel für externe Forschende, um an Daten zu kommen, andererseits die Möglichkeit für den Koordinator auch selbst Daten von Plattform anzufragen, um zum Beispiel zu erforschen, etwa wie sich Inhalte verbreiten. Zur Rolle der Forschungseinheit: Damit wollte ich nur deutlich machen, dass aus meiner Sicht eben der Koordinator nicht einfach nur Koordinator ist, sondern auch eine große Rolle für diesen Datenanalysen hat. Das kann er nicht machen, wenn er in seiner Organisationsstruktur eben nur darauf gepolt ist, mit anderen Behörden sich auszutauschen oder mögliche Verfahren zu Verstößen zwischen Behörden hin- und herzuschieben. Deshalb halte ich so eine Forschungseinheit schon deshalb für wichtig, um zu zeigen, der Koordinator macht mehr als nur Koordinieren, der Koordinator ist auch dafür da, Datenanalysen zu starten oder zumindest eine Art Forschungsnetzwerk oder Forschungscommunity aufzubauen, um Plattformen besser zu erforschen. Zu der zweiten Frage zu möglichen Interessenkonflikten: Da müsste ich noch mal genauer darüber nachdenken, aber ich bin nicht davon überzeugt, dass es die so direkt gibt. Im Idealfall – vielleicht ist das auch Wunschvorstellung von mir – würde gerade so eine Forschungseinheiten, gerade so ein starker Koordinator dafür sorgen, dass es ein Forschungsnetzwerk gibt und gerade nicht zu Interessenkonflikten kommen und verhindert wird, dass beispielsweise der Koordinator die Anfrage einer Uni oder eine Organisation blockiert, weil er das gerade selbst machen will oder weil er das für nicht opportun hält. Wenn man gerade so ein vernünftiges, gut aufgebautes, langfristiges Netzwerk hat aus einer Forschungscommunity, dann könnte man sowas im Idealfall hoffentlich vermeiden. Wie gesagt, der Punkt ist trotzdem wichtig, zu gucken, dass es keine Blockaden gibt oder dass nicht der Koordinator durch seine Machtposition in irgendeiner Weise die Forschung sogar eher behindert als beflügelt. Das wäre nicht im Sinne des DSA und nicht im Sinne der Forschenden. 

 

Frage zum EMFA 

Ich habe eine Frage nicht so sehr zum Koordinator, aber vielleicht hast du trotzdem eine Einschätzung. Ich höre Sorgen, dass der European Media Freedom Act den DSA auf eine Art konterkarieren wird, weil Medien dort von der Regulierung oder von auch Löschpflichten ausgenommen werden und dann eben die Bedenken sind, dass sich jede russische Desinformation als Medium tarnen kann und dass dann nicht mehr gelöscht werden muss oder auch nicht mehr gerankt werden muss. Wie schätzt du das ein? 

 

Ich schätze das ähnlich ein, aber muss vielleicht einmal kurz zurückgehen. Der European Media Freedom Act oder EMFA ist noch mal ein komplett anderes Gesetzesvorhaben als der DSA. Aber an einer wichtigen Stelle – das war jetzt genau die Frage – gibt es dann Überschneidungen. Es gab beim DSA einmal die Diskussion, dass man Medien von den Regeln für die Inhaltemoderation ausnimmt. Das heißt. wenn man sich als Medium deklariert, dann müssen oder dürfen Plattformen keine Inhaltemoderation betreiben, also zum Beispiel nicht diese Medieninhalte nach oben oder nach unten in den Feeds packen. Die Gefahr, die viele dahinter gesehen haben und die ich in großen Teilen auch genauso einschätze, ist, dass ich einfach sage, „Ich bin Medium.“, und dann kann ich sagen, was ich will, und die Plattform darf in keiner Weise mehr Inhaltemoderation betreiben. Es geht gar nicht nur um Löschung, es geht auch um ja darum, Inhalte nach unten zu stufen. Das ist hier eine sehr delikate Ausbalancierung zwischen der Meinungsfreiheit, die durch Inhaltemoderation so oder so eben immer beeinträchtigt werden kann, und dieser großen Gefahr, dass Leute oder Organisation sich als Medien getarnt haben und dadurch eben Desinformation verbreiten. Dadurch, dass es für letzteren Fall klare empirische Beispiele gibt, also dass sich Organisationen – seien sie staatlich, seien sie nichtstaatlich – als Medien deklarieren, Webseiten aufbauen, die aussehen wie Webseiten von nationalen oder europäischen Medien und dann darüber diskriminierende Inhalte, teilweise auch falsche oder hasserfüllte Inhalte verbreiten, halte ich diese Regelung, dass man da Medien ausnimmt, für nicht so gelungen. Die Inhaltemoderation sollte gerade darauf ausgelegt sein, dass sie eben die Nutzenden gleichbehandelt und keine Ausnahme schafft. Dass Ausnahmen geschaffen wurden, war lange den Plattformen vorbehalten und wenn man das jetzt gesetzlich verankert, bin ich nicht sicher, ob das in die in die richtige Richtung geht. 

 

Quellen und weiterführende Informationen zum DSA/DSC 

DSC und Durchsetzung des DSA allgemein 

 

Rolle des DSC für Nutzende, insbesondere als Beschwerdestelle 

 

Rolle des DSC für Forschende 

 

Einbindung der Zivilgesellschaft beim DSC, insbesondere durch einen Beirat 

 

Sehr große Onlineplattformen und Suchmaschinen (VLOPs) 

Erschienen bei: 
re:publica
06. Juni 2023
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