Zügellose Überwachung? Defizite der Kontrolle des Militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr

Impulse

Die Ampelregierung will laut Koalitionsvertrag in der laufenden Legislaturperiode die Kontrolle „aller nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Bundes“ ausbauen und stärken. Eine zentrale Frage ist dabei aber noch gänzlich unbeantwortet: Was genau sind nachrichtendienstliche Tätigkeiten des Bundes und wer übt sie aus? Ist damit ausschließlich das Handeln der drei Nachrichtendienste des Bundes gemeint, also: Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für den Verfassungsschutz (BfV) und Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD)? Oder soll, dem Modell anderer Demokratien folgend, der Fokus des Rechtsrahmens und der Kontrolle künftig auch auf nachrichtendienstliche Tätigkeiten des Bundes ausgeweitet werden, die nicht von den Nachrichtendiensten selbst ausgeübt werden? Ein zentrales Beispiel für letzteres sind die Aufklärungsaktivitäten des Militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr.

Die Ampel hat sich in dieser Frage noch nicht festgelegt, obwohl sie aktuell weitreichende Reformen auf den Weg bringt. Erste Vorschläge der Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Rechtskontrolle wurden intern kontrovers diskutiert (Flade, 2023; UK-Rat, 2023; Wetzling & Vieth-Ditlmann, 2023) und letztlich nicht Teil der ersten Reform des Nachrichtendienstrechts (Bundesregierung, 2023b), die Anfang Oktober 2023 in den Bundestag eingebracht wurde (Bundesregierung, 2023b; Bundesregierung, 2023c). In einem zweiten Teil der Reform soll nun bis 2024 „die wertungskonsistente Systematisierung der Regelungen zur Informationsbeschaffung folgen und das Nachrichtendienstrecht insgesamt zukunftsfest ausgestaltet werden“ (Bundesregierung, 2023b). Hierbei wäre es aus unserer Sicht dringend geboten, die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Militärischen Nachrichtenwesens mit zu berücksichtigen. Sollte eine Reform dieses wachsenden Teils der staatlichen Überwachung erneut ausbleiben, würden folgende rechtsstaatliche Defizite von Regierung und Bundestag weiterhin in Kauf genommen:

Fehlender Rechtsrahmen. Es gibt, anders als bei den Nachrichtendiensten oder Strafverfolgungsbehörden, keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Erhebung und Verarbeitung von Daten im Rahmen der militärischen Aufklärung. Das Verfassungsgericht hat eine Reihe von Vorgaben und Verfahren zur rechtsstaatlichen Absicherung und Begrenzung von Grundrechtseingriffen im Rahmen staatlicher Überwachung unmissverständlich formuliert. Im Bereich des Militärischen Nachrichtenwesens werden diese Vorgaben, wenn überhaupt, nur in internen Dienstvorschriften des Bundesministeriums für Verteidigung (BMVg) umgesetzt.

Unzureichende Kontrolle. Es fehlen wichtige Vorgaben und Strukturen für eine wirksame unabhängige Kontrolle des Regierungshandelns in diesem Bereich. Bis heute gibt es keine ständige parlamentarische Kontrolle, ganz zu schweigen von einem unabhängigen Organ der objektiven Rechtskontrolle. Die Prüftätigkeiten des allein auf weiter Flur operierenden Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) sind, zumindest soweit öffentlich erkennbar, in der Wirksamkeit begrenzt.

Die Bundesregierung und die Regierungsmehrheit im Bundestag wären schlecht beraten, die Überwachungsbefugnisse des Militärischen Nachrichtenwesens und dessen unabhängige Kontrolle von der für den Sommer 2024 anvisierten Reform auszusparen. Ausgehend von mehreren Fallbeispielen verdeutlicht dieser Impuls, dass Maßnahmen der militärischen Aufklärung tief in Grund- und Menschenrechte eingreifen. Um deren rechtsstaatliche sowie und verfassungskonforme Durchführung und Kontrolle zu gewährleisten, sollte der Bundestag dringend

  • die wesentlichen Überwachungstätigkeiten der militärischen Aufklärung in einem Gesetz mandatieren und dabei unmissverständlich anzeigen, wenn diese Aktivitäten in Grundrechte eingreifen;
  • dafür Sorge tragen, dass das gesamte Spektrum der militärischen Aufklärung der ständigen parlamentarischen Kontrolle unterliegt und grundrechtsrelevante Tätigkeiten von einem unabhängigen Organ der auf Zulässigkeit und Erforderlichkeit überprüft werden.

Die Bundesregierung und die Regierungsmehrheit im Bundestag könnten dafür ein eigenständiges Bundeswehraufgabengesetz oder ein Gesetz über das Militärische Nachrichtenwesen (MilNWG) erarbeiten. Um jedoch konsistent die gebotenen Standards für Kontrolle und Rechtsrahmen bei staatlicher Überwachung zu gewährleisten, sollte unserer Auffassung nach ein neuer und einheitlicher Rechtsrahmen für alle nachrichtendienstliche Tätigkeiten des Bundes geschaffen werden. Das würde dem Anspruch der Bundesregierung entsprechen, nachrichtendienstliche Methoden der Informationsbeschaffung wertungskonsistent zu regeln. Entscheidend dabei wäre, dass die neue gesetzliche Grundlage legitime Zwecke, Eingriffsschwellen, Anordnungsvoraussetzungen und -verfahren sowie Beanstandungswege auch für die militärische Aufklärung klar benennt, um unverhältnismäßiger Überwachung vorzubeugen und Missstände zu beheben.

 

 

Published by: 
Stiftung Neue Verantwortung
October 17, 2023
Authors: 

Corbinian Ruckerbauer und Dr. Thorsten Wetzling