Warum die Koordinatoren für digitale Dienste starke Forschungs- und Datenstellen einrichten sollten

SNV in den Medien

Um Verstöße gegen das Gesetz über digitale Dienste („Digital Services Act“, DSA) aufzuspüren und zu ahnden, müssen die Koordinatoren für digitale Dienste („Digital Services CoordinatorsW, DSCs) der Mitgliedstaaten ein tiefes Verständnis dafür haben, wie Plattformen funktionieren und welche potenziellen Risiken mit ihnen verbunden sind. Weil der DSA eine Vielzahl von Berichten und Datenbanken vorsieht, die überwacht und analysiert werden müssen, sollten die Mitgliedstaaten ihre DSCs mit Forschungs- und Datenstellen ausstatten, die Wissen über Plattformrisiken aufbauen, Datenanalysen durchführen, an Fachgemeinschaften teilnehmen und die Durchsetzungsbemühungen auf EU-Ebene unterstützen können. 

Dieser Text erschien zunächst in Englisch beim DSA Observatory

Einführung 

Im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste („Digital Services Act“, DSA) der EU werden Regulierungsbehörden und Forscher:innen in der Lage sein, Daten von bestimmten Onlineplattformen anzufordern. Sehr große Onlineplattformen und Suchmaschinen („very large online platforms and search engines“, VLOPs), also Dienste mit mehr als 45 Millionen monatlichen Nutzenden in der EU, müssen Daten für die Analyse durch externe Fachleute bereitstellen, damit diese potenzielle systemische Risiken im Zusammenhang mit den Diensten der Plattformen besser verstehen und eindämmen können. Diese Regeln für den Datenzugang haben zurecht viel Aufmerksamkeit als potenziell innovative Herangehensweise zur Überwachung und Untersuchung von VLOPs erhalten. Sie sind jedoch bei weitem nicht das einzige Instrument, bei der Datenanalysen wichtig für die Durchsetzung des DSA sein werden. Das Gesetz ist eine „Datensammelmaschine“ und enthält mehr als 50 Verweise auf verpflichtende oder freiwillige Transparenz- und Bewertungsberichte, Datenbanken, Tätigkeitsberichte, Leitlinien, Verhaltenskodizes und Standards. Die Regulierungsbehörden werden ihre datenwissenschaftliche Expertise ausbauen müssen, um mit verschiedenen Arten und großen Mengen von Daten umgehen zu können. Wichtiger noch: Um alle Daten sinnvoll zur Überprüfung der Einhaltung des DSA durch Unternehmen nutzen zu können, benötigen die Aufsichtsbehörden ein tiefes Verständnis von Plattformlogiken und -risiken. Dies gilt nicht nur für die Europäische Kommission, die wichtige Teile des DSA für VLOPs beaufsichtigt, sondern auch für die Mitgliedstaaten. Die jeweiligen Koordinatoren für digitale Dienste („Digital Services Coordinators“, DSCs) sollten daher eigene Abteilungen oder Stabsstellen für Forschung und Daten einrichten, um plattformspezifische Aufsichtskompetenzen und -fähigkeiten zu entwickeln. 

Die Einrichtung einer Forschungs- und Datenabteilung könnte den DSCs helfen, die vielfältigen Aufgaben zu erledigen, für die sie in der Lage sein müssen, verschiedene Daten von Plattformen wie sozialen Netzwerken, Onlinemarktplätzen und Suchmaschinen sowie von vertrauenswürdigen Hinweisgeber:innen und anderen Organisationen zu analysieren und zu bewerten. In ihren jeweiligen Ländern koordinieren die DSCs Aufsichtsbehörden aus verschiedenen Bereichen wie Datenschutz und Verbraucher:innenschutz, sie ermöglichen es den Menschen, Beschwerden über mögliche Verstöße einzureichen, akkreditieren vertrauenswürdige Hinweisgeber:innen und dienen als Aufsichtsbehörde für viele Onlineplattformen, indem sie zum Beispiel Transparenzberichte und andere Daten entgegennehmen (für eine Analyse der Aufgaben der DSCs siehe Kapitel 2 hier). Sie arbeiten auf EU-Ebene zusammen, etwa in einem Beratungsgremium (dem Europäische Gremium für digitale Dienste) und durch gemeinsame Untersuchungen. Die DSCs unterstützen zudem die Kommission, die hauptsächlich für die Aufsicht von VLOPs zuständig ist (für einen Überblick über die Arbeitsteilung zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten siehe Abbildung 2 hier). Darüber hinaus können die DSCs, in deren Ländern VLOPs ihre Niederlassung haben, Daten von diesen Plattformen anfordern, um die Einhaltung des DSA zu überprüfen. All dies wäre mit einer fähigen Forschungs- und Datenabteilung im DSC einfacher zu verwirklichen. 

Es ist wichtig zu betonen, dass der DSC weder ein staatliches Forschungsinstitut wie das deutsche Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung ist noch ein staatlicher Forschungsförderer wie die französische Nationale Forschungsagentur oder ein zu Forschungsaspekten beratendes Gremium wie der Regierungsrat für Forschung, Entwicklung und Innovation in der Tschechischen Republik. Wie im Folgenden dargelegt wird, wäre es jedoch für jeden DSC hilfreich, Elemente dieser verschiedenen Arten von forschungsbezogenen Aktivitäten in seine Arbeit einzubeziehen: Er muss plattformbezogene Forschung durchführen, finanzieren und koordinieren. In der Praxis würde dies ein beträchtliches Forschungsbudget sowie eine spezialisierte Forschungs- und Datenstelle erfordern. Eine solche Einheit würde es dem DSC ermöglichen: 

  1. fundierte Kenntnisse über Plattformen und insbesondere die damit verbundenen systemischen Risiken zu erlangen, 
  2. die Durchsetzungsbemühungen der Kommission zu unterstützen und voranzutreiben, 
  3. eine Fachgemeinschaft für die Aufsicht über Plattformen aufzubauen, sich an ihr zu beteiligen und sie teilweise zu finanzieren sowie 
  4. gegebenenfalls die besonderen Datenzugangsbestimmungen, die der DSA ihnen bietet, optimal zu nutzen. 

In den folgenden Abschnitten wird jeder dieser vier Gründe für eine Forschungs- und Dateneinheit betrachtet. Im Anhang am Ende des Textes werden diese Gründe unter Bezugnahme auf die Artikel des DSA näher erläutert. 

1. Die Basis: Entwicklung eines umfassenden Verständnisses systemischer Plattformrisiken 

Eine Forschungs- und Datenabteilung beim DSC wäre eine wichtige Bereicherung, um spezifisches Wissen über die Plattformregulierung aufzubauen. Zwar sollten die DSCs auf das vorhandene Fachwissen anderer Regulierungsbehörden (zum Beispiel der Datenschutzbehörden) zurückgreifen, doch enthält der DSA Bestimmungen, die neu sind und in den meisten EU-Ländern von keiner bestehenden Regulierungsbehörde abgedeckt werden. Beispiele dafür sind die Berichte der Plattformen über die Moderation von Inhalten (Artikel 15 und 24), Vorgaben für Designentscheidungen (Artikel 25) oder Erklärungen für Empfehlungssysteme (Artikel 27) sowie die Akkreditierung von vertrauenswürdigen Hinweisgeber:innen (Artikel 22). 

Kurzfristig wäre eine Forschungs- und Dateneinheit als Starthilfe von Vorteil, um DSCs bei der Aufsicht über Plattformen zu unterstützen. Damit würde anerkannt, dass die DSCs zwar nicht ganz bei Null anfangen, aber neue Regulierungsbehörden in einem neuen Aufsichtsbereich sind und eine steile Lernkurve durchlaufen müssen. Hätte der DSA dagegen nur bestehenden Vorschriften in bestehenden Regulierungsbereichen überarbeitet, wäre eine spezielle Forschungs- und Dateneinheit vielleicht nicht so wichtig. Zunächst könnte eine solche Einheit spezifische Aufsichtsprobleme und die Art der technischen Ressourcen, des Fachwissens und der Netzwerke untersuchen, die zu ihrer Bewältigung erforderlich sind. 

Langfristig würde dieses von der Forschungs- und Datenabteilung aufgebaute Wissen den DSCs helfen, die Einhaltung des DSA zu überwachen. Wenn sie Verstöße gegen den DSA aufdecken und eindämmen wollen, müssen die DSCs ein tiefes Verständnis der zugrunde liegenden Risiken in Bezug auf die Praktiken der Inhaltemoderation, algorithmische Empfehlungssysteme oder das Design der Plattformen haben. Mit seinem starken Fokus auf „systemischen Risiken“ verlangt der DSA von den Aufsichtsbehörden, solche Risiken zu erfassen, die von verschiedenen Plattformen ausgehen und sich auf bestimmte Gruppen unterschiedlich auswirken können – insbesondere, weil der Begriff „systemisches Risiko“ im DSA noch näher spezifiziert werden muss. 

Die Bewertung und Abschwächung von systemischen Risiken wird nur von VLOPs verlangt. Die Kommission hat die Aufgabe, die Einhaltung dieser und anderer Regeln, die für VLOPs gelten, zu überprüfen. Es gibt jedoch zahlreiche Bestimmungen oder Möglichkeiten für DSCs, sich ebenfalls an der Bewertung systemischer Risiken zu beteiligen. Formal gesprochen werden die DSCs aufgefordert, Fachwissen zu „systemischen und neu auftretenden Fragen“ zu entwickeln und weiterzugeben (Artikel 64). Dies ist nicht auf Fragen im Zusammenhang mit VLOPs beschränkt. Vielmehr ist die Entwicklung plattformspezifischer Kenntnisse die Grundlage für alle behördlichen Maßnahmen. Wenn es um VLOPs geht, können die DSCs Unterlagen von sehr großen Onlineplattformen in ihrem Land anfordern (Artikel 34(3)), sie müssen über Maßnahmen zur Risikominderung berichten (Artikel 35(2)) und können die Entwicklung von Leitlinien dazu unterstützen (Artikel 35(3)). An dieser Stelle könnten spezielle Forschungs- und Dateneinheiten die Aufsichtstätigkeit der DSCs erheblich unterstützen. 

Ein möglicher Fall ist, dass ein Unternehmen über spezifische Risiken seiner Plattform in Bezug auf regionale oder sprachliche Aspekte (Artikel 34(2)) berichtet, beispielsweise diskriminierende Äußerungen gegenüber bestimmten Minderheiten in einem regionalen Dialekt. Während die Kommission in diesem Fall über ein gewisses Fachwissen verfügen könnte, ist es der jeweilige Mitgliedstaat, der dem Europäischen Gremium für digitale Dienste vertiefte Kenntnisse für seinen Bericht über systemische Risiken (Artikel 35(2)) anbieten könnte. Er könnte empirische Beweise vorlegen, die von der Forschungs- und Dateneinheit gesammelt und analysiert und in den rechtlichen, historischen und sprachlichen Kontext des Mitgliedstaats eingeordnet wurden. 

Über die Minderung der systemischen Risiken hinaus können starke Datenanalysefähigkeiten, gepaart mit Fachleuten aus anderen Disziplinen wie Psychologie, Menschenrechte und Informatik, auch die Analyse der verschiedenen Berichte und anderer großer Datenquellen, die der DSA vorsieht, erleichtern. 

2. Die EU-Ebene: Die Kommission unterstützen und vorantreiben 

Die Kommission ist hauptsächlich für die Überwachung sehr großer Onlineplattformen zuständig (für einen Überblick über die Arbeitsteilung siehe Kapitel 2 hier). Es gibt aber auch verschiedene Fälle, in denen die DSCs, entweder einzeln oder über das Europäische Gremium für digitale Dienste, die Kommission bei der Aufsicht über sehr große Onlineplattformen unterstützen können. Darüber hinaus können die Koordinatoren, auch wenn dies im DSA nicht ausdrücklich vorgesehen ist, Fachwissen auf EU-Ebene anbieten und so die Kommission zum Handeln bewegen. Die Kommission wird, obwohl sie bereits einige passende Fähigkeiten besitzt und weiter ausbaut, nicht sofort in der Lage sein, alle Aspekte des DSA eingehend zu behandeln. Je besser die DSCs ausgestattet sind, um sofort tätig zu werden, desto besser wird die Durchsetzung gelingen. 

Nehmen wir den Fall der Datenbank für Onlinewerbung für sehr große Onlineplattformen (Artikel 39). Es gab noch nie solche verpflichtenden Datenbanken, in denen die gesamte Onlinewerbung gesammelt wurde. Es wird einige Zeit dauern, bis die Kommission die damit zusammenhängenden Fragen verstanden und mögliche Verstöße erkannt hat, zumal sie auch noch viele andere Verpflichtungen zu überwachen hat. Um zu prüfen, ob eine solche Datenbank funktioniert und die Anforderungen des DSA erfüllt, könnte Fachwissen aus den Bereichen Design und Technik (in Bezug auf Funktionalität und Nutzendenfreundlichkeit), Datenschutz (in Bezug auf die Verwendung personenbezogener Daten) und auch digitales Marketing und Ad-Tech (in Bezug auf das Verständnis von Onlinewerbung im Allgemeinen) erforderlich sein. Mit Forschungs- und Dateneinheiten, die Wissen über diese interdisziplinäre Regulierungsfrage sammeln und entwickeln können, wären die DSCs in einer guten Position, um zur Entwicklung von Leitlinien durch die Kommission unter Einbezug des Europäischen Gremiums für digitale Dienste beizutragen (Artikel 39(3)). Sie könnten die EU-weite Sicht der Kommission in Bezug auf Werbedatenbanken mit nationalem und sprachlichem Fachwissen ergänzen. 

An der Durchsetzung des DSA auf EU-Ebene wird neben der Kommission auch das Europäische Zentrum für algorithmische Transparenz („European Centre for Algorithmic Transparency“) beteiligt sein. Dabei handelt es sich um eine Forschungseinrichtung der Kommission und ihrer Gemeinsamen Forschungsstelle, die im Jahr 2022 gegründet wurde. Es soll die Kommission mit wissenschaftlicher Expertise bei der Überwachung von VLOPs unterstützen. Wenn die DSCs und das Europäische Gremium für digitale Dienste die Forschung des Zentrums verstehen oder mit ihm auf Augenhöhe zusammenarbeiten wollen, können sie dies nur mit fundierten Kenntnissen über systemische Plattformrisiken. Forschungs- und Dateneinheiten könnten dieses Wissen zur Verfügung stellen und damit wiederum zusätzliches Fachwissen auf nationaler Ebene in die Forschungsbemühungen des Zentrums auf EU-Ebene einbringen. 

 

3. Die Fachgemeinschaft: Aufbau und Finanzierung eines Netzwerks von Plattformforscher:innen 

Forscher:innen aus dem akademischen Bereich, aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und aus der Presse haben in der Vergangenheit eine wichtige Rolle bei der Überwachung von Plattformen gespielt. Vor der Verabschiedung des DSA untersuchten Forscher:innen Werbung auf Plattformen, machten auf diskriminierende Algorithmen und potenzielle Verletzungen grundlegender Menschenrechte aufmerksam, unterstützten Nutzer:innen, die Rechtsmittel gegen Plattformen einlegen wollten, und untersuchten Möglichkeiten, um Menschen beim Umgang mit Desinformation im Internet zu helfen, um nur einige Beispiele zu nennen. Der DSA sieht ausdrücklich Aufgaben für Forscher:innen und die Zivilgesellschaft vor und erkennt implizit deren allgemeine Bedeutung bei der Aufsicht über EU-Plattformen an. So setzt der DSA auf eine Mischung aus privater und regulatorischer Durchsetzung durch eine Vielzahl von Beteiligten, darunter Forscher:innen, vertrauenswürdige Hinweisgeber:innen sowie außergerichtliche Streitbeilegungsstellen. Da die DSCs für die Akkreditierung und Überwachung dieser Beteiligten zuständig sind, müssen sie ein ganzes System verschiedener Plattformaufsichtsorganen beaufsichtigen. Dies erfordert ein umfassendes Verständnis der Plattformlogik und ein starkes Netzwerk von Plattformexperten und -expertinnen mit unterschiedlichem praktischem und akademischem Hintergrund, unter anderem aus den Bereichen Inhaltemoderation, Bewertung von Menschenrechtsrisiken, Softwaretechnik, Verhaltenspsychologie und Recht. 

Die DSCs könnten sich das Wissen externer Fachleute zunutze machen und bestehende Netzwerke ausbauen, um ihre eigene Aufsichtsarbeit zu stärken. Eine Forschungs- und Dateneinheit könnte als Mittelpunkt für plattformbezogene Studien dienen, den Rahmen für eine Fachgemeinschaft bieten und – mit Bedacht – externe Forschung finanzieren. Gerade für die Finanzierung sind Leitplanken notwendig, um eine zu hohe Abhängigkeit zu vermeiden und zu verhindern, dass die DSCs allein darüber entscheiden, welche Plattformforschung durchgeführt wird und welche nicht, zumal sie auch die Forscher:innen überprüfen und zulassen. Eine klare Trennung zwischen Zulassung und Finanzierung sowie strenge Transparenzrichtlinien könnten helfen. Ein gewisses Maß an Forschungsfinanzierung durch die DSCs ist jedoch vor allem für langfristige, vergleichende Studien von Bedeutung, für die zivilgesellschaftliche Organisationen oft nicht über ausreichende Budgets verfügen. In Verbindung mit einem Team für Öffentlichkeitsarbeit und Wissenschaftskommunikation könnte die Forschung der DSCs sogar noch einen Schritt weiter gehen und zur Information der Öffentlichkeit beitragen, zum Beispiel mit Erklärungen zu Empfehlungssystemen oder Sensibilisierungskampagnen zu bestimmten Plattformrisiken. 

4. Die Datenzugangsbestimmungen: Anfrage und Analyse von Plattformdaten 

Die Datenzugangsbestimmung des DSA (Artikel 40) ist ein weiterer großer Anreiz für die Entwicklung von Datenanalysekapazitäten, insbesondere für „Koordinatoren für digitale Dienste am Niederlassungsort“: Diese Koordinatoren können Daten von VLOPs anfordern, die in ihrem jeweiligen Land niedergelassen sind. Dies gilt bisher nur für einige wenige DSCs (siehe Tabelle 2) und es muss auch erwähnt werden, dass die Kommission Daten von jedem VLOP anfordern kann. Da die Kommission in erster Linie für die Durchsetzung der Vorschriften für VLOPs zuständig ist, könnten die DSCs bei Datenzugangsanfragen in den Hintergrund treten. 

 

Tabelle 2. DSCs, die Daten direkt von VLOPs anfordern können 

DSC des Niederlassungsorts  Unternehmen (VLOP(s)) 
Irland
  • Alphabet (Google Maps, Google Play, Google Search, Google Shopping, YouTube) 
  • Apple (App Store) 
  • ByteDance (TikTok) 
  • Meta (Facebook, Instagram) 
  • Microsoft (Bing, LinkedIn) 
  • Pinterest 
  • Twitter 
Luxemburg
  • Amazon (Amazon Marketplace) 
Niederlande
  • Booking (Booking.com) 

Anmerkungen: Angepasst und aktualisiert von Martin Husovec, „The DSAʼs Scope Briefly Explained“. Alibaba und Snap betreiben VLOPs (AliExpress bzw. Snapchat), aber da sich ihr europäischer Hauptsitz im Vereinigten Königreich befindet, ist unklar, welcher DSC dafür zuständig sein wird. Der DSC für Wikimedias VLOP Wikipedia ist ebenfalls unklar. 

 

Nichtsdestotrotz würden vor allem die DSCs der Niederlassung davon profitieren, eine Forschungs- und Datenabteilung zu haben. Wenn diese DSCs sowohl Datenwissenschaftler:innen als auch Fachleute aus anderen Bereichen wie Menschenrechte oder Psychologie im Team hätten, könnten sie Daten von Plattformen anfordern, analysieren und verstehen. Andernfalls laufen sie Gefahr, die Bestimmungen von Artikel 40 entweder überhaupt nicht zu nutzen oder gegenüber den Plattformen im Nachteil zu sein, da sie nicht wissen, welche Daten sie anfordern können oder wie sie die Qualität der erhaltenen Daten angemessen beurteilen können. Wenn sie die Bestimmungen über den Datenzugang, die den DSCs der Niederlassung gewährt werden, nicht nutzen und den Forscher:innen bei der Anforderung von Daten nicht helfen können, würde dies den Tech-Unternehmen in die Hände spielen. Sie könnten Argumente für mehr Offenheit und Transparenz entkräften, indem sie auf den Mangel an Datenzugangsanfragen hinweisen. 

Selbst DSCs, die in ihren Ländern keine sehr großen Onlineplattformen haben, können und sollten die Bestimmungen von Artikel 40 nutzen, nämlich bei der Bewertung und Weiterleitung von Datenzugangsanträgen von Forscher:innen: Ohne ein gutes Verständnis der Plattformen und ein engagiertes Team interner und externer Fachleute, die die Anträge der Forscher:innen annehmen, werden die DSCs nicht in der Lage sein, Datenzugangsanträge zu verstehen und zu prüfen. Ein beispielhafter Fall für den Überprüfungsprozess könnten Forscher:innen einer spanischen Universität sein, die Daten von Instagram anfordern. Auch wenn Instagram seinen Sitz in Irland hat, könnte das spanische Forschungsteam seinen Antrag beim spanischen DSC einreichen. Der spanische DSC würde den Antrag an Irland weiterleiten, allerdings erst nach einer ersten Bewertung. Diese könnte bedeutsam sein, wenn es sich um eine gut begründete Analyse des Antrags handelt, die keine weiteren Maßnahmen seitens des irischen DSC erfordert. Eine solche umfassende und durchdachte Ersteinschätzung ist viel einfacher, wenn der spanische DSC über das Wissen und die Fähigkeiten in Bezug auf Datenanalyse und Plattformrisiken verfügt, die eine Forschungs- und Datenabteilung bieten kann. 

Ausblick: Aufbau von Forschungs- und Dateneinheiten, ohne Redundanzen zu schaffen 

Wenn die Mitgliedstaaten beschließen, ihre DSCs mit umfangreichen Forschungs- und Datenabteilungen auszustatten, können sie dabei von bestehenden Einrichtungen und Ideen lernen. Sowohl die nationalen Regulierungsbehörden als auch die Kommission haben ihre Arbeit im Bereich der Datenanalyse ausgeweitet. So haben beispielsweise Wettbewerbsbehörden Datenanalyseabteilungen eingerichtet, eine niederländische Behörde hat ihre Bemühungen erörtert, mehr Datenwissenschaftler:innen einzustellen, die französische Regierung hat eine spezielle Agentur für die Erforschung digitaler Plattformen namens PEReN eingerichtet, Deutschland hat Fellowships etabliert, um Design- und Ingenieurswissen in die Verwaltung zu bringen und US-Gesetzgeber:innen haben Gesetzesentwürfe mit speziellen Forschungsabteilungen vorgeschlagen, die „technologists“, „soziotechnische Fachleute“ sowie gemeinnützige Fachleute für die Aufsicht über Plattformen einschließen. Darüber hinaus gibt es viele staatliche Forschungsinstitute außerhalb des Technologiesektors, die als Inspirationsquelle dienen können. 

Der erste Schritt der Mitgliedstaaten zum Aufbau von Forschungs- und Dateneinheiten sollte darin bestehen, solche Beispiele aus ihrer nationalen Regulierungslandschaft zu begutachten. Ein Austausch im Rahmen der sich abzeichnenden Diskussion auf EU-Ebene zwischen der Kommission und (potenziellen) DSCs könnte ebenfalls nützlich sein, um gute und schlechte Praktiken zu identifizieren. Einige der Fragen, mit denen sich die Mitgliedstaaten befassen sollten, sind (weitere Überlegungen zur Struktur des DSC finden Sie hier): 

  • Budget: Benötigt die Abteilung nur einige interne Fachleute oder auch die Möglichkeit, externe Studien zu finanzieren und Wissenschaftskommunikation und Community-Building zu betreiben? 
  • Größe und Vielfalt des Teams: Liegt der Schwerpunkt auf einer kleinen Gruppe von Datenwissenschaftler:innen oder sollte eine größere Gruppe von Fachleuten aus der Softwareentwicklung, verschiedenen akademischen Bereichen und der Inhaltemoderation zusammengestellt werden? 
  • Organisatorische Struktur: Handelt es sich um ein eigenständiges Fachleuteteam zur Unterstützung der DSC-Abteilungen oder ist es in eine andere Abteilung eingebettet? 

Diese Fragen werden von Land zu Land unterschiedlich beantwortet werden, zumal nicht alle Mitgliedstaaten in der Lage oder bereit sind, viel Geld auszugeben oder geeignetes Personal zu finden. Deshalb ist es umso wichtiger, dass zumindest einige Mitgliedstaaten starke, spezialisierte Einheiten einrichten, die andere DSCs unterstützen können. Eine solche starke Einheit würde in der Tat ein ausreichendes Budget für interne und externe Fachleute haben, die über ein breites Spektrum an akademischen und praktischen Erfahrungen in den Bereichen Recht, Datenwissenschaft, Informatik und maschinelles Lernen verfügen und flexibel genug sind, um mit verschiedenen anderen Einheiten im DSC zu interagieren. 

Die Einrichtung von Forschungs- und Datenabteilungen bei den DSCs muss nicht zu Redundanzen und Überschneidungen mit bestehenden Agenturen führen. Ganz im Gegenteil: Durch die Einrichtung spezieller Abteilungen mit engen Verbindungen zur Kommission, zum Europäischen Zentrum für algorithmische Transparenz und zu anderen nationalen Regulierungsbehörden werden die DSCs besser in der Lage sein, Doppelarbeit zu vermeiden und Forschungslücken zu erkennen. 

Ob der DSC mit einer eigenen Forschungs- und Datenabteilung ausgestattet wird, ist letztlich eine politische und finanzielle Entscheidung, nicht nur eine inhaltliche. Abgesehen von den hier angeführten praktischen Gründen würde der Aufbau eines fachkundigen DSC mit einem starken Forschungsschwerpunkt den Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit geben, ihr Bestreben zu unterstreichen, die Durchsetzung des DSA ernst zu nehmen. 

 

Anhang. Verschiedene Anwendungsfälle für starke Forschungs- und Dateneinheiten in DSCs 

Die folgende Tabelle fasst wichtige Aufgaben der DSCs zusammen und zeigt, wie starke Forschungs- und Dateneinheiten innerhalb der DSCs bei der Durchführung dieser Aufgaben helfen könnten. 

Was von den DSCs verlangt wird (DSA-Artikel)  Wie eine starke Daten- und Forschungseinheit beim DSC helfen kann 
1. Entwicklung eines umfassenden Verständnisses systemischer Plattformrisiken 

Ausarbeitung nationaler Leitlinien für Beschwerdemechanismen (Erwägungsgrund 39) 

(Datenwissenschaftliche) Analysen von Beschwerden könnte zusätzlich zu den praktischen Erfahrungen anderer DSC-Einheiten und/oder anderer Regulierungsbehörden genutzt werden 
Entgegennahme verschiedener Berichte (z. B. zu Inhaltemoderation, vertrauenswürdigen Hinweisgeber:innen) (15(1), 22(3), 24(2), 42(4)

- Tiefes Verständnis der Plattformrisiken ist eine Grundvoraussetzung für die Analyse der Berichte 

- Datenwissenschaftliche Fähigkeiten können andere Einheiten unterstützen und/oder eigene Analysen ermöglichen 

Berichterstattung über systemische Risiken (via Gremium) (35(2) Tiefes Verständnis der Plattformrisiken ist eine notwendige Voraussetzung für eigene Berichte 
Erarbeitung von Standards (via Kommission mit Beratung durch Gremium) (44

- Eigene empirische Nachweise erbringen 

- Vorarbeiten für Kommission und Gremium nicht möglich ohne tiefes Verständnis der unter Artikel 44(1)a-j genannten Themen 

Entgegennahme von Informationen von Plattformen über Verstöße, Inspektion von Plattformen und Befragung von Plattformmitarbeitern (51(1)a-c); Entgegennahme des Aktionsplans einer Plattform zur Unterbindung von Verstößen (51(3)a Ohne ein gutes Verständnis von Plattformrisiken können potenzielle Verstöße und Aktionspläne nicht richtig beurteilt werden; Risiko der Täuschung durch Tech-Unternehmen 
Nutzer:innen ein Beschwerdesystem anbieten (53 Fundierte Bewertung von Beschwerden ist nur mit einer umfassenden Kenntnis der Plattformen, der Plattformrisiken und der Regulierungslandschaft möglich (andernfalls kommt es zu Verzögerungen/Redundanzen bei der Zusammenarbeit mit anderen Regulierungsbehörden) 
Durchführung gemeinsamer Untersuchungen mit anderen DSCs (58 Tiefes Verständnis der Plattformrisiken ist eine notwendige Voraussetzung für gemeinsame Untersuchungen 
Aufbau von EU-Fachwissen (mit der Kommission; insbesondere zu VLOPs und aufkommenden Problemen) (64 Identifizierung „neu aufkommender Probleme“ (~ Frühwarnsystem) und systemischer Risiken, insbesondere in einem spezifischen regionalen/sprachlichen Kontext 
2. Unterstützung der Kommission 
Unterstützung der Kommission bei der Erstellung von Leitlinien (25(3), 35(3)

- Vorarbeit für die Kommission 

- Bereitstellung eigener empirischer Daten 

- Ohne fundierte Kenntnisse der Plattformrisiken können Maßnahmen zur Risikominderung nicht richtig beurteilt werden 

Verstehen der Risikobewertungen der Plattformen (via Kommission) (34 Ergänzung des Fachwissens der Kommission durch zusätzliche empirische Erkenntnisse (insbesondere im nationalen Kontext) 
Arbeit mit Datenbank für Onlinewerbung (39(1), 39(3) Praktische regulatorische Erfahrungen mit verpflichtenden Datenbanken für Onlinewerbung fehlen in der EU; DSC-Einheiten könnten helfen, Fachwissen zu entwickeln 
Ausarbeitung von Leitlinien für Datenbanken für Onlinewerbung (via Gremium) (39(3))  

- Vorarbeit für das Gremium 

- Bereitstellung eigener empirischer Daten 

Unterstützung der Kommission bei der Ausarbeitung delegierter Rechtsakte zum Datenzugang (40(13)

- Informelle Vorarbeit für die Kommission, Bereitstellung eigener empirischer Daten 

- Teilnahme an offiziellen Konsultationen 

Unterstützung der Kommission bei der Entwicklung von freiwilligen Verhaltenskodizes (45 (auch 46, 47)) 

- Vorarbeit für die Kommission 

- Bereitstellung eigener empirischer Erkenntnisse 

Abgabe von Empfehlungen an die Kommission (via Gremium) (63(1)c Eigene Forschung und Fachnetzwerk zur Unterstützung der Erarbeitung von Empfehlungen 
3. Aufbau einer Fachleutegemeinschaft 
Zulassung von Forscher:innen (40(8)

- Überprüfung der formalen (insbesondere datenschutzrechtlichen) Anforderungen 

- Priorisierung von Anfragen aufgrund eigener Kenntnisse über Plattformrisiken und Forschungslücken 

- Austausch mit anderen DSCs 

4. Anfordern und Analysieren von Daten von sehr großen Onlineplattformen und Suchmaschinen 
Anfordern von VLOP-Daten (40(1), 40(2)

- Identifikation und Formulierung passender Forschungs- und Regulierungsfragen 

- Formulierung konkreter Datenanfragen (technische/rechtliche Fragen) 

- (Datenwissenschaftliche) Analyse und Kontextualisierung innerhalb der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 

- Vernetzung mit externen Fachleuten (ggf. über eine andere DSC-Einheit für Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit) 

Verstehen algorithmischer Systeme und systemischer Risiken von VLOPs (40(3), 40(4)

- Aufbau permanenter, vielschichtiger Expertise verschiedene Plattformen und Plattformrisiken 

= Grundvoraussetzung für eigene Datenzugangsanfragen und für das Verständnis der Daten, für die Zusammenarbeit mit DSCs/Kommission; Teilerfüllung von Artikel 64 

 

Hinweis: Einige der Punkte könnten unter mehreren Überschriften fallen, zum Beispiel betrifft Artikel 40(3) den Datenzugang, die Fachgemeinschaft und die Arbeit auf EU-Ebene; Artikel 34 betrifft sowohl das Fachwissen über systemische Risiken als auch die Unterstützung der Kommission. 

 

Der Autor dankt den Fachleuten aus der SNV und darüber hinaus, die großzügig ihre Einschätzungen zum DSA geteilt haben. Er ist außerdem dankbar für hilfreiches Feedback zu einem Entwurf dieses Textes von Ilaria Buri, Martin Husovec, Rita Jonušaitė, Claire Pershan und Suzanne Vergnolle, sowie für die inhaltliche, redaktionelle und Übersetzungsarbeit von Josefine Bahro. 

Erschienen bei: 
DSA Observatory
10. März 2023
Autor:in: 

Julian Jaursch

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