Nationalstaat gegen Internet

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Das Internet steht für Globalisierung. Aber die wachsende geostrategische Bedeutung der globalen Kommunikationsinfrastruktur hat nationalstaatliche Akteure auf den Plan gerufen.

Mit der Veröffentlichung der ersten Website im Jahr 1991 begann der Aufstieg des Internets zur wichtigsten technologischen Errungenschaft der vergangenen Jahrzehnte – und zu einem Treiber der Globalisierung. Die fortschreitende soziale, wirtschaftliche und politische Vernetzung der Welt wäre ohne die digitalen Technologien schlicht nicht denkbar. Brexit, Donald Trump und AfD zeigen jedoch: Die nationale Idee erlebt trotz Globalisierung eine Renaissance. Aber die Globalisierung lässt sich nicht so einfach zurückdrehen. Damit werden das Internet und digitale Technologien in Zukunft zum zentralen Schauplatz, auf dem nationalstaatliche Regulierungsansprüche mit dem Antrieb der globalen Vernetzung kollidieren. Die drei wichtigsten Konfliktfelder sind bereits heute deutlich sichtbar.

Staatliche Informationshoheit

Das Erste betrifft die Herausforderung für Staaten, Informationsflüsse in einem globalen Netzwerk zu kontrollieren. Der Arabische Frühling ist ein wichtiges Beispiel. Die Protestbewegungen in Nordafrika und im Nahen Osten nutzten Blogs und soziale Netzwerke, um an staatlichen Medien und der Zensur vorbei Informationen auszutauschen und Demonstrationen zu organisieren.

Facebook, Twitter und andere Internetdienste waren nicht die Auslöser der Proteste in Tunesien, Ägypten oder Syrien. Aber sie schufen neue Möglichkeiten, staatlich kontrollierte Medien und die Zensur zu umgehen. Das Regime Mubaraks sah in der neuen globalen Kommunikationsinfrastruktur eine gefährliche Bedrohung, auf die es reagieren musste. Auf dem Höhepunkt der Proteste im Januar 2011 fiel der ägyptischen Regierung nichts anderes ein, als die Verbindung des gesamten Landes zum Internet zu kappen. Man war bereit, Ägypten vom Rest der Welt abzukapseln, um Demonstranten auf dem Tahrir-Platz die Möglichkeit zur freien Kommunikation zu nehmen.

Der Arabische Frühling wurde anfangs vor allem im Westen völlig missverstanden. Das Internet und die sozialen Netzwerke galten als neue Werkzeuge der Demokratie und damit als ein Problem für Despoten. Dabei wurde kaum beachtet, wie internetbasierte Medien die Hoheit des Staates über Kommunikation und Informationsaustausch grundsätzlich infrage stellten. Mit diesem Problem haben genauso Demokratien zu kämpfen. Seitdem der Islamische Staat begonnen hat, das Internet zur Verbreitung seines Terrors zu nutzen, hat sich der Diskurs über das Internet massiv gewandelt. In Europa und den Vereinigten Staaten wird nun darüber diskutiert, wie man Anhänger und Sympathisanten des Islamischen Staats im Netz besser überwachen kann. Auch die sozialen Netzwerke stehen nun als Mittel zur Verbreitung von Propaganda und Hassbotschaften in der Kritik. Aus einem Konflikt zwischen westlichen Demokratien und autoritären Staaten ist mittlerweile ein globales Ringen um nationalstaatliche Zugriffe auf Informationsflüsse im Internet geworden.

Grenzüberschreitende Digitalwirtschaft

Der Konflikt zwischen globalem Internet und Nationalstaat hat auch die Volkswirtschaften und den internationalen Handel erfasst. Vor allem amerikanische Unternehmen haben die digitale Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten weltweit geprägt. Eine der wenigen Ausnahmen ist China. Peking widersetzt sich schon seit langem der Expansion des Silicon Valley, um politische Kontrolle aufrechtzuerhalten und die eigene nationale Internetökonomie vor Konkurrenz zu schützen. Die chinesischen Internetriesen Alibaba, Tencent und Baidu belegen den Erfolg dieser Strategie.

Für die europäischen Staaten war Protektionismus bezüglich der eigenen Digitalwirtschaft lange nicht denkbar. Grenzüberschreitender Austausch von Waren, Dienstleistungen und Informationen gehört zu den Grundpfeilern ihrer Wirtschaftsordnung. Die Snowden-Enthüllungen haben diesen Konsens allerdings aufgebrochen. Sie führten europäischen Ländern die Abhängigkeit von ausländischen IT- und Internetunternehmen besonders eindringlich vor Augen.

Angesichts der rasant wachsenden Bedeutung der Digitalwirtschaft befürchten die Europäer den Verlust ihrer technologischen Souveränität. Sie wollen unabhängiger von ausländischen Technologieherstellern werden. Dies führt in der Internetwirtschaft erstmals zu grossen Konflikten zwischen den USA und Europa. Denn in der EU fragt man sich zunehmend, ob die von US-Unternehmen gesetzten Standards auch die eigenen Interessen und Werte widerspiegeln. Das Ringen um die europäische Datenschutzgrundverordnung zeigt die neuen Konfliktlinien auf – genauso wie Forderungen zur Speicherung von Daten auf dem eigenen Staatsgebiet. Europäische Politiker hoffen, mit der Entwicklung und der Durchsetzung eigener Regulierung die eigene Digitalwirtschaft zu stärken.

Digitaler Kolonialismus

Angesichts der Dominanz von Silicon Valley denkt man in Europa mittlerweile immer lauter darüber nach, wie man den starken US-Technologiefirmen die Stirn bieten kann. Für die einen geht es hierbei um die Verteidigung eigener Grundrechte wie des Datenschutzes. Andere erkennen darin eine neue Form des Protektionismus. Wo auch immer man in dieser Debatte steht: Internationale Konflikte um den freien Fluss von Daten und die Kontrolle von Technologien werden weiter zunehmen.

Sicherheit war schon immer die Domäne des Nationalstaates. Daher mag es nicht verwundern, dass auch das Internet ins Visier nationalstaatlich organisierter «Cyberkrieger» gerät. Seit der Jahrtausendwende haben staatliche Aktivitäten im Cyberraum zugenommen – und damit das Eskalationspotenzial von Konflikten erhöht. Im April 2007 legten in Estland digitale Attacken die Server von Banken, Regierungseinrichtungen und Medien mit gravierenden Auswirkungen auf das öffentliche Leben lahm.

2010 sabotierte der Computerwurm Stuxnet das iranische Atomprogramm, indem er wichtige Anlagen zur Uranaufbereitung beschädigte. 2016 führte eine Cyberattacke zu Ausfällen im ukrainischen Stromnetz. Und kürzlich machten die Veröffentlichungen der E-Mail-Korrespondenz der Führung der Demokratischen Partei in den Vereinigten Staaten Schlagzeilen. In allen Fällen legen Umfang und Komplexität der Angriffe eine staatliche Beteiligung nahe.

Die Entwicklungen der vergangenen Jahre zeigen, dass sich der Cyberraum zu einem zentralen Konfliktfeld zwischen Staaten entwickelt. Durch die voranschreitende Vernetzung und die Ausweitung digitaler Steuersysteme in lebenswichtigen Infrastrukturen und Schlüsselindustrien nehmen die Verwundbarkeiten zu. Gleichzeitig investieren Staaten immer mehr Ressourcen, um solche Verwundbarkeiten auszunutzen. Selbst Länder wie Deutschland, die traditionell auf Deeskalation und zivile Konfliktlösung setzten, wollen mittlerweile ihre Streitkräfte digital aufrüsten und zeigen damit, wie weit die Militarisierung im Cyberraum mittlerweile fortgeschritten ist.

Treiber neuer staatlicher Machtansprüche

Das Internet steht für Globalisierung. Aber die wachsende geostrategische Bedeutung der globalen Kommunikationsinfrastruktur hat die Nationalstaaten auf den Plan gerufen. Sie versuchen mit allen in ihrer Macht stehenden Mitteln, die Vormacht des Staates im Netz zurückzugewinnen. Denn globale Vernetzung stellt diese infrage. Man erhofft sich aber auch Vorteile im Wettbewerb mit anderen Staaten. Digitale Technologien und die Fähigkeit, im Cyberraum zu operieren, sind hierfür der Schlüssel. Langfristig geht es um mehr als um geostrategische Interessen. Es handelt sich auch um eine Reaktion auf die vom Internet forcierte Globalisierung. Je stärker die Staaten ihre geostrategischen Interessen im Netz verfolgen, umso mehr entziehen sie der Globalisierung ihre Grundlage. Vor wenigen Jahren schien das Internet das Ende des Nationalstaates einzuläuten. Heute ist es zum Treiber neuer staatlicher Machtansprüche geworden.

Published by: 
NZZ-Neue Zürcher Zeitung
September 20, 2016
Authors: 

Dr. Stefan Heumann (Mitglied der Geschäftsführung)