ForesightLab – Einflussmöglichkeiten der Stakeholder

Workshop

In der vorerst letzten Zusammenkunft der ForesightLab-Expertengruppe wurden die unterschiedlichen Interessen der wichtigsten Stakeholder innerhalb der sechs verschiedenen Arbeitsmarktszenarien analysiert. In diesem Schritt ging es um eine Bewertung der Szenarien aus Perspektive aller relevanten Stakeholder in Bezug auf Chancen und Risiken. Auch mögliche Handlungsspielräume wurden diskutiert.

Die Bewertungen der einzelnen Szenarien sind hier kurz zusammengefasst:

Ingenieursnation mit Herzchen

Die Innovationskraft deutscher Unternehmen wird von der Mehrheit der beteiligten Akteure als derart positiv bewertet, dass ein anhaltendes Wirtschaftswachstum in diesem Szenario als sehr wahrscheinlich gilt. Die Politik ist daher weiterhin in der Lage, stark in Forschung und Bildung zu investieren. Durch die Veränderung in der Beschäftigungsstruktur – mehr freie Mitarbeiter, quasi-Selbstständige und Crowdworker – gelingt es den Gewerkschaften immer weniger, entscheidende Arbeitnehmergruppen zu repräsentieren. So kämpfen sie mit erodierenden Mitgliederzahlen und verlieren dadurch an Macht und Einfluss. Die Zahlung des Grundeinkommens polarisiert große Teile von Gesellschaft und Politik. Obwohl viele Akteure es als ineffektives Mittel zur Abfederung von sozialen Härten und Konflikten sehen, steigt der Handlungsdruck zur Einführung eines solchen Instruments enorm an.

Silicon Countryside mit sozialen Konflikten

In diesem Szenario ist die Politik von der Rasanz der technologischen Entwicklungen überfordert und handelt daher ausschließlich reaktiv. Im Bereich der Sozialversicherungen kommt sie sogar zu spät – Gemeinwohlaufgaben sind durch den Staat nicht mehr in Gänze zu erfüllen. Arbeitnehmervertreter stehen vor den gleichen Organisationsschwierigkeiten wie im ersten Arbeitsmarktszenario. Die „old economy“ – dazu gehört auch die Automobilbranche – ist nicht mehr aus sich heraus innovativ und kreativ genug. Sie ist auf den Import von IT-Technologie aus dem Ausland angewiesen und erleidet dadurch den Verlust ihrer Markführerschaft, der sich auch in ihrem schwindenden politischem Einfluss bemerkbar macht. Banken- und Versicherungssektor gelingt es die bestehenden Geschäftsmodelle mit neuen digitalen Technologien zu verbinden (v.a. durch Big-Data). Die steigende Bedeutung der Sektoren führt gleichsam zu größerem Einfluss auf die Politik.

Digitale Schweiz mit sozialem Schönheitsfehler

Szenario drei beschreibt eine vollends technologisierte Gesellschaft. Für Geringqualifizierte besteht die Gefahr geringen Einkommens oder gar dauerhafter Arbeitslosigkeit. Obwohl immer mehr Wissen frei verfügbar ist, lässt das unverändert sehr selektive, höhere Ausbildungssystem den Zugang großer gesellschaftlicher Gruppen zu hochqualifizierten Berufen nicht zu. Neben lautstarkem Protest, fällt diesen Gruppen die Bündelung ihrer Interessen außerordentlich schwer. Gewerkschaftliche Interessenvertretung wandelt sich zu aktivem Lobbying spezifischer Berufsgruppen. Dadurch wird an neuralgischen Punkten in der Wirtschaft wieder an Einfluss gewonnen. Die „tech Economy“ ist auf Kuschelkurs mit der Politik und verfügt über großen Einfluss. Der Politik wiederum bleibt die Möglichkeit eine Wohlstandsbasis auszugestalten, aber sie sieht sich der Gefahr gesellschaftlicher Entsolidarisierung und dem Bedeutungsverlust des Politischen ausgesetzt – denn jeder, so scheint es, ist sich in diesem Szenario selbst der Nächste.

Digitale Hochburg mit abgehängtem Umland

Im vierten Szenario haben auch Geringqualifizierte die Möglichkeit in urbanen Gebieten den sozialen Aufstieg zu schaffen. Auf dem Land dagegen gelingt nur ein vom Mainstream entkoppeltes Leben. Mittelstand und Industrie sind dort fast nicht mehr vertreten. Tourismus und Landwirtschaft sind die wichtigsten Arbeitsfelder. Auf große regionale Disparitäten ist die Arbeits- und Sozialpolitik in Deutschland nicht eingestellt. In einer polarisierten Gesellschaft bleibt ihr nicht viel mehr übrig als entstandenen Schaden nacheilend zu reparieren. Die Orientierung am Gemeinwohl fällt ihr zunehmend schwer. Es drohen soziale Unruhen und das Wort „Innovation“ ist negativ besetzt. Angelsächsische Technologiefirmen bestimmen das Ausmaß des Datenschutzes und der Steuerpolitik. Gesellschaftlich beobachten wir einen neuen digitalen Kulturimperialismus, der von der Wirtschaft ausgeht. Mangelnde digitale Kenntnisse gepaart mit fehlender Regulierung führen daher zu einer alle Lebensbereiche durchdringenden Digitalisierung, die unkritisch akzeptiert wird.

Digitale Evolution im föderalen Wettbewerb

Mittelständische Unternehmen können ihren Einfluss auf die Regionalpolitik unverändert ausüben, auch um Förderanreize in strukturschwachen Regionen zu erwirken. Ganz generell sind Regionen in ihrer Bedeutung aufgewertet. In der gesamten Europäischen Union gleichen strukturschwache Regionen einander vor allem in ihrer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit, wohingegen strukturstarke Regionen in einer starken Konkurrenz um Know-How, Unternehmen und Arbeitnehmer stehen. Die Bundespolitik ist zunehmend handlungsunfähig, denn die Bundesparteien lösen sich in Regionalparteien auf. Tech-Startups in den Silicon Cities gewinnen stark an Bedeutung. Sie profitieren von ihrer Marktmacht, innovativen Produkten, hochqualifiziertem Personal und internationaler Vernetzung. Durch die paritätische Mitbestimmung in den Unternehmensführungen gelingt es den Gewerkschaften, trotz schwindender Mitgliederzahlen, zumindest die interne Automatisierungsstrategie mitzugestalten. Die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik muss widersprüchliche Interessen vereinen. In den abgehängten Regionen muss sie für Ausgleich sorgen und in den boomenden Clustern muss sie die Wirtschaft mit hochqualifizierten Fachkräften versorgen – eine schier unlösbare Aufgabe.

Digitales Scheitern

In diesem Szenario sind sich die einzelnen Akteure darüber einig, dass eine akute Unterfinanzierung der Sozialversicherungssysteme droht. Das Lobbying der Gewerkschaften geht in diesem Szenario nicht darüber hinaus, soziale Härten für eine verschwindend geringe Zahl an eigenen Mitgliedern abzumildern. Für Technologie Startups bestehen wenige Einflussmöglichkeiten, da die Basisinfrastruktur fehlt und die Akzeptanz in der Bevölkerung für ihre Produkte nicht vorhanden ist. Kernaufgaben der Politik sind die Stärkung der digitalen Kompetenz der Bürger und die Umstellung des Sozialsystems auf den steuerfinanzierten Sozialausgleich. Mittelständische Unternehmen leiden unter dem Wegfall des deutschen Heimatmarktes, dem Mangel an adäquat ausgebildeten Mitarbeitern und der mangelhaften Infrastruktur zur eigenen Warendistribution. Sie stehen vor einer Verlagerung ihres Standortes in das europäische Ausland. Höchstens die Regionalpolitik vermögen sie noch zu beeinflussen. International agierende Großkonzerne verfolgen Globalisierungsstrategien. Für sie ist Deutschland nur ein Standort unter vielen. In diesem Szenario haben sie Deutschland mehrheitlich den Rücken gekehrt.

Ziel des ForesightLabs ist es, möglichst realistische Szenarien für den Arbeitsmarkt 2030 zu identifizieren, die im Zusammenhang mit dem Megatrend Digitalisierung stehen. Das Thema findet eine breite gesellschaftspolitische Beachtung. Es fehlt aber nach wie vor an tiefergehenden Analysen. Deshalb hat die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit der stiftung neue verantwortung eine 20-köpfige Arbeitsgruppe zu einer strategischen Vorausschau eingeladen. In der Gruppe sind sowohl Experten der Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik sowie sogenannte Digitalisierungsexperten vertreten.

Für Ende November ist hierzu eine Publikation geplant. Darin werden nicht nur die Methodik und die Arbeitsmarktszenarien anschaulich dokumentiert sein, sondern auch zentrale Handlungsfelder für flankierende Maßnahmen durch die Politik eruiert.

Mit: 

Dr. Johannes Gabriel (Foresight Intelligence)
Dr. Stefan Heumann (stiftung neue verantwortung)
Dr. Juliane Landmann (Bertelsmann Stiftung, Projektleitung „ForesightLab: Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt 2030“)

Datum: 
10.09.2015