Deutschlands Plattformaufsicht im Aufbau: Hintergrundgespräch mit Andrea Sanders-Winter (BNetzA)

Hintergrundgespräch

Deutschland setzt den „Digital Services Act“ der EU um und muss dafür eine nationale Aufsicht für Onlineplattformen aufbauen. Diese soll bei der Bundesnetzagentur angesiedelt werden, wie die Bundesregierung Anfang August 2023 in einem Gesetzentwurf vorschlug.

Wie kann die neue behördliche Einheit die Interessen und Rechte von Verbraucher:innen gegenüber Onlineplattformen durchsetzen? Was ist nötig, um einen guten Austausch zwischen diesem „Digital Services Coordinator“ (DSC) und anderen Behörden sicherzustellen? Reichen die angedachten Netzwerke mit Forschung und Zivilgesellschaft aus und wie kann darüber hinaus technische Expertise aufgebaut werden? Zu diesen und weiteren Fragen sprach SNV-Projektleiter Julian Jaursch am 06.09.2023 mit Andrea Sanders-Winter. Sie begleitet als Unterabteilungsleiterin für Internet und Digitalisierungsfragen bei der Bundesnetzagentur den Aufbau des deutschen DSC und steht im engen Austausch mit anderen Mitgliedstaaten, die aktuell eigene Aufsichtsbehörden planen.

Nachfolgend finden Sie die Aufzeichnung sowie das Transkript des Gesprächs. Das Transkript wurde für die Lesbarkeit leicht editiert.

 

- Beginn des Transkripts -

Dr. Julian Jaursch, Projektleiter bei der SNV: Ein herzliches Willkommen an Sie alle zum SNV-Hintergrundgespräch. Vielen Dank, dass Sie dabei sind. Heute geht es um den Digital Services Coordinator, den DSC. Der soll sich hierzulande um die Einhaltung des Digital Services Acts kümmern, den DSA. Ich vermute, dass die meisten von Ihnen mit diesen Abkürzungen schon vertraut sind, aber ich möchte trotzdem einen ganz kurzen Rückblick liefern, wie wir zum heutigen Punkt gekommen sind, also mit dem DSA in Kraft und mit dem Fokus jetzt auf der Umsetzung.

Der DSA ist das EU-Regelwerk für Onlineplattformen. Das erklärte Ziel ist es, ein „sicheres und transparentes Online-Umfeld“ zu schaffen. Es geht darum, EU-weite Regeln zu haben, die Verbraucher:innen schützen und die die Ausgestaltung der Plattformen nicht allein den Unternehmen selbst überlassen: zum Beispiel, was Beschwerdewege, was die Transparenz von Werbung, die Erklärung von algorithmischen Empfehlungssystemen angeht. Eine Reihe an Basisregeln gilt für alle Plattformen. Sehr große Onlineplattformen müssen spezielle zusätzliche Regeln erfüllen. Für diese zusätzlichen speziellen Regeln für die großen Plattformen ist die Europäische Kommission zuständig, dass die eingehalten werden. Und für die „nicht-sehr großen“ Onlineplattformen sind hauptsächlich die Mitgliedstaaten zuständig, jeweils dort, wo die Plattformen ihren Sitz haben.

Für diese Aufsichtsaufgaben können die Mitgliedstaaten durchaus mehrere Behörden benennen, die dafür zuständig sind, aber es kann eben pro Mitgliedsland nur einen einzigen Digital Services Coordinator geben. Dieser „Coordinator“ muss die nationalen Behörden koordinieren, er muss auch mit anderen DSCs in der EU zusammenarbeiten und er muss eben auch eigene Aufsichtsaufgaben übernehmen. Dazu zählt es beispielsweise bei Plattformen Verstöße zu ahnden, als zentrale Beschwerdestelle für die Verbraucher:innen zu fungieren und mögliche Anfragen aus der Forschung zu prüfen. Das ist also der Stand auf dem Papier. In der Praxis heißt das jetzt: Die Kommission sucht aktuell schon neue Leute, strukturiert Abteilungen um, hat sich ein Forschungszentrum für algorithmische Transparenz aufgebaut oder baut es sich auf. Und in den Mitgliedstaaten wird ebenfalls dran gefeilt, geeignete Aufsichtsstrukturen zu finden.

Damit sind wir auch schon bei der Situation in Deutschland. Auch hierzulande stellen sich die Fragen: Wo soll der DSC entstehen, wie kann seine Unabhängigkeit garantiert werden, wie soll er ausgestattet sein? Dazu hat das Digitalministerium Anfang August einen Gesetzentwurf vorgelegt, also zur Umsetzung des DSA in Deutschland, ein deutsches Digitale-Dienste-Gesetz. Kernvorschlag dieses Gesetzentwurfs ist es, dass der deutsche DSC als Koordinierungsstelle für digitale Dienste bei der Bundesnetzagentur in Bonn aufgebaut werden soll. Diese Stelle soll unabhängig sein, sie soll also keiner Weisung durch ein Ministerium unterliegen. Sie soll ein Forschungsbudget erhalten, sie soll auch einen beratenden Beirat erhalten. Diese Koordinierungsstelle muss mit zwei Bundesbehörden zusammenarbeiten und auch die Landesmedienanstalten haben eine Rolle in dem Entwurf.

Es gab mehrere Stellungnahmen zu diesem Gesetzentwurf, unter anderem auch von der SNV. Demnächst wird der Entwurf im Bundestag, auch in den Bundesländern, diskutiert und bis Anfang 2024 muss dann alles stehen, muss alles entschieden sein. Das heißt zum jetzigen Zeitpunkt ist der Gesetzentwurf also noch nicht beschlossen und es gibt noch viele offene Fragen. Aber dass diese Koordinierungsstelle kommt und dass sie bei der Bundesnetzagentur aufgebaut wird, das scheint ziemlich sicher. Deshalb laufen bei der Bundesnetzagentur auch schon Vorbereitungen für die DSC-Tätigkeiten.

Ich freue mich sehr, dass ich zu genau diesen Vorbereitungen und auch zu den vielen offenen Fragen, die es noch im Digitale-Dienste-Gesetzentwurf gibt, mit Andrea Sanders-Winter sprechen kann. Herzlich willkommen, Frau Sanders-Winter, vielen Dank, dass Sie dabei sind! Frau Sanders-Winter ist Unterabteilungsleiterin bei der Bundesnetzagentur, der BNetzA, und ist dort zuständig für Internet- und Digitalisierungsfragen. Sie hat in dieser Rolle die Diskussionen zum deutschen DSC, aber auch zu den Entwicklungen in anderen Mitgliedstaaten, sehr eng verfolgt, auch mitgestaltet, und deshalb freue ich mich sehr auf die Diskussion und auf die Fragen.

Bevor wir dazu kommen: noch ganz kurz ein paar Sätze zum Ablauf des Formats heute, des Gesprächs. In der ersten Hälfte, für circa 30 Minuten, werde ich Frau Sanders-Winter einige Fragen stellen und die verbleibenden 30 Minuten sind dann den Fragen von Ihnen aus dem Publikum gewidmet. Ihre Kameras und Mikrofone sind aus, deshalb bitten wir Sie, die Fragen schriftlich zu stellen. Das geht über die Frage-und-Antwort-Funktion, F&A. Sie können Ihre Fragen anonym stellen, Sie können auch gerne Ihren Namen oder Organisation angeben. Fragen sind auf Deutsch und auf Englisch möglich. Und Sie können auch über die eingereichten Fragen abstimmen, das hilft uns dabei, eine Vorstellung dafür zu bekommen, was Sie am meisten interessiert, und ich gebe die Fragen dann an Frau Sanders-Winter weiter. Damit starten wir nun. Ich begrüße noch mal ganz herzlich unseren Gast. Hallo, Frau Sanders-Winter, und danke noch mal, dass Sie heute dabei sind.

Andrea Sanders-Winter, Unterabteilungsleiterin Internet und Digitalisierungsfragen bei der Bundesnetzagentur: Vielen Dank, Herr Jaursch, für die Gelegenheit hier zum Austausch. Ich glaube, es ist ein wichtiges Thema, weil der Digital Services Act natürlich neben dem Digital Markets Act, die zweite Säule der Plattformregulierung, ein wesentlicher, wichtiger Baustein ist in der Digitalgesetzgebung auf EU-Ebene. Und wir sind alle, glaube ich, sehr gespannt, wie sich diese neuen Vorgaben dann in der Praxis umsetzen lassen.

Ich muss gleich als erstes dazu sagen, und Sie haben es schon einleitend erwähnt, es ist ein laufendes Gesetzgebungsverfahren. Das heißt, dass die Bundesnetzagentur hier eine Rolle spielen soll als Digital Services Coordinator, ist der Vorschlag des federführenden BMDV. Aber das ist ja letztlich eine Entscheidung des Gesetzgebers. Wir haben noch nicht mal einen Kabinettsbeschluss und dann müssen wir schauen, wie sich das Gesetzgebungsverfahren weiterentwickelt. Ob es dann hinterher die Bundesnetzagentur wird und in welcher Form, das ist alles noch ein bisschen offen. Deswegen bitte ich meine Äußerungen auch unter diesem Disclaimer zu verstehen. Aber ich freue mich auf die Diskussion.

Zum Aufbau des DSC bei der Bundesnetzagentur: „Wir haben etwas, auf dem wir aufbauen können, aber wir müssen daran arbeiten“

Julian Jaursch: Danke für den Hinweis. Das war, glaube ich, noch mal eine ganz gute Bestätigung dafür, dass wir uns wirklich noch in einem Prozess befinden und deshalb ist es auch super, dass wir jetzt schon dazu sprechen können und auch die Rolle der BNetzA, sollte dort eben die Koordinierungsstelle aufgebaut werden, dass wir die heute vielleicht etwas beleuchten können. Wie gesagt mit der Vorwarnung, dass es noch nicht alles entschieden ist.

Aber starten wir auch direkt mal mit der BNetzA und eben dieser Möglichkeit, dass dort der DSC aufgebaut wird. Das zeichnete sich ja schon länger ab. Die BNetzA ist schon länger im Rennen, dass dort der DSC aufgebaut werden kann. Gleichzeitig war aber auch immer klar, dass keine deutsche Behörde auf einen Schlag alle Kriterien und Anforderungen, die ein DSC haben muss, erfüllen kann. Das heißt: Egal welche Behörde dann den Zuschlag bekommen hätte, es müssten ja immer Anpassungen, Umbauten geben. Das kam in mehreren Gutachten raus, auch bei einer SNV-Analyse. Zu so einem Umbau hatte die BNetzA, wenn ich das richtig mitbekommen hatte, immer betont, dass sie das könnte. Also die Bewerbung, wenn ich das mal so sagen darf, war ungefähr so: “Wir sind eine ziemlich große Behörde, wir haben viel Erfahrung zur EU-Gesetzgebung, wir haben auch ein Netzwerk auf EU-Ebene, wir haben in gewisser Weise einen Verbraucher:innenschutz-Fokus und wir kennen uns gut mit der Aufsicht von großen Unternehmen aus“.

Dem gegenüber standen und stehen aber auch einige Schwächen. Die BNetzA an sich ist keine unabhängige Behörde, so wie es der DSA fordert. Bislang drehte sich die Arbeit ziemlich stark oder stärker um zum Beispiel Telekommunikationsunternehmen, weniger um soziale Netzwerke. Generell ist Digitalisierung historisch gesehen erst relativ kurz im Portfolio der BNetzA. Und auch spezielle Aufgaben aus dem DSA - Trusted Flagger, Akkreditierung von Forschenden, Plattformdesign - ist ja nicht unbedingt im Aufgabenspektrum der BNetzA. Deshalb meine erste Frage: Wie gehen Sie mit diesen Schwächen des eigenen Hauses um? Ist es überhaupt möglich jetzt schon kurzfristig, aktuell in diesem Prozess, den Sie ansprachen, diese Schwächen anzugehen und die dann auch langfristig möglicherweise zu mindern?

Andrea Sanders-Winter: Ich lasse jetzt mal dahingestellt sein, ob ich das als Schwächen bezeichnen würde oder nicht. Ich glaube, die Bundesnetzagentur hat relativ starke thematische Bezüge zum DSA per se gehabt. Sie haben inhaltlich gesagt, wir sind eine große Behörde. Ich glaube auch behaupten zu dürfen, wir sind ein relativ starker Player mit einer Menge interdisziplinärer Expertise, stark vernetzt auch national beziehungsweise auf europäischer Ebene. Auf diesen Dingen können wir natürlich aufbauen. Das ist etwas, wo man definitiv Synergieeffekte erzielen kann. Ich bin allerdings auch bei Ihnen, dass das Portfolio des DSA noch sehr viel weiter geht. Nun ist aber die Bundesnetzagentur nicht nur eine klassische Regulierungsbehörde, Thema klassische Regulierung, Telekommunikation, Energie, Bahn und Post, sondern seit einigen Jahren widmen wir uns auch den Themen Digitalisierung. Gerade meine Unterabteilung, Thema Internet und Digitalisierung, beschäftigt sich damit und hat sich seit einigen Jahren mit dem Thema digitale Dienste auseinandergesetzt. Also nicht nur unter dem technischen Gesichtspunkt, sondern auch Förderung von Technologien, auch Umsetzung von EU-Vorgaben, Geoblocking ist ein gutes Beispiel, oder Netzneutralitätsvorgaben, aber auch die Rolle von Daten. Wir haben über den Tellerrand geguckt, jenseits der klassischen Telekommunikation, und haben uns mit dem Thema Digitalisierung auseinandergesetzt. Ich glaube auch hier können wir aufsetzen.

Ein gutes Beispiel ist auch das Plattform-Monitoring, was wir seit einigen Jahren betrieben haben. Warum haben wir das gemacht? Weil wir von vornherein gesagt haben, wir müssen uns erst mit diesen Dingen auseinandersetzen. Um eine Positionierung zu entwickeln, brauchen wir eine Plattformregulierung. Nur wenn man sich Plattformmodelle und digitale Geschäftsmodelle mit ihren Implikationen auf die Gesellschaft, auf den Wettbewerb, auf den Verbraucherschutz genau anguckt, kann man eine Position entwickeln. Das haben wir getan und haben uns in die Diskussion um die Plattformregulierung eingebracht. Und das hat dann, neben der Begleitung zum Beispiel des Digital Services Acts, zu dem Ergebnis geführt, dass das BMDV vorgeschlagen hat, uns hier zu positionieren. Ich bin allerdings auch bei Ihnen, dass wir natürlich jetzt nicht ad hoc mit vorhandenem Personal, mit allem, was wir haben, „ready“ sind, diese Aufgabe zu übernehmen.

Das ist ja ein Stück weit normal, denn es sind ja neue Vorgaben. Neue Vorgaben, die jetzt in der Praxis umgesetzt werden müssen. Und deshalb haben wir von vornherein gesagt, wir haben etwas, auf dem wir aufbauen können, aber wir müssen daran arbeiten. Wir müssen die Herausforderungen umsetzen, neues Personal rekrutieren, mit möglicherweise auch anderen Berufsbildern als das sonst üblicherweise in der Bundesnetzagentur vertreten ist. Da sage ich ganz ehrlich zu meiner Unterabteilung: Wir haben bereits schon Datenwissenschaftler und Informatiker - aber prozentual natürlich sehr viel weniger als Juristen, Ingenieure oder Ökonomen.

Deshalb glaube ich, dass man sich für die Aufgabe des Digital Services Coordinator noch mal breiter aufstellen muss. Nicht nur mit Blick auf Datenwissenschaftler und Informatiker, auch vielleicht andere Berufsgruppen. Ich sage jetzt mal Psychologen, Politologen, also Leute, die in der Lage sind, systemische Risiken auch richtig zu bewerten. Ich glaube, dass wir uns hier noch breiter aufstellen müssen, dass wir das Portfolio erweitern müssen und dass wir Expertise aufbauen müssen. Ich glaube, es wäre gelogen zu behaupten, Aufgaben wie im Bereich Trusted Flagger oder Datenzugang für Forschende sind wir diejenigen, die das alles schon wissen und können, sondern wir müssen uns auch in diese neuen Dinge einarbeiten. Ich glaube, es wäre unehrlich, etwas anderes zu behaupten.

Aufbaustab für den DSC: Organisatorische und inhaltliche Vorbereitung in der Bundesnetzagentur

Julian Jaursch: Darauf wollte ich hinaus, auf genau diese Vorbereitung und auch auf die Expertise, die gewünscht ist, die noch kommen soll. Können Sie da schon Einblicke geben? Wie habe ich mir das konkret vorzustellen? Die Besetzung, die Suche nach diesen Leuten, da ist Ihre Behörde natürlich nicht die einzige, die Fachleute sucht. Rekrutiert sich das aus der BNetzA, rekrutiert es sich aus bestehenden Fachleuten? Spreche ich jetzt gerade mit der zukünftigen Leiterin oder mit einer Mitarbeiterin des DSC?

Andrea Sanders-Winter: Was den Prozess anbelangt, ist es natürlich aktuell noch ein bisschen schwierig, weil, wie gesagt, der deutsche Gesetzgeber hier noch keine verbindliche Entscheidung getroffen hat. Insofern ist also die Diskussion um den Erfüllungsaufwand, um finanzielle und personelle Unterstützung, letztlich ja Entscheidung des Gesetzgebers. Wir können jetzt noch nicht davon ausgehen, dass wir XY Stellen bekommen, die wir schon ausschreiben können. Auf der anderen Seite ist der Zeitplan sehr eng. Wir wissen alle: Ende Februar tritt der DSA in Kraft. Man braucht einfach eine gewisse Zeit, um sich auf diese Dinge vorzubereiten, um handlungsfähig zu sein.

Deshalb bemühen wir uns um, ich sage jetzt mal, kreative Lösungen. Auch Beamte können kreativ sein, wenn es denn sein muss. Wir richten aktuell einen Aufbaustab ein, ziehen in diesen Aufbaustab Leute zusammen, also Personal zusammen, um die notwendigen Vorbereitungsarbeiten zu treffen.

Diese Vorbereitungsarbeiten sind unterschiedlichster Natur, zunächst einmal natürlich organisatorischer Natur. Dass wir konzeptionell überlegen müssen, wie soll dieser DSC im Februar gestaltet sein. Das ist etwas, wo wir wahrscheinlich vermutlich im Februar noch gar keine Entscheidung treffen müssen, sondern ich bin der Ansicht, dass es absolut hilfreich ist, zunächst einmal auch ein bisschen die Praxis abzuwarten, um Erfahrungen zu sammeln, um entscheiden zu können, brauchen wir mehr Leute in Einheit A oder in Einheit B. Der Vorteil eines Aufbaustabes ist deshalb: Wir ziehen diese Leute zusammen ohne eine feste Struktur zu haben. Wir haben eine gewisse Flexibilität oder Anpassungsfähigkeit in der Struktur.

Der zweite Bereich, was der Aufbaustab jetzt machen soll, ist natürlich die weitere inhaltliche Begleitung, weil ja auch auf EU-Ebene schon einige Weichenstellungen getroffen werden. Die EU-Kommission überlegt aktuell, die „delegated regulation“ für den Zugang von Forschenden zu Plattformdaten auf den Weg zu bringen. Wenn wir mitmischen wollen in diesem Geschehen, müssen wir uns natürlich inhaltlich einarbeiten in diese Themen, um das möglicherweise schon in unserem Sinne beeinflussen zu können.

Neben der weiteren inhaltlichen Arbeit haben wir schlicht IT-Verfahren, die vorbereitet werden müssen. Ab Februar erwarten wir natürlich eine Anzahl von Beschwerden. Der Verbraucher soll sich an diese Stelle wenden können. Es sollen Anträge gestellt werden von den Forschenden für Datenzugang oder es können Anträge gestellt werden zur Zertifizierung als Trusted Flagger oder als Streitbeilegungsstelle. Das wünschen wir uns natürlich nicht per E-Mail, per Brief oder sonst irgendwie auf analoge Art und Weise, obwohl das natürlich nicht ausgeschlossen ist, sondern wir würden gerne vorbereitet sein auf diese Aufgaben. Es müssen digitale Meldeformulare vorbereitet oder digitale Wege geschaffen werden, wie wir diese Arbeit erleichtern können. Deshalb müssen wir auch diese Vorbereitungsarbeiten letztlich jetzt auf den Weg bringen, damit wir dann im Februar einsatzfähig sein können.

Der Forschungsetat beim DSC: Auftragsvergabe an Forschende in einer „Vielzahl von Bereichen“

Julian Jaursch: Das sind schon sehr viele Punkte, die noch diskussionswürdig sind. Da gab es ja schon viele Vorschläge, wie Meldewege funktionieren können, wie auch die Beschwerdestelle ausgestaltet sein kann. Ich würde jetzt aber zunächst einen Punkt rausgreifen. Sie hatten das angesprochen, die Forschungstätigkeit, die möglicherweise ein DSC auch machen kann. Das ist ja im DSA, wie sie erwähnt hatten, bewusst so angelegt, dass die Digital Services Coordinators in den Mitgliedstaaten bei sehr großen Onlineplattformen Daten anfragen können, um diese Plattformen besser verstehen zu können, aber auch die Risiken dieser Plattformen besser verstehen zu können.

Im deutschen Gesetzentwurf zum DSA ist ein Forschungsbudget bei der Koordinierungsstelle vorgesehen, mehr wird dazu allerdings nicht gesagt. Es sind sehr viele Fragen, zumindest für mich, offen. Ich halte das für grundsätzlich sinnvoll, dass es diesen Fokus gibt, um die Forschung, um die Expertise zum DSC zu holen. Können Sie dazu was sagen? Wie könnte ein Forschungsetat, ein Forschungsbudget dabei helfen, diese Datenanalysen, von denen Sie sprachen, die Datenzugangsanfragen der Forschenden zu bearbeiten? Gibt es dafür schon erste Ideen? Geht es um eigene Forschung, die die Koordinierungsstelle machen soll, um Förderung von externer Forschung, beides?

Andrea Sanders-Winter: Da muss man zwei Dinge auseinanderhalten. Der Artikel 40 des DSA regelt nicht nur den Zugang von Forschenden zu Plattformdaten, sondern regelt in den ersten Absätzen auch den Zugang des DSC zu Forschungsdaten. Da befinden wir uns gerade im Abstimmungsgespräch mit den anderen DSCs, wie wir diese Dinge nutzen sollen. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Tool für den DSC, um einschätzen zu können, wo systemische Risiken liegen, wie man die Plattform besser einschätzen kann. Das ist allerdings etwas, wofür wir keine Finanzmittel vorgesehen haben, sondern das ist sozusagen die Aktivität des DSC mit dem Datenzugang selbst zu forschen, da also Expertise aufzubauen, um das bei den Aktivitäten des DSC anzuwenden.

Der Forschungsetat, der von uns vorgeschlagen wurde, ist ein Etat, um Forschung zu ermöglichen, die wir vergeben, also die der DSC als Auftragsvergabe an Forschende vergibt. Auch das ist etwas, was nicht neu ist für die Bundesnetzagentur. Wir haben aktuell schon, je nach Haushaltslage, Budget für Forschung zur Verfügung. Gerade in meiner Unterabteilung vergeben wir regelmäßig mehrere Studien im Jahr für Bereiche, wo wir entweder sagen, es langt die Kapazität nicht, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, oder weil wir schlicht nicht die Expertise haben, das zu tun. Das vergeben wir dann als Fremdforschung. Für die Finanzierung solcher Fremdforschung hätten wir gerne einen eigenen Forschungsetat.

Auch das ist allerdings aktuell in der Diskussion. Es gibt auch Stellungnahmen, die das sehr kritisch sehen, weil ein solcher Forschungsetat natürlich vom DSA nicht vorgegeben ist, also er ist nicht zwingend. Wir haben das in die Diskussion gebracht und der BMDV hat es aufgenommen dankenswerterweise, weil wir der Ansicht sind, es wird eine Vielzahl von Bereichen geben, wo wir uns durch externe Forschung bei unserer Arbeit unterstützen lassen können und wo vielleicht weder das Personal noch die zeitliche Kapazität ausreicht, sich vertieft mit einem Thema zu beschäftigen. Wenn man dann die Möglichkeit hat, Studien zu vergeben, die uns helfen können bei den neuen Aufgaben, wäre das aus unserer Sicht sehr zu begrüßen.

Der Beirat beim DSC: „Problematisch“, wenn Unternehmen vertreten sind

Julian Jaursch: Das wird auf jeden Fall spannend zu gucken, ob dieser Forschungsetat auch im finalen Gesetz ist und ob es dann noch Konkretisierungen gibt. Das war ja auch ein Vorschlag, eine Forderung vieler wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen, lange bevor der Gesetzentwurf da war, dass es so eine Art Forschungsschwerpunkt auch beim Koordinator geben könnte.

Das leitet mich auch über zu einem weiteren Punkt, den ich ansprechen wollte. Und zwar die Beteiligung von externen Fachleuten, sei es aus der Wissenschaft, sei es aus der Zivilgesellschaft. Dafür sieht der Gesetzentwurf im aktuellen Stadium vor, einen Beirat zu etablieren, der aus Fachleuten bestehen soll, aus Wirtschaft, Wissenschaft Zivilgesellschaft. Er soll berufen werden vom Digitalministerium auf Vorschlag des Digitalausschusses im Bundestag.

Welche Rolle dieser Beirat genau einnehmen kann und soll, bleibt zumindest aus meiner Sicht noch etwas vage. Das Anforderungsprofil der Mitglieder und auch die Aufgaben könnten detaillierter sein, aus meiner Sicht. Es ist auch unklar, was mit diesen Empfehlungen des Beirats passiert. Wenn diese Unklarheiten bestehen blieben, wäre das dann nicht nur eine Vortäuschung von Beteiligung Externer, wenn man gar nicht weiß, was mit den Empfehlungen und Ausarbeitungen des Beirats überhaupt passiert?

Andrea Sanders-Winter: Das sehe ich nicht so. Die Bundesnetzagentur hat ja Erfahrung mit Beiräten. Ich meine jetzt speziell unseren wissenschaftlichen Beirat, der heißt nicht Beirat, sondern wissenschaftlicher Arbeitskreis, aber letztlich ist es das gleiche Wort. Durch diesen wissenschaftlichen Arbeitskreis wird die Bundesnetzagentur bei ihren Tätigkeiten wissenschaftlich begleitet. Das ist, glaube ich, so ein bisschen ein Vorbild für diesen Vorschlag beim Beirat, allerdings ist die Zusammensetzung eine andere. Während der wissenschaftliche Arbeitskreis, den wir aktuell bei der Bundesnetzagentur haben, ein reiner wissenschaftlicher Beratungskreis ist, wollte man den Teilnehmerkreis des Beirates erweitern.

Ich halte das grundsätzlich für einen richtigen Ansatz, weil eben auch Vertreter aus der Zivilgesellschaft, jetzt nicht nur Professoren, Universitäten, sondern eben auch vielleicht andere Stakeholder eine wichtige Rolle einnehmen werden bei der Beratung des künftigen DSC. Ich halte es für sinnvoll, dass man ein solches Gremium einrichtet, weil es ein ständiges Beratungsgremium ist.

Wir haben natürlich zahlreiche weitere Dialogformate, die die Bundesnetzagentur nutzt und auch aktiv weiter nutzen wird. Konsultationen, Workshops zu spezifischen Themen, da ist man ja recht flexibel, wen man zu welchem Thema konsultiert oder wo man sich die Beratung holen möchte. Gleichwohl halte ich ein ständiges Beratungsgremium für extrem wichtig. Ich glaube, wir sollten es paritätisch besetzten. Aus meiner persönlichen Sicht - und auch da sind ja viele Dinge noch im Unklaren - halte ich es für problematisch, wenn Vertreter der Adressaten des DSA in einem solchen Beirat vertreten sind.

Julian Jaursch: Also die Unternehmen selbst?

Andrea Sanders-Winter: Genau, die Unternehmen selbst. Aus meiner Sicht sollte das ein Gremium sein von Verbänden, also Verbraucherschutzverbänden, von Vertretern der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft. Da ist, glaube ich, der Bedarf für eine Beratung offensichtlich.

Was die Verbindlichkeit und was die konkrete Funktion anbelangt, ist es hilfreich, dass der Beirat eher grundsätzliche Fragestellungen beantwortet und nicht einbezogen wird in einzelne Verfahren, also bestimmte Verfahren, die eröffnet werden gegen einen regulierten Adressaten. Das ist, glaube ich, nicht Aufgabe eines solchen Beratungsgremiums. Aber gerade die Frage zur Bewertung systemischer Risiken ist etwas, wo man möglichst breite Einbeziehung und Konsultation von beteiligten Stakeholdern benötigt. Für solche Dinge grundsätzlicher Natur, können wir einen solchen Beirat sehr gut gebrauchen.

Julian Jaursch: Das habe ich völlig verstanden. Ich glaube, da besteht auch weitgehend Konsens, wenn ich mir die Stellungnahmen angucke, dass diese generelle Sinnhaftigkeit eines ständigen Gremiums da ist.

Aber gerade wenn Sie sagen, es geht um grundsätzliche Fragestellungen, bei denen der Beirat beratend da sein sollte, dann fehlt mir zumindest noch eine gewisse stärkere Verbindlichkeit, wo gesagt wird, „Okay, das, was da beraten wird, das, was da empfohlen wird, das, was der Beirat als Studie herausgibt, das muss doch der DSC wenigstens zur Kenntnis nehmen“. Da muss es doch wenigstens eine Reaktion darauf geben, vielleicht eine Begründung warum es genutzt wird oder nicht genutzt wird. Das fehlt im Entwurf noch. Da wäre vielleicht noch ein Punkt, wo Verbesserung noch nötig wären.

Andrea Sanders-Winter: Das ist jetzt für mich eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Das machen wir ja mit unserem wissenschaftlichen Beirat auch. Wenn unser wissenschaftlicher Beirat eine Stellungnahme zu einem Thema, was für die Bundesnetzagentur relevant ist, zu einer Aktivität, zu Plänen der Bundesnetzagentur abgibt, natürlich nehmen wir die zur Kenntnis. Wozu lassen wir uns beraten, wenn wir das dann nicht zur Kenntnis nehmen? Ich glaube, es ist eher ein Gremium, wo man offen diskutieren kann, wo man Fragen ansprechen kann. Und wenn es dann Empfehlungen gibt, dass natürlich der DSC diese Empfehlungen nicht nur so zur Kenntnis nimmt, sondern sozusagen in seine Aktivität einfließt. Das ist meines Erachtens Sinn und Zweck eines Beratungsgremiums. Wenn ich mich nicht beraten lassen will, dann brauche ich kein Beratungsgremium.

Zuständige Behörden und Zusammenarbeit: Ein „starker DSC“ ist nötig für den Austausch mit der Kommission und anderen Behörden

Julian Jaursch: Ich sehe es ähnlich, ich finde wie gesagt nur, es könnte noch etwas stärker auch im Gesetzentwurf selbst drin stehen. Ich würde gerne noch ein weiteres Thema ansprechen. Zum Beirat gibt es noch viele weitere Fragen, was die Besetzung angeht, die Aufgaben, ja auch die paritätische Besetzung, wie Sie gesagt haben.

Ich würde aber zum Abschluss, bevor ich für Publikumsfragen öffne, noch einen Punkt ansprechen, den wir ganz am Anfang schon mal angeschnitten hatten. Das sind die Zuständigkeiten der Koordinierungsstelle und auch anderer Behörden. Da hatten wir schon gesagt, dass durchaus mehrere Behörden eine Rolle spielen können. Im Gesetzentwurf sind einige Sachen zu den Zuständigkeiten aus meiner Sicht ziemlich klar und andere noch ziemlich unklar. Was mir klar ist: Die Koordinierungsstelle bei der BNetzA scheint sehr klar drin zu stehen, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte eine Zuständigkeit hat, dass die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz eine Rolle hat, die Landesmedienanstalten werden ebenfalls ausdrücklich erwähnt.

Aber was unklar ist, ist wer eben noch eine Rolle als benannte zuständige Behörde bekommt. Das bezieht sich zum einen auf die Landesmedienanstalten, zum anderen aber auch auf das Bundesamt für Justiz, was ja für das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zuständig war. So wie ich es verstanden habe, hatte Ihr Haus, die BNetzA, eher dafür plädiert, dass man die Zuständigkeiten möglichst kompakt hält und nicht ganz so viele Behörden benennt, das kam auch in sehr vielen Stellungnahmen so durch, inklusive der von der SNV.

Nichtsdestotrotz finde ich die Frage wichtig: Wie kann denn sichergestellt werden, dass die Expertise aus dem Bundesamt für Justiz, aus den Landesmedienanstalten, von anderen Behörden einfließt, dass da wirklich die Koordination, die Kooperation funktioniert? Wie stellen Sie sich diesen Austausch zwischen Behörden unterschiedlicher Regulierungsfelder und auf unterschiedlichen politischen Ebenen in der Praxis vor?

Andrea Sanders-Winter: Auch da muss man unterscheiden, in welchem Bereich wir uns befinden. Wir haben einleitend gesagt, der DSC ist eine Behörde. Der DSA sagt, die Rolle des Koordinators wird einer Behörde übertragen. Ich glaube, da ist der DSA eindeutig und diese Rolle soll nach der aktuellen Fassung des Gesetzes an die Bundesnetzagentur gehen. Hier wird die Bundesnetzagentur natürlich sowieso koordinierend tätig. Das sagt das Wort, Digital Services Coordinator. Wir koordinieren nationale Behörden, wir koordinieren uns mit anderen DSCs, mit der EU-Kommission.

Auch hier muss man unterscheiden: Die Justiz- und Verwaltungsbehörden sind weiter für die Entfernung illegaler Inhalte zuständig. Der DSA umfasst so viele Regelungsbereiche und der DSC möchte nicht zuständig werden für die Entfernung dieser Inhalte. Also, die Regelungsbereiche bei Marktplätzen - illegale Produkte - oder auf Social Media -illegale Inhalte. Hier bleiben die Behörden, die bislang zuständig sind, also seien es die Landesmedienanstalten, seien es Veterinärämter für Tierschutzverstöße, für Pflanzenschutz, Sie können sich vorstellen, was immer Sie möchten, diese Behörden bleiben weiter dafür zuständig. Allerdings soll die Information über Entfernungsanordnung an den DSC gemeldet werden, damit er den Gesamtüberblick erhält.

Er soll also mit der koordinierenden Rolle nicht nur Leute zusammenbringen und sich austauschen, sondern er soll einen Gesamtüberblick haben über die Situation. Das war auch der Grund, weshalb wir gesagt haben, wir sind für einen starken DSC, der wirklich komplett die Übersicht behält. Deshalb haben wir dafür plädiert, die neuen Aufgaben, die nach dem DSA, jedenfalls theoretisch, auch anderen Behörden hätten zugewiesen werden können - also zu „dark patterns“, Onlinewerbung, da war ja nicht zwingend vorgegeben, dass das der DSC mitmacht – [beim DSC anzusiedeln], weil wir gesagt haben, dann ist alles aus einem Guss, wir haben alles in einer Hand, wir haben die Nähe zum Geschehen und wir erhalten diesen Gesamtüberblick, der wichtig ist, um zum Beispiel im Board über systemische Risiken oder auch im Austausch mit der Kommission und den anderen DSCs sich richtig positionieren zu können. Deshalb haben wir uns gegen eine fragmentierte Behördenlandschaft ausgesprochen.

Zum Bundesamt für Justiz lassen Sie mich nur insofern sagen: Es ist natürlich insoweit ein Problem, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz einer Definition folgt und Aufgaben folgt, die ein Stück weit jetzt einfach durch den DSA überholt worden sind. Deshalb glaube ich, wollen wir mitnichten, dass das Wissen und die Expertise im Bundesamt für Justiz verloren gehen. Ich glaube, dass das Bundesamt für Justiz hier gute Arbeit geleistet hat, die man auch nutzen soll und die auch einfließen soll in die weiteren Tätigkeiten des DSC. Ich überlasse es der Politik zu entscheiden, ob das durch Wissens- und Personaltransfer, Stellentransfer oder wie auch immer das geschehen soll, es ist ja ein offener Punkt, der einfach noch diskutiert werden muss.

Julian Jaursch: Neben den anderen Thematiken, die wir schon angeschnitten hatten - Beirat, Forschung - ist gerade auch die Frage zu den Zuständigkeiten eine, die im weiteren politischen und gesetzgeberischen Prozess auf jeden Fall noch eine Rolle in der Debatte spielen wird. Auch dazu könnten wir sicherlich nachmittagsfüllend sprechen, aber ich möchte gerne die Publikumsfragen hiermit eröffnen und nochmal die Zuschauenden, Zuhörenden ermuntern, nutzen Sie bitte die F&A-Funktion, um Ihre Fragen zu stellen. Hier auch noch mal der Hinweis, wir zeichnen das Gespräch auf und werden ein Transkript haben, aber dort werden wir Ihre Namen nicht veröffentlichen.

Der DSC als zentrale Beschwerdestelle: „Gucken, was Verbraucher:innen wirklich dient“

Julian Jaursch: Frau Sanders-Winter, danke schon mal bis hierher für unser Gespräch und ich gehe jetzt in den moderierten Teil über. Es kam eine inhaltliche Frage: Würde der DSC Beschwerden von Verbraucher:innen weiterleiten, wenn diese in die Zuständigkeit der Kommission fallen? Ist dieser Prozess so vorgesehen?

Andrea Sanders-Winter: Ja, sicher. Wir müssen natürlich gucken, wofür ist der DSC als zentrale Beschwerdestelle zuständig. Es kann durchaus die Situation entstehen, dass es die EU-Kommission, der irische DSC oder auch eine andere nationale Behörde wie der BfDI nach dem aktuellen Stand, nach der Zuständigkeit für profilbasierte Werbung, zuständig wird. Dann muss der DSC diese Beschwerde weiterleiten dorthin, wo sie bearbeitet werden kann. Denn der DSC kann keine Beschwerde beantworten, wenn er inhaltlich nicht zuständig ist.

Der Gesetzentwurf sieht allerdings vor, dass der DSC Ansprechpartner bleibt während des Verfahrens, beziehungsweise wenn das von dem Verbraucher gewünscht ist, damit man die Entscheidung, wer ist jetzt die zuständige Stelle, nicht dem Verbraucher überantwortet, sondern sich weiter an den DSC wenden kann, um nachzufragen: Wie ist der Sachstand, gibt es schon eine Entscheidung über die Beschwerde, ja oder nein?

Julian Jaursch: Hier gab es ja gerade zu dem Punkt, den Sie angesprochen haben - wenn es „auf Wunsch“ der Verbraucherinnen ist - eine Sache, wo viele Verbraucherschutzverbände wie zum Beispiel der Verbraucherzentrale Bundesverband und andere gesagt haben, dass das eben gerade nicht „auf Wunsch“ sein sollte, sondern Standard sein sollte. Auch das, glaube ich, ist eine wichtige offene Frage für den weiteren Prozess, ob das so kommt oder nicht.

Andrea Sanders-Winter: Genau, lassen Sie mich dazu vielleicht ganz kurz sagen, ich glaube man muss so ein bisschen gucken, was wirklich dem Verbraucher denn auch dient. Denn wenn man eine zentrale Stelle schafft - und die Frage aus dem Publikum hat genau gezeigt, manchmal kann es Beschwerden geben, wofür der DSC nicht zuständig ist - ob dem Verbraucher dann damit geholfen ist, dass er die weiterleitet, jemand anderes die Beschwerde beantwortet und es immer wieder so ein Ping-Pong-Spielchen gibt - wie weit ist der Sachstand, was passiert? - da kann es natürlich Fälle geben, wenn der Verbraucher weiß, es ist nicht der DSC, es ist der BfDI, es ist vielleicht auch, es richtet sich die Beschwerde gegen eine Entfernungsanordnung auf kommunaler Ebene und er weiß genau wer dafür zuständig ist, dann kann dort ihm vielleicht auch schneller geholfen werden. Man muss so ein bisschen schauen, dass man zumindest ermöglicht, dass der Verbraucher seine Beschwerde direkt dorthin leiten darf, wo sie dann tatsächlich auch zuständig bearbeitet wird.

Anreize für Fachleute, beim DSC zu arbeiten: „Wir sind auf der guten Seite der Macht“

Julian Jaursch: Das ist verständlich. Es geht, glaube ich, wirklich um die Frage, überlässt man das zunächst den Verbraucher:innen, das zu entscheiden oder setzt man einen Standard fest.

Ich versuche, die weiteren Fragen im Schnellformat hier durchzuarbeiten. Es gab eine Frage zu dem Personal bei der BNetzA: Derzeit konkurrieren verschiedene Organisationen, Regulierungsbehörden, aber auch Konzerne, um dieselben Fachleute, Mitarbeiter:innen. Wie will die BNetzA hier konkurrenzfähig bleiben, auch hinsichtlich der Gehälter? Oder wird auch verstärkt darauf gesetzt werden, dass externe Beratung eingekauft wird?

Andrea Sanders-Winter: Nein, unser klares Ziel ist, dass wir das Personal als festes Personal rekrutieren und nicht auf Beratungsleistungen setzen. Ich sehe natürlich die Schwierigkeit gerade in dem Bereich, den wir vorhin angesprochen haben, Informatiker, Datenwissenschaftler, da ist es, glaube ich, auch ein Trugschluss zu glauben, dass die Bundesnetzagentur als öffentliche Stelle mit den Gehältern konkurrieren kann. Da ist es sicher richtig zu sagen, dass in der Privatwirtschaft mehr Geld verdient werden kann.

Wir versuchen allerdings durch andere Dinge, die man im Berufsbeamtentum vielleicht auf der Habenseite anbieten kann, sprich Vereinbarkeit von Familie und Beruf, flexible Telearbeitsangebote, viele Dinge, wo wir sagen können, hier versuchen wir die Betreffenden anzureizen bei uns einzusteigen. Das sind natürlich auch so ein bisschen Überzeugungstäter, wir sind auf der guten Seite der Macht. So gesehen versuchen wir tatsächlich Personal zu rekrutieren und versuchen alle Flexibilität des Beamten- und öffentlichen Dienstrechts, was wir haben, in die Waagschale zu werfen, hier Leute zu gewinnen.

Vielleicht am Rande die Bemerkung, die niederländischen Kollegen sind etwas weiter als wir und sind schon relativ weit im Personalrekrutierungsprozess. Sie haben erstaunlich viele Bewerbungen gerade für diesen Bereich erhalten. Ich glaube, dass die Sachaufgabe viele Leute tatsächlich auch interessiert und die Idee an der Umsetzung des „so called“ „digitalen Grundgesetzes“ mitzuwirken, ist vielleicht doch auch etwas, was die Personen überzeugt.

Inkrafttreten des DSA am 17. Februar 2024: „Der Zeitplan ist sehr eng“

Julian Jaursch: Wie realistisch ist es, dass das Digitale-Dienste-Gesetz in Deutschland pünktlich zum 17. Februar nächstes Jahr in Kraft tritt und was, wenn es nicht in Kraft tritt?

Andrea Sanders-Winter: Gute Frage. Ich bin nicht sicher, dass ich die richtige Person bin, das zu beantworten. Der Zeitplan ist eng, sehr eng. Das kann man, glaube ich, sagen. Allerdings haben die Kollegen aus dem BMDV ja auch das Thema Eilbedürftigkeit noch auf dem Tisch, also die Möglichkeit, diesen Gesetzentwurf als eilbedürftigen Gesetzentwurf zu deklarieren, was das Verfahren entsprechend beschleunigen kann. Aber ob das Ende Februar tatsächlich über die Hürden geht, wäre ein Blick in die Kristallkugel. Da wage ich keine Antwort.

Zusammenarbeit des DSC mit Forschenden: „Bereit für einen sehr engen Schulterschluss“

Julian Jaursch: Eine Frage aus der Forschung bezieht sich noch mal auf die Zusammenarbeit zwischen DSC und Forschenden. Hier wird gesagt, dass für die Implementierung des DSA eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen DSC und Forschenden nötig sein wird. Was ist momentan in der Planung, um genau diese Zusammenarbeit zu fördern?

Andrea Sanders-Winter: Ich glaube gerade mit Blick auf Artikel 40 brauchen wir eine sehr, sehr enge Kooperation mit Forschenden. Wir haben uns deshalb dieses Thema ganz oben auf die Prioritätenliste gesetzt. Ich habe es eingangs schon mal kurz erwähnt, dass wir auch mit der Kommission und mit anderen DSCs gerade daran arbeiten, diese „delegated regulation“ auf den Weg zu bringen. Unser Plan ist, zu diesen Vorschlägen die nationale Forschungscommunity weitgehend einzubeziehen. Wir sind da sehr, sehr offen für Workshops, für Abstimmungsgespräche. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, hier einen engen Austausch auf EU-Ebene, aber auch auf nationaler Ebene zu sichern. Das ist mit Sicherheit ein ganz, ganz wichtiges Thema auf EU-Ebene. Wir haben es eben schon mal erwähnt, wir arbeiten jetzt schon an der Vernetzung der anderen DSCs. Ich glaube, dass auch da die Kooperation mit den Forschenden ganz wichtig ist, denn viele der Forschungsprojekte sind ja keine nationalen Forschungsgruppen. Das kennen Sie alle sehr viel besser als ich. Da gibt es vielfach übergreifende Communities und Kooperationen. Ich glaube, dass wir da einen sehr engen Schulterschluss üben sollten und die Bundesnetzagentur ist jedenfalls bereit dazu.

Prognose des Beschwerdeaufkommens: „Naiv zu glauben“, es gebe nur mehrere tausend Beschwerden

Julian Jaursch: Das klingt vielversprechend, glaube ich, in den Ohren vieler Forschenden, die sich sowohl auf nationaler, als auch auf EU-Ebene schon koordinieren und zusammentun und Vorschläge erarbeiten und sich da auch, so wie ich das wahrnehme, gerne einbringen würden. Diese Zusammenarbeit wäre gut, wenn die möglichst bald im kommenden Jahr in die Wege geleitet wird.

Die nächste Frage dreht sich nicht um Forschung, sondern um das Beschwerdeaufkommen, ob es Prognosen gibt, wie das Beschwerdeaufkommen ab dem Februar 2024 sein könnte. Orientieren Sie sich da an den Erfahrungen aus dem Bundesamt für Justiz, höhere Zahlen werden erwartet, was ist da Ihre Prognose?

Andrea Sanders-Winter: Eine Orientierung an den bisherigen Erfahrungen nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz sind schwierig, weil ja der Anwendungsbereich des DSA sehr viel weiter ist. Ich nenne jetzt mal nur das Beispiel: Marktplätze und illegale Produkte sind ja vom NetzDG gar nicht abgedeckt. Gleichwohl muss man schauen, wir haben den Bereich der Social Media, die im Netzwerkdurchsetzungsgesetz angesprochen sind, allerdings beim Fokus „hate speech“, strafbare Inhalte, auch da ist der DSA sehr viel weiter.

Was wir bei der Schätzung des Erfüllungsaufwandes gemacht haben, ist eine Schätzung auf der Basis der Anbieter, die vom DSA erfasst werden. Auch da muss man im Grunde genommen schlicht eine bestimmte Anzahl annehmen, wie viel Verfahren wir bekommen werden. Das sind sehr vage Schätzungen, weil auch die bisherigen Erfahrungen nach dem NetzDG für Social Media ja nicht bei uns anlanden werden, sondern die „very large online platforms“, also die sehr großen Social Media, werden in die Zuständigkeit des irischen DSC fallen, während für die „kleineren“ Plattformen die Bundesnetzagentur zuständig ist.

Ob und wie weit wir hier gehen - ich würde ungern eine feste Zahl benennen. Wir gehen allerdings von einem hohen Beschwerdeaufkommen aus. Ganz einfach, weil wir viele Regelungsbereiche haben, wir haben unglaublich viele Bereiche, die abgedeckt worden sind, wir haben unglaublich viele Player, die vom DSA erfasst werden. Zu glauben, dass das mit mehreren hundert oder auch nur mit mehreren tausend Beschwerden erledigt wäre, ist, glaube ich, naiv. Nun ist die Bundesnetzagentur auch durchaus erfahren im Beschwerdemanagement mit mehreren hunderttausend Beschwerden. Aber es gilt hier zu schauen, dass wir das effizient und effektiv in den Griff bekommen. Deshalb ist einer der Gründe, warum wir an automatisierten IT-Verfahren arbeiten, um zu schauen, wie wir mit einem hohen Beschwerdeaufkommen tatsächlich in der Praxis umgehen.

Fachleute im Beirat beim DSC: „Müssen offen sein für Expertise“ zu systemischen Risiken

Julian Jaursch: Die nächste Frage würde ich gerne noch mal zum Beirat stellen. Hier kam ein Hinweis und eine Frage aus der Praxis. Und zwar aus dem Umgang mit geschlechtsspezifischer digitaler Gewalt aus dem Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Diese geschlechtsspezifische Gewalt ist im DSA explizit als systemisches Risiko benannt, wie auch in der Frage gesagt wurde, aber eben „nur“ für die sehr großen Onlineplattformen. Nichtsdestotrotz findet solche Gewalt auch auf anderen Plattformen statt.

Die konkrete Frage ist eben die Einbindung solcher Expertise, ob es Details gibt, wie der Beirat besetzt werden kann, ob es Bewerbungen dafür gibt. Vielleicht können Sie da noch mal ein bisschen beleuchten, welche unterschiedlichen Sichtweisen auf den Beirat es gibt. Als kurze Vorantwort: In den Stellungnahmen, die eingereicht wurden zum Gesetzentwurf, war die Besetzung des Beirats ein Thema, ob es dafür Bewerbungen geben soll, ob das durch das Parlament gemacht werden soll, ob das durch den DSC gemacht werden soll. Da gab es sehr unterschiedliche Ansichten. Vielleicht können Sie hier noch mal darauf eingehen, wie dieser Beirat, wie Sie ja eben auch schon gesagt hatten, Expertise einbringen soll, eben von genau diesen Fachleuten, die auch in der Praxis mit Betroffenen arbeiten.

Andrea Sanders-Winter: Ich glaube, dass hier noch relativ viel offen und in der Diskussion ist. Ich kann Ihnen leider nicht sagen, was das Ergebnis der Diskussion sein wird. Was ich aber glaube zum Thema ganz konkret, was Sie jetzt angesprochen haben, es gibt durchaus Bereiche aus der Zivilgesellschaft, die in den Plattformen vertreten sein sollten, die aber vielleicht nicht alle Themenbereiche abdecken. Sondern die jetzt spezialisiert sind auf ein bestimmtes, wie Sie zurecht gesagt haben, systemisches Risiko.

Ich kann mir vorstellen, dass die Anzahl der Vertreter der Zivilgesellschaft wie auch der Verbände erhöht wird gegenüber anderen Gruppen, die im Beirat vertreten sind. Weil es einfach so vielfältige Bereiche gibt, die aus der Zivilgesellschaft und aus den Verbänden adressiert werden können. Aber das ist natürlich zum Schluss einfach auch eine Zahl, eine Frage der Begrenzung. Wir werden nicht einen Beirat bekommen mit 30 Mitgliedern. Zum Schluss wird da eine Zahl stehen, ob es 16 ist oder mehr, das lassen wir jetzt mal dahingestellt sein. Und irgendwie müssen diese Plätze vergeben werden.

Ich glaube aber auch, dass das grundsätzlich ja nicht bedeutet, dass andere Bereiche, die vielleicht nicht große Teile des DSA abdecken, sondern nur spezifische Teile abdecken, dass wir mit diesen Kollegen und diesen Vertretern und diesen Gruppen keinen regelmäßigen Austausch pflegen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass gerade wenn es um systemische Risiken oder spezifische Bereiche von systemischen Risiken geht, dass die Bundesnetzagentur dann diese Vertreter zusätzlich einlädt zu Konsultationen, zu Gesprächen, wenn das auf der Tagesordnung des DSCs steht, weil eben Berichte ausgewertet werden, weil Berichte verfasst werden, weil entsprechende Gespräche im Board stattfinden. Das eine schließt das andere nicht aus. Ich glaube, dass wir offen sein sollten eben auch für weitere Player, insbesondere wenn es darum geht, das systemische Risiken bewertet werden sollen.

Julian Jaursch: Vielleicht an der Stelle doch zwei kurze Anmerkungen von mir, weil Sie das jetzt auch angesprochen hatten - die systemischen Risiken und auch die Frage, ob man auf ein spezifisches Thema schaut oder eine eher größere Perspektive hat. Diese Differenzierung ist wichtig und sollte in diesem Fall aber aus meiner Sicht auch im Beirat abgebildet werden. Dass eben genau diese unterschiedlichen Sichtweisen nach unterschiedlichen Risiken, nach unterschiedlichen Nutzer:innengruppen von unterschiedlichen Plattformen, dass da eben Wissen eingespeist werden kann.

Den zweiten Punkt, den Sie ja ganz am Anfang auch schon mal gemacht hatten, würde ich auch noch mal unterstreichen, dass neben dem Beirat ja weitere Formate vorhanden sein müssen. Auch das, finde ich, könnte im Gesetzentwurf noch deutlich herausgestellt werden. Wenn Sie das in der Praxis ohnehin so leben, gut. Aber da wirklich noch mal zu sagen, natürlich gibt es neben dem Beirat auch andere Möglichkeiten, an die Koordinierungsstelle heranzutreten[, wäre sinnvoll.]

Kein politischer Beirat beim DSC: Die Bundesländer werden nicht beteiligt

Julian Jaursch: Eine weitere kurze Frage zum Beirat war noch, ob die Bundesländer beteiligt sind. Mein Wissensstand ist, dass es nicht der Fall ist. Haben Sie da andere Informationen?

Andrea Sanders-Winter: Nein, die Konzeption des Beirates ist ja eben ein Beratungsgremium aus Verbänden, Wissenschaft und nicht aus der Politik. Wir haben auch bei der Bundesnetzagentur, das wissen Sie, einen politischen Beirat. In diesem politischen Beirat sitzen Länder, Ministerien, Vertreter aus dem Bundestag. Da geht es um die politische Beratung. Hier beim DSC ist der Beirat als ein Fachberatungsgremium gedacht und eben nicht auf der politischen Ebene, deshalb sind die Bundesländer hier nach dem Gesetzentwurf nicht vorgesehen.

Der Zustellungsbevollmächtigte des NetzDG: Sinnvoll – aber auch europarechtskonform?

Julian Jaursch: Eine Frage, die wir noch gar nicht angesprochen hatten, würde ich gerne noch kurz aufwerfen: zu den Zustellungsbevollmächtigten. Das ist eine Regelung aus dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, dass eben Plattformen auch in Deutschland Personen benennen müssen, an die sich Stellen wenden können. Es gibt eine Diskussion darum, ob, und wenn ja, wie das in Deutschland umgesetzt werden kann. Die Frage, die hier gestellt wird, ob Sie dazu eine Position haben oder wie Sie zu den unterschiedlichen Diskussionspunkten stehen?

Andrea Sanders-Winter: Das ist ja der Punkt, der seit geraumer Zeit diskutiert wird und hier sehen wir, glaube ich, auch wirklich eine Diskrepanz zum DSA, der ja eigentlich davon ausgeht, dass die betroffenen Adressaten einen gesetzlichen Vertreter benennen. Aber was das eben nicht abdeckt, ist einen Zustellungsbevollmächtigten, eine Regelung, die wir sinnvollerweise im Netzwerkdurchsetzungsgesetz hatten. Das wirft praktische Fragen auf. Da geht es insbesondere um zum Beispiel zivilrechtliche Ansprüche, wenn man keinen Zustellungsbevollmächtigten in Deutschland hat, wie diese Ansprüche durchgesetzt werden sollen.

Ich habe deshalb Verständnis für die Diskussion, dass diese Regelung des NetzDG, eine wirklich sinnvolle Regelung, möglicherweise beibehalten werden soll. Das muss man aber prüfen unter dem Thema, ist das europarechtlich korrekt, das zu tun, weil es eben von dem Ansatz des DSA abweicht. Aber ich sage jetzt mal, wir haben kluge Köpfe in den Ministerien, die dazu sicher eine Meinung haben und das dann final entscheiden werden.

Auch vor endgültiger Benennung: Erste Vernetzung unterschiedlicher „Proto-DSCs“ im Gange

Julian Jaursch: Danke für die Einschätzung. Ich möchte mit zwei Fragen schließen. Eine Frage lautet, ob es Leitlinien, Leitfäden zur Benennung der „trusted flagger“ geben wird. Das sind vertrauenswürdige Hinweisgeber:innen, deren Berichte über potenziell illegale Inhalte prioritär behandelt werden. Der DSA eröffnet diese Möglichkeit für Leitlinien. Können Sie dazu was sagen, was geplant ist?

Damit verbunden erlaube ich direkt noch die zweite Frage anzuschließen. Und zwar, dass die Europäische Kommission schon angedeutet hat, dass sie zumindest nächstes Jahr die Durchsetzung des DSA nicht alleine wird stemmen können und da wirklich sehr auf die Mitgliedstaaten angewiesen ist. Wie ist da der Austausch mit der Kommission gerade für die Aufsicht auch bei den VLOPs? Ich versuche diese Fragen zu verbinden, weil beide auch mit der Kommission, mit den weiteren DSCs zu tun haben. Können Sie dazu bitte noch zum Abschluss was sagen?

Andrea Sanders-Winter: Das kann ich. Wir haben begonnen, uns zu vernetzen mit anderen sogenannten „future DSCs“, also Proto-DSCs, wie sie auf EU-Ebene neuerdings heißen. Weil wir glauben, dass es einfach Sinn macht, dass wir viele Dinge, etwa die Interpretation der Auslegungskriterien für „trusted flagger“ auf EU-Ebene, in einer koordinierten Weise [anzugehen].

In dem Kontext ist tatsächlich auch schon die Frage aufgetaucht, wird es Leitlinien geben von der Kommission. Die Kommission ist aktuell eher zurückhaltend bei den Leitlinien, weil sie erst praktische Erfahrungen sammeln will, um dann mit einem Entwurf von Leitlinien aufzuwarten. Wir, in der Diskussion mit den anderen DSCs, sind eher der Ansicht - und das werden wir eben bei der EU-Kommission auch entsprechend anbringen - dass es hilfreich für die Auslegung der Kriterien ist, also schon für den ersten Schritt, Absatz zwei sozusagen, sich hier abzustimmen und hier relativ frühzeitig mit einem gemeinsamen Verständnis zu starten. Ob man das dann in Form von Leitlinien der EU-Kommission macht oder ob die DSCs sich selber Leitlinien setzen für ein gemeinsames Verständnis, das kann letztendlich aus meiner Sicht offenbleiben. Wenn die Kommission sagt, sie schafft es kapazitätsmäßig nicht, weil viele andere Dinge anstehen, dann müssen wir uns eben selbst verständigen auf einen konsistenten Ansatz.

Was die Arbeit der Kommission anbelangt, ist ja jetzt schon ein Prozess im Gange, dass Kollegen aus den Mitgliedstaaten zur Kommission „angeworben“ werden, abgeordnet werden zum Teil, also zur Verstärkung, damit die Kommission im nächsten Jahr vollständig einsatzfähig ist. Auch das ist nichts Neues. Es gibt auch regelmäßig Abordnungen von der Bundesnetzagentur zur Kommission. Das passiert aber auch auf Ebene der Ministerien, jeder, der Interesse hat bei dem Thema mitzuwirken, da gibt es Möglichkeiten, das flexibel zu gestalten.

Es gibt aber neben diesem Personalwechsel oder Transfer, wenn es auch zeitlich befristet ist, auch noch die Diskussion, ob wir uns sozusagen eine gewisse Arbeitsteilung vorstellen könnten bei der Aufsicht über die besonders großen Plattformen. Auch hier ist die Kommission der Ansicht, dass sie viele Dinge, die vielleicht im Vorfeld passieren, auf die nationalen DSCs übertragen könne - dass sie quasi erst wenn feststeht, es wird ein offizielles förmliches Verfahren eingeleitet, das Verfahren an sich zieht und Vorgespräche, Sachverhaltsaufklärung, solche Dinge auf die jeweiligen nationalen DSCs überträgt. Auch da sind wir im Austausch mit der EU-Kommission. Wir können uns da durchaus vorstellen mitzuwirken. Es ist zum Schluss schlicht auch eine Frage, wer hat Kapazität wofür.

Julian Jaursch: Das reicht auch für ein passendes Schlusswort, weil damit auch noch mal, zumindest aus meiner Sicht, unterstrichen wird, wie wichtig es ist, dass der Koordinator stark ist, in dem Sinne, dass er Netzwerke hat, dass die Zuständigkeiten geklärt sind, dass er Expertise hat. Denn ansonsten ist es nicht möglich, sich in die Leitlinienentwicklung einzubringen, ansonsten ist es nicht möglich, die Kommission zu unterstützen.

Damit würde ich für heute schließen. Ich bedanke mich ganz herzlich, Frau Sanders-Winter, dass Sie dabei waren, dass Sie meine Fragen beantwortet haben, aber auch so viele Fragen aus dem Publikum beantwortet haben. Dafür auch ganz herzlichen Dank an alle, die heute dabei waren, zugehört haben, Fragen gestellt haben. An meine beiden Kollegen im Hintergrund, Justus und Josefine, ein herzliches Dankeschön.

Wir sind sehr dankbar für Kritik und Kommentare zum Format, zur Diskussion, also schreiben Sie uns gerne. Wenn Sie Interesse haben, weiterhin informiert zu bleiben zum Thema Plattformaufsicht, was dazu bei der SNV läuft, können Sie sich gerne für den Newsletter anmelden. Damit bleibt mir jetzt wirklich nur noch einmal ganz herzlichen Dank zu sagen, Frau Sanders-Winter, und allen anderen, und einen schönen Tag zu wünschen.

Andrea Sanders-Winter: Vielen Dank auch von meiner Seite.

- Ende des Transkripts -

Mit: 

Dr. Julian Jaursch und Andrea Sanders-Winter

Datum: 
06.09.2023 - 16:00 bis 17:00
Ansprechpartner: 
Dr. Julian Jaursch