Neue EU-Regeln für digitale Dienste: Warum Deutschland eine starke Plattformaufsicht braucht

Policy Brief

Hinweis: Dieses Papier erschien ursprünglich im Mai 2022 vor den endgültigen Abstimmungen zum DSA. Die Angaben zum Wortlaut und den Artikeln des DSA wurden an die finale Textversion angepasst.

 

Executive Summary

Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz („Digital Services Act“, DSA), wird es erstmals in der Europäischen Union (EU) gemeinsame Regeln für Plattformen wie Instagram, Twitter, Amazon und auch kleinere Onlinedienste geben. Zwar hat der DSA einige Schwächen. Trotzdem ist er ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem „transparenten und sicheren Online-Umfeld“ für Menschen in Europa, wie es in dem Dokument selbst heißt. So verpflichtet er beispielsweise Plattformen dazu, Beschwerden von Nutzenden zu erleichtern und transparenter mit Onlinewerbung umzugehen. Forschende sollen Zugriff auf Plattformdaten erhalten, um etwa die Inhaltemoderation und -löschung besser verstehen zu können. Doch so sinnvoll diese Neuerungen sind: Selbst die besten Regeln nützen wenig, wenn niemand sie durchsetzt. Die drängendste Frage lautet deshalb: Wer kümmert sich um die Durchsetzung des DSA?

Für sehr große Plattformen soll hauptsächlich die Europäische Kommission zuständig sein. Bei allen anderen digitalen Diensten werden Mitgliedstaaten darüber wachen, dass die Regeln eingehalten werden. Dafür muss jedes Land einen „Koordinator für digitale Dienste“ benennen („Digital Services Coordinator“, DSC). Dieser koordiniert aber nicht nur sämtliche nationale und europäische Stellen zum DSA, sondern beteiligt sich auch an der Aufsicht. Dem DSC kommt also eine zentrale Rolle zu, weshalb es eine bedeutsame Frage ist, wer in den Mitgliedsländern diese Aufgabe übernimmt.

In Deutschland ist noch unklar, wer die Einhaltung des DSA überwachen und die Funktion des DSC übernehmen soll. Mit Fragen der Plattformregulierung ist eine ganze Reihe deutscher Behörden und Institutionen befasst, für sich allein genommen erfüllt aber keine Stelle sämtliche Anforderungen. Das ist nicht überraschend, denn neue Gesetze erfordern oft neue Zuständigkeiten und Ressourcen. Doch für die Bundesregierung und deutsche Abgeordnete ergibt sich daraus nun die Notwendigkeit, über den Zuschnitt der Plattformaufsicht in Deutschland nachzudenken.

Es liegt nahe, bei der Suche nach einer passenden Plattformaufsicht zunächst bestehende Behörden in den Blick zu nehmen. Es dabei zu belassen, wäre aber eine verpasste Chance. Statt zu fragen, welche Einrichtung die Anforderungen des DSA am ehesten erfüllen könnte, sollte die Frage lauten: Wie kann die bestmögliche Stelle geschaffen werden? Politische Entscheidungsträger:innen in Deutschland sollten die Gelegenheit ergreifen, die Plattformaufsicht zu reformieren. Das wäre nicht nur dringend geboten, der Zeitpunkt ist dafür auch so günstig wie nie: Der DSA ist nicht das einzige EU-Gesetzesvorhaben zu Plattformen und Datenwirtschaft, weitere sind erst kürzlich beschlossen worden (Digitale-Märkte-Gesetz) oder sind in Arbeit (Künstliche-Intelligenz-Gesetz). Außerdem hat sich die Bundesregierung ohnehin vorgenommen, etwa die Medien- und Telekommunikationsgesetzgebung zu überarbeiten.

Wenn die Bundesregierung es mit einer starken Plattformaufsicht ernst meint, sollte sie Kompetenzen dafür im DSC gezielt aufbauen und zusammenführen, damit eine spezialisierte, eigenständige Aufsichtsstelle entsteht. Diese Stelle könnte sich unter anderem auf die Besonderheiten algorithmischer Inhaltemoderation oder von Empfehlungssystemen konzentrieren, ohne zugleich ihre angestammten Aufgaben weiter erfüllen zu müssen. Auf diese Weise anzuerkennen, dass für digitale Dienste – wie für viele andere Branchen auch – eine eigene Aufsichtsstelle sinnvoll ist, würde die Umsetzung des DSA stärken. Es wäre auch ein erster Schritt, um den allgemeinen Reformstau in Sachen Plattformregulierung hierzulande aufzulösen. Eine solche fachlich starke und gut ausgestatte unabhängige Stelle ist nötig, um Plattformen in Deutschland zu beaufsichtigen und auf EU-Ebene die Kommission bestmöglich dabei zu unterstützen.

Erschienen bei: 
Stiftung Neue Verantwortung
10. Oktober 2022
Autor:in: 

Dr. Julian Jaursch

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