Transkript zum Hintergrundgespräch "Wie die EU auf Russlands Desinformation reagiert"

Transkript

Im Hintergrundgespräch vom 07. April sprach Dr. Anna-Katharina Meßmer, Projektleiterin “Auditierung von Empfehlungssystemen”, mit Lutz Guellner, Leiter der Abteilung Strategische Kommunikation im Auswärtigen Dienst der EU. Es folgen die Aufnahme und ein Transkript der Veranstaltung. Der Text wurde zur besseren Lesbarkeit bearbeitet. Es gilt das gesprochene Wort.

 

 


 

- Beginn des Transkripts -  

Anna-Katharina Meßmer (SNV): Herzlich Willkommen zum SNV-Hintergrundgespräch. Wir beschäftigen uns heute mit der Frage, wie die EU auf Russlands Desinformation reagiert. Mein Name ist Kathy Meßmer. Ich leite derzeit das Projekt Auditierung von Empfehlungssystemen hier bei der Stiftung Neue Verantwortung. Die SNV – für diejenigen, die sie nicht kennen – ist ein unabhängiger und gemeinnütziger Think-Tank für die Gesellschaft im technologischen Wandel, mit Sitz in Berlin. Der Fokus meiner Arbeit liegt auf der Stärkung digitaler Öffentlichkeiten, insbesondere in den sozialen Medien, und das ist auch der Grund, warum ich sehr gespannt bin auf das heutige Gespräch, in das ich als Erstes einmal kurz thematisch einführen werde.  

Nach der Infodemie kam der Infowar: So lassen sich aus Netzperspektive die Wochen seit dem 24. Februar 2022 zusammenfassen. Zwar beschäftigen sich Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft schon seit mehreren Jahren mit Online-Desinformationskampagnen als Teil hybrider Bedrohungen, aber die derzeit beobachtbare Verschränkung von physischem Krieg und Infowar in den sozialen Medien hat mit dem russischen Überfall auf die Ukraine noch mal eine neue Dimension erreicht. Dabei ist dieser Krieg sicher nicht, wie mitunter konstatiert wurde, der erste Krieg, der auch auf Social Media geführt wird, wenn wir etwa an den Krieg in Syrien oder auch an die Annexion der Krim denken. Aber in der Tat ist es für viele EU-Bürger:innen der erste Krieg, in dem sie über die sozialen Medien in ihrem Alltag auch involviert sind und den sie dort live mitverfolgen. Für Laien ist es dabei oftmals schwer, den Überblick zu behalten. Ähnlich wie wir das aus der Pandemie kennen, haben wir es hier mit einem unübersichtlichen Nebeneinander von belastbaren Informationen einerseits und ungeprüften Informationen sowie Propaganda, Missinformation und Desinformation andererseits zu tun, und all das parallel auch in mehreren Sprachen.  

Um den Rahmen des heutigen Gesprächs abzustecken und alle hier auf den gleichen Kenntnisstand zu bringen, möchte ich einmal festhalten, was wir üblicherweise unter Desinformation verstehen, wenn wir darüber heute sprechen: Bei Desinformation handelt es sich um nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die absichtlich verbreitet werden, etwa um bestimmte Gruppen gegeneinander auszuspielen, andere Länder zu destabilisieren oder Gegner:innen anzugreifen. Im Unterschied dazu handelt es sich bei Missinformation zwar ebenfalls um falsche oder irreführende Information, aber es fehlt eben diese Dimension der Absicht oder des absichtlichen Schadens.  

Und dabei sind wir auch schon beim Kern des Problems: Gerade in einer Kriegssituation ist diese Unterscheidung nicht immer leicht zu treffen; hinzukommt als zusätzliche Herausforderung die Vielzahl ungeprüfter Informationen, die uns ja auch zum Teil vermeintlich oder wirklich direkt aus den Kriegsgebieten erreichen und die theoretisch für uns erst mal alles sein können: tatsächliche, überprüfbare Informationen, Missinformation oder gezielte Desinformation. Insbesondere um letztere soll es heute gehen und welche Trends sich dabei beobachten lassen, wer die Akteur:innen sind und was gängige Verbreitungsstrategien sind und wie die EU darauf reagiert: Diesen Fragen möchten wir uns heute im Hintergrundgespräch widmen. Zu Gast habe ich dafür einen ausgewiesenen Experten, nämlich Lutz Guellner. Er ist Leiter der strategischen Kommunikation beim Europäischen Auswärtigen Dienst. Herzlich Willkommen!  

Lutz Guellner (Leiter der Abteilung Strategische Kommunikation im Auswärtigen Dienst der EU): Hallo. 

Anna-Katharina Meßmer: Bevor ich Ihnen als Zuschauer:innen Herrn Guellner näher vorstelle, möchte ich einmal ganz im Sinne der üblichen Online-Choreografie unser digitales Setting hier erläutern. Wie Sie sehen, sind Herr Guellner und ich trotz der Lockerungen digital zugeschaltet und das Hintergrundgespräch wird gerade live gestreamt. Das hat für Sie den Vorteil, dass Sie nicht nur hören, was wir zu sagen haben, sondern ermöglicht Ihnen auch, Fragen an Herrn Guellner zu stellen. Sie sind als Zuhörer:innen stummgeschaltet und Ihre Kameras auch automatisch ausgeschaltet. Wenn Sie eine Frage einreichen möchten, können Sie das über die Q&A oder zu Deutsch Frage- und Antwortfunktion machen. (…)   

Außerdem haben Sie die Möglichkeit, über die eingereichten Fragen abzustimmen, so bekommen wir dann auch einen guten Überblick, was Sie am meisten interessiert und können uns daran in den Fragen orientieren. Ich werde jetzt zunächst in den ersten 20 bis 30 Minuten meine Fragen an Herrn Guellner stellen und dann in der zweiten Hälfte des Gesprächs Ihre Fragen aufgreifen. Soweit also zum Ablauf, und damit möchte ich gerne überleiten zum inhaltlichen Teil. 

Herr Guellner ist Politikwissenschaftler und seit vielen Jahren in der EU-Politik unterwegs, zunächst an verschiedenen Stellen bei der EU-Kommission; seit 2017 leitet er beim Europäischen Auswärtigen Dienst das Referat Strategic Communication, Task Forces and Information Analysis, das sich mit der Aufdeckung und Bekämpfung von Desinformation beschäftigt. Dieses Referat wurde 2015 unter anderem als Reaktion auf die hybriden Bedrohungen durch Russland geschaffen und hat aus diesem Grund einen starken Russland-Fokus. Und mit der Arbeit dieses Referats möchte ich gerne einsteigen, vielleicht so ganz alltagspraktisch: Herr Guellner, wie kann man sich so einen typischen Arbeitstag in Ihrem Referat vorstellen?  

Lutz Guellner: Also erst mal herzlichen Dank für die Einladung (…). Das Interessante an unserer Arbeit ist, dass es eigentlich keinen Tag gibt, der genau so aussieht wie der vorige und wie der kommende. Und man kann sich das so vorstellen, dass wir in dem Team, das so ungefähr 42 bis 43 Leute umfasst, Schwerpunktteams gebildet haben, also wirklich Expertenteams. Zum Beispiel das Team, das Sie auch schon erwähnt haben, das eigentlich durch einen Ratsbeschluss, also durch die Staats- und Regierungschefs geschaffen wurde, ist nicht besonders groß – insgesamt sind es 15 bis 14 Leute: Das ist die East StratCom Task Force, von der wahrscheinlich viele von Ihnen schon gehört haben, die ganz besondere Expertise mitbringen, indem sie nämlich erst mal entweder ausgewiesene Russlandkenner:innen oder Kenner:innen Osteuropas sind – gerade jetzt natürlich im Hinblick auf die Ukraine und, was wir nicht vergessen sollten, auf das was in Belarus passiert.  

Dann habe ich Spezialist:innen, die sich in den Bereichen Journalismus, Medien, Medienlandschaft auch gut auskennen, denn das ist auch enorm wichtig in diesem Bereich. Wir sind ja nicht nur in Bereichen der Sozialen Medien aktiv, sondern auch im ‚klassischen‘ Bereich. Ja, und dann, ohne Ihnen jetzt das alles im Detail schildern zu wollen, habe ich auch ein Team, das sich speziell um den westlichen Balkan kümmert und auch um die Arabisch sprechende Welt. Aber natürlich können Sie sich vorstellen, dass sich dann auch immer wieder die Perspektive ein bisschen verändert: Es gibt andere Bedrohungen, es gibt eine andere Situation. Heute reden wir ja viel über die Rolle Russlands insbesondere in diesem Krieg. Russland hat aber auch einen Fußabdruck in dieser Region – aber sehr unterschiedlich, also man kann deswegen das eine mit dem anderen nicht vergleichen. 

Und vielleicht nur noch mal konkret, was dieses Team macht. Wir stehen sozusagen auf drei Beinen: zum einen ist das auch, daher natürlich auch der Name, ein Kommunikationsteam, aber strategisch. Das heißt, wir schreiben keine Pressemitteilungen, sondern eher Analysen, die aber für die Öffentlichkeit auch bestimmt sind, Dinge einordnen zu können, spezielle Zielgruppen zu erreichen, also nicht nur mit den Analysen, sondern auch die Gruppen anzusprechen, die man eigentlich gar nicht so genau auf dem Radar hat. Ich gebe hier mal nur ein Beispiel: Wer hat sich denn schon mal überlegt, auch mit der orthodoxen Kirche zu sprechen, die ja nicht nur ein monolithischer Ansprechpartner ist und auch eine enorm wichtige Rolle gerade im Osten Europas und natürlich auch in Russland spielt – meines Erachtens in Russland keine besonders gute, aber das ist eine andere Frage momentan. 

Der zweite Bereich ist das direkte Arbeiten mit den Medien, und zwar um sie zu unterstützen und zu gucken, wie wir die Qualität fördern können und wie wir Journalist:innen dabei unterstützen können, wie sie ihre Arbeit auch machen sollen: nicht indem wir sagen, was sie publizieren sollen, sondern indem wir den Freiraum geben – ohne dass wir sehr tiefe Taschen mit viel Geld haben, das muss ich auch noch dazu sagen.  

Und der dritte Bereich ist das, was wahrscheinlich die meisten von Ihnen kennen und worüber wir uns ja heute auch unterhalten wollen. Das ist natürlich sehr genau darauf zu schauen: Was passiert da in diesem Informationsbereich; wer macht da eigentlich was und wie muss man das verstehen?  

Aber ich möchte jetzt auch nicht zu sehr ins Detail gehen, weil Sie mir bestimmt viele Fragen dazu stellen werden. Gut, das war eine lange Antwort. Ich komme gerade aus einem Team-Meeting und ich kann Ihnen sagen, alleine eine Stunde mit dem Team gibt Ihnen so viele verschiedene Perspektiven. 

Anna-Katharina Meßmer: Wir haben ja den Vorteil, dass wir heute erst mal zu zweit sind und später weitere weitere Leute und Fragen dazu stoßen. Das heißt, Sie dürfen auch gerne lange antworten, dann komme ich nicht in die Verlegenheit, ein Interview mit Ihnen wie das berühmte Interview mit Willy Brandt führen zu müssen, wo Sie nur mit Ja und Nein antworten. Ich hätte tatsächlich zu dem Desinformationsbereich gleich mal noch eine Nachfrage, natürlich wird das der Bereich sein, über den wir heute sprechen: Ich vermute, dass Sie ja auch von Desinformationen Analysen erstellen; machen Sie das selber? Gerade wenn es auch um Verbreitungswege geht, braucht es vielleicht auch technische Expertise dazu. Das hatten Sie jetzt in Ihrem Team erst mal nicht erwähnt: Haben Sie technische Expert:innen, haben Sie Fact-Checker:innen in Ihrem Team oder sind das Dinge, die Sie beispielswese auslagern?  

Lutz Guellner: Ja, wir sind natürlich ein Team, das so viele Themen umfasst, weshalb wir das gar nicht selber machen können. Aber ich habe ein kleines, aber feines Team von Datenanalyst:innen, die genau wissen sozusagen, wie man mit Datensätzen, von denen einige auch öffentlich zugänglich sind, umgehen kann und auch mit relativ einfachen Instrumenten.  

Aber vielleicht erst mal vorneweg: Wir sind kein Geheimdienst. Wir sind nicht dazu da, alles zu monitoren, was in den Sozialen Medien ist und einen 360 Grad-Blick drauf zu haben. Unser Ansatz ist es herauszufinden: Können wir Muster entdecken, können wir Verhaltensweisen entdecken und natürlich auch die Inhalte, über die wir ja auch gleich sprechen werden, die wir sozusagen analytisch zuordnen können, und zwar nicht in allen Details, sondern um herauszuarbeiten, ist das nun ein Problem für uns eigentlich; wird das systematisch gemacht; muss ich darauf reagieren; und wenn ja, wie muss ich darauf reagieren?  

Also alles eigentlich sehr, sehr große Fragen und dafür würde ich sagen mit den Instrumenten, die meinem Team oder uns zur Verfügung stehen, sehen wir wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Aber wir sehen eben die Spitze, und darüber dann auch öffentlich zu kommunizieren, das zu publizieren, und zwar auch sehr regelmäßig, ist glaube ich ganz, ganz wichtig. Wir kommen noch mal auf die Antworten später, aber ich werde das wahrscheinlich gleich noch mal sagen. Aber dieses Bewusstsein schaffen über, ja, man kann es als Gefahr bezeichnen oder Bedrohung oder Herausforderung, ich weiß nicht, welches Wort das Beste ist, ist glaube ich unglaublich wichtig. Aber das kann ich nicht machen, indem ich sage: „Oh, da ist Desinformation, aber ich kann euch nicht sagen, wie es funktioniert und so weiter.“ Das heißt, wir wollen das immer belegen, wir wollen immer zeigen, welche Medien werden da benutzt, welche Wege werden benutzt, welche Verschränkungen dieser Instrumente gibt es. Und das ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig.  

Und natürlich kaufen wir auch Expertise ein: das ist dann so eine Mischung aus Datenanalyse und Media-Monitoring. Aber ganz wichtig ist auch für alle, die heute zuhören: Mein Team schaut nach draußen – also, was kommt in die EU ‚herein‘. Wozu wir kein Mandat haben – und darauf angesprochen werde ich oft angesprochen – ist, dass wir uns nicht angucken können: Wer genau greift das auf; warum greift es er oder sie das auf; wie wird das beispielsweise in Deutschland weiterverbreitet? Da muss ich ein bisschen schmallippiger sein, weil ich mir das gar nicht angucken kann; ich habe auch kein Mandat dazu. Natürlich sehen wir einiges. Aber da sind genau die Arbeiten, die Sie auch machen in der Stiftung Neue Verantwortung und in vielen anderen so wichtig. Und das ist ja dann auch der dritte Bereich – also in dem wir unser eignes Team und auch, wo wir Vertragspartner haben.  

Und dann gucken wir genau auf das, was Organisationen wie die Ihre zum Beispiel, wie die Stiftung Neue Verantwortung auch an Analysen erstellt. Und wir tragen das zusammen und binden sozusagen die vielen losen Enden, die es in diesem Bereich gibt, versuchen sie zumindest zusammenzubinden, allerdings immer mit dem Fokus auf die externen Akteure. Ich spreche ja hier auch als Vertreter des Auswärtigen Dienstes.  

Das Problem ist sehr viel größer, glaube ich wissen wir alle, es gibt eine innenpolitische Dimension: Sie haben ja gerade auch in der Anmoderation den Unterschied zwischen Missinformation und Desinformation angesprochen. Also das ist, glaube ich, ist ganz, ganz wichtig noch mal zu unterstreichen. Die Bedrohung durch externe Akteure ist wichtig, darüber sprechen wir ja heute auch, aber das heißt nicht, dass das gesamte Thema Desinformation nur auf dieses Phänomen reduziert werden kann.  

Anna-Katharina Meßmer: Das natürlich, hätte ich dazu auch für später eine Frage in petto. Aber vielleicht bleiben wir erst mal bei dem, was Sie gesagt haben, nämlich dass Sie Informationen zusammentragen, dass Sie die losen Enden verbinden, dass Sie Muster und Verhaltensweisen herausarbeiten. Das würde mich tatsächlich interessieren: Beobachten Sie bei Ihren Analysen derzeit besondere Trends; gibt es typische Muster oder Verbreitungswege, die Sie im Zuge der Ukrainekrise beobachten? (…)   

Lutz Guellner: Ja, also das ist natürlich eine Frage, die dann noch spannender wird, wenn man sich nicht nur anguckt, was momentan passiert. Und da passiert natürlich einiges und das ist ja auch sehr in den Medien, sondern was in den Jahren davor passiert ist, insbesondere. Und jetzt zeigt sich auch der Mehrwert dieser Arbeit, die wir ja schon seit einigen Jahren machen – nicht weil man damit gewisse Ereignisse hervorsagen konnte, sondern weil man jetzt im Nachhinein Muster sieht, die auch jetzt wieder benutzt werden und von denen man auch wieder Rückschlüsse auf die Zukunft ziehen könnte. Aber was heißt das konkret?  

Vielleicht an drei Punkten festgemacht: Das Erste und mir das Allerwichtigste ist, wenn wir über Desinformation sprechen – und insbesondere würde ich Ihnen, Frau Meßmer, jetzt auch bei einer Sache widersprechen: Desinformation ist nicht nur etwas, was inhaltlich falsch ist oder was nicht belegbar ist. Das ist vielleicht die augenscheinlichste Form der Desinformation, das heißt:  inhaltlich konstruierte, erfundene, falsche Tatsachen. Aber das ist nur ein Element aus einem größeren Werkzeugkasten, der benutzt wird. Und das sehen wir eben auch jetzt in dem Krieg und aber auch in der Vorbereitung dazu. Und deswegen ist mir ganz, ganz wichtig, dass man den Blick ein bisschen weiten muss, weil es eben nicht „um Narrativ gegen Narrativ“ geht, sondern wirklich um eine koordinierte, systematische Aktivität, wo ganz unterschiedliche Instrumente genutzt werden und miteinander auch verknüpft werden.  

Also mit Instrumenten meine ich, dass man ganz gezielt zum Beispiel Staatsmedien einsetzt, wie RT oder Sputnik, und auch ganz gezielt sogenannte Informationsportale im Internet, die aber gar keine echten Informationsportale sind und zum Teil mit dem russischen Geheimdienst zusammenhängen. Da ist wichtig zu fragen: wer benutzt dann eigentlich welche Information, welche Quellen werden angeführt und so weiter? Also dieses „Ökosystem“, wie wir es bezeichnen, an Pro-Kreml-Desinformation – denn es ist ja nicht nur russische Desinformation, da es ja nicht ein ganzes Land ist [, das dahintersteht] –, sondern es ist ja der Staatsapparat, der dahintersteht. Und ein dritter Bereich ist dann, wo ja auch die Stiftung Neue Verantwortung sehr viel Arbeit macht: Das ist natürlich im Bereich der Sozialen Medien, wo man sich durch falsche Namen, durch Netzwerke, die man bildet und manchmal auch durch echte Undercover-Operationen das Instrumentarium zusammengelegt hat. Und je nach Zielgruppe, je nach Thema werden dann die entsprechenden Instrumente auch genutzt.  

Und deswegen benutze ich bzw. mein Team immer mehr den Begriff der „Informationsmanipulation“. Das umfasst nicht die nur die Desinformation als inhaltliche Manipulation, sondern dies umfasst noch zwei weiteren Ebenen: also Informationsmanipulation auf drei Ebenen. Natürlich werden die Inhalte manipuliert, das sieht man ja auch relativ deutlich. Aber – und das als Zusatz zur ersten Ebene – es sind nicht nur die Inhalte, was sozusagen den Kontext und so weiter anbelangt, sondern natürlich auch die Bilder, das audiovisuelle Material, das benutzt wird, Stichwort Deep Fakes zum Beispiel.  

Die zweite Ebene ist die Manipulation der Identitäten, die ich vorher schon erwähnt habe, das heißt falsche Alias, falsche Konten und Netzwerke, die es eigentlich gar nicht gibt – also inauthentische Netzwerke.  

Die dritte Ebene ist auch etwas sehr Wichtiges, insbesondere meines Erachtens in der Digitalpolitik. Und das ist die Manipulation der Reichweite: Das heißt, es gibt Tricks, auch technische Tricks, wie man seine eigene Stimme verstärken kann, wie man das Narrativ auch ganz schnell verbreiten kann, nämlich indem man beispielsweise auch Algorithmen austrickst. Und ich weiß, ich bin ein bisschen langatmig jetzt bei dieser Frage, aber das ist mir sehr, sehr wichtig, dass man das versteht, dass es nicht um die Meinung der einen Seite gegen die Meinung der anderen Seite geht und dann beide Seiten tricksen dann ein bisschen, um irgendwie besser durchzukommen, sondern, dass das Problem sehr viel tiefer und auch sehr viel systemischer und manchmal auch sehr viel technischer ist.  

Die drei Ebenen sind also das eine und jetzt kommt noch eine weitere Sache dazu und die sehen wir gerade auch in diesem Krieg. Also spreche auch noch einmal über diese Narrative. 

Es geht also nicht allein um die eine Meinung und die Gegenmeinung, sondern um viele unterschiedliche Narrative. Es gibt beispielsweise das Narrativ der Europäischen Union oder des Westens, und da wird dann nicht nur eine Gegenversion gesetzt, sondern man setzt verschiedene Gegenversionen. Und das hat nämlich eine ganz perfide Wirkung, auch im Psychologischen, weil man nämlich als Zuschauer:in sowieso eine gewisse Distanz hat, da man nicht selbst dabei ist und nicht weiß, wo das Narrativ herkommt. Aber wenn ich zu viele Angebote sehe, dann traue ich letztlich keiner Quelle mehr. Und das ist auch die Technik, die dahintersteht, dass man nämlich durch diese Verwirrung natürlich auch die Narrative und manchmal auch die Fakten der anderen relativ schnell dekonstruieren kann.  

Vielleicht noch eine, weil sie wichtig ist, das sogenannte „Whataboutism“, also eine Relativierungsstrategie, die immer wieder angewendet wird. Und das kann man selbst im Persönlichen sehen, wenn Sie mit ihrem/ihrer Partner:in oder wie auch immer diskutieren: Sie können einer Aussage oder einem Vorwurf relativ schnell den Boden unter den Füßen wegziehen, indem Sie sagen: „Ja, aber was ist denn mit deinen Fehlern oder Ähnlichem?“ Und in dieser Strategie, wird das genauso benutzt, dass man sagt: „Ja, kann sein, dass wir da eine militärische Operation haben, aber was ist dann mit NATO 1999?“ Das heißt nicht, dass das jetzt total aus der Welt geholt ist, aber diese Strategie immer wieder zu relativieren, ist wirklich ein ganz wichtiges Element. Das war jetzt sehr langatmig, tut mir leid. 

Anna-Katharina Meßmer: Ja, deswegen bin ich jetzt ein bisschen hin und hergerissen, wie wir weiter machen, weil einerseits hätte ich ein Interesse daran, dass wir auch noch mal über die Themen oder Narrative sprechen. Wobei ich, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, das, was Sie gerade gesagt haben, so zusammenfassen würde, dass vielleicht die konkreten Themen gar nicht so wichtig sind und sich immer wieder verändern und an die aktuelle Situation anpassen. Aber was sozusagen dahintersteht und ich finde, das haben Sie sehr gut nachvollziehbar über diese drei Ebenen dargelegt, ist die Informationsmanipulation, die Manipulation der Identitäten und die Manipulation der Reichweite.  

Patrick Gensing hatte es im faktenfinder der Tagesschau noch mal so zusammengefasst: „Die Strategie des Kremls ist Ablenken, Dementieren und Verwirren.“ Das ist ja genau das, was Sie auch gerade beschrieben haben und was ja auch in der Forschung zu Desinformation ein wiederkehrendes Thema ist, dass das Problem nicht ist, dass die Menschen andere Gegengeschichten glauben, sondern eher, dass es Zweifel sät.  

Ehrlicherweise würde ich tatsächlich die Inhalte an der Stelle ein bisschen zurückstellen, vielleicht kommen wir da in der Fragerunde noch mal auch drauf zurück, aber mir wäre schon sehr daran gelegen, einmal auch mit Ihnen darüber zu sprechen, was denn jetzt die konkreten Gegenstrategien der EU sind: Einfach aus dem Grund, da das was Sie dargestellt haben, sehr deutlich macht, dass wir mit einigen Labels auf Facebook oder YouTube, die mir etwas zu der Quelle verraten oder mit einzelnen Faktenchecks gegen diese gezielte Strategie, die auf diesen drei Ebenen steht, ja gar nicht ankommen. Deshalb möchte ich da gerne etwas tiefer eintauchen und mit Ihnen darüber sprechen, was die EU jetzt ganz konkret dagegen tut. Ich weiß, die EU ist ein großer Begriff, aber was tut Ihr Referat; was tun wir von EU-Seite dagegen, um gegen diese drei Säulen und diese umfassende Strategie anzugehen?  

Lutz Guellner: Also die schlechte Nachricht ist, dass es kein Allheilmittel gibt. Es gibt nicht sozusagen die eine Politik, das eine Gesetz oder die eine Aktivität, um das Problem in den Griff zu bekommen. Desinformation, eben weil es über Inhalte, über Strukturen, über die Technik und über vieles andere geht, betrifft deswegen so viele unterschiedliche Politikbereiche. Ich war die letzten drei Tage in Berlin, hatte auch Gespräche im Digital-Ausschuss mit den außenpolitischen Arbeitsgruppen der Fraktionen im Bundestag. Und Sie können sich vorstellen, dass jede:r auf dieses Thema mit seinem oder mit ihrem Blickwinkel schaut. Und ich kann Ihnen sagen, natürlich braucht man, den gesamten Blumenstrauß an bildungspolitischen Maßnahmen, an digitalpolitischen Maßnahmen, an sicherheitspolitischen Maßnahmen und eben auch, und da kommen wir ja her, und deswegen betone ich das immer so: an außen- und sicherheitspolitische Maßnahmen. 

Sie merken schon, ich versuche das so ein bisschen zu strukturieren auch, weil dieses Thema immer so konfus dargestellt wird. Und das ist kein Vorwurf an irgendjemand und insbesondere nicht an die vielen Journalistinnen und Journalisten, die wirklich ganz viel darüber schreiben momentan und das ist toll. Aber ich glaube, man muss sich sozusagen die Möglichkeiten auch darauf zu reagieren in vier Bereichen vorstellen. Und da sind wir auch aktiv, und zwar nicht nur wir als EU, sondern zum Teil auch die Bundesregierung und auch das zivilgesellschaftliche Engagement, auf das ich insbesondere gleich noch einmal zurückkommen möchte.  

Das Erste hatte ich ja ganz zu Beginn schon erwähnt: Eine der wichtigsten Strategien meines Erachtens ist, dieses Licht-ins-Dunkel-Bringen, zu zeigen, wie funktioniert das; ist das eigentlich eine Gefahr; was ist eigentlich das Problem dabei? Und ich glaube, das ist ganz, ganz wichtig, weil ich kann natürlich gegen Desinformation oder gegen Missinformation vorgehen. Aber warum eigentlich? Ist es denn eigentlich ein Problem für uns? Also für uns, sage ich, für uns alle, nicht nur für die EU natürlich.  

Bei Desinformation von externen Akteuren geht es letztlich auch um die Zielrichtung: Man möchte Verwirrung stiften, man möchte unterminieren, man möchte schwächen, man möchte gesellschaftlichen Diskurs, also wie soll ich sagen, Diskussionen auch anstacheln, manchmal zu einem bestimmten Thema, manchmal auch als mittel- bis langfristige Strategie. Und dafür muss ich natürlich genau wissen auch, wer agiert da auf welchen Kanälen und so weiter. Das immer wieder öffentlich zu machen, das zugänglich zu machen, dafür auch Daten nach draußen zu geben, ist unglaublich wichtig. Und hier ist so das große, große Thema wirklich Transparenz aus meiner Perspektive, dass wir eben nicht nur Geheimdienstberichte haben, die dann keiner einsehen kann, sondern zu zeigen: Schaut mal, was hier läuft und wie diese Dinge zusammenhängen. Das ist das, was mein Team auch auf dieser berühmten Webseite macht: euvsdisinfo.eu. Ich kann es vielleicht gleich noch mal in den Chat stellen oder vielleicht einer Ihrer Kollegen.  

Aber auch hier nicht zu weit zu gehen, der zweite große Bereich, da ist die EU, aber auch Mitgliedstaaten, auch in Deutschland passiert da unglaublich viel, ist die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft, die Resilienz. Das sind Faktenchecker, das sind Medienkompetenz, das geht in den Bildungsbereich, das ist aber auch die bessere Kommunikation, das heißt, es gibt ja manche, die so sagen: „Ja, Desinformation kann man ganz einfach lösen, man muss einfach besser sein als die andere Seite in der Kommunikation“, klingt irgendwie logisch, aber in der Praxis ist das ein bisschen komplexer, würde ich mal sagen. Aber Kommunikation gehört auch dazu und da kommt eben auch dazu dann dieser Bereich: Wie kann ich zivilgesellschaftliches Engagement stärken? Für mich ist das wirklich ein ganz wesentlicher Punkt und ich glaube, dieser Prozess läuft mittlerweile und ich sage das nicht, weil Sie das hier organisieren. Aber Stiftungen wie Ihre und viele andere Organisationen, die ich jetzt auch in den letzten Tagen wieder gesehen habe, sind wirklich das Wichtigste.  

Und die große Frage, die man stellen muss: Ist eigentlich der, in Anführungszeichen, Kampf gegen Desinformation, ist das eigentlich staatliche Aufgabe, Regierungsaufgabe? Teilweise. Teilweise, aber eben nicht nur. Der dritte Bereich, was man tun kann, ist natürlich, sich anzugucken, wie werden die Dinge transportiert, und da geht es natürlich um die sozialen Medien. Also gerade hier: Regulierung, klare Spielregeln für die Plattformen, aber auch in den Plattformen ist so wichtig. Und auf europäischer Ebene, ich sollte auch sagen, was wir machen: Ich glaube, vielen von Ihnen, die hier dabei sind, wissen, dass es ein Gesetz gibt, das momentan diskutiert wird, glaube ich, gibt es tolle Analysen auch auf der SNV-Webseite dazu, den Digital Services Act, also ein echtes Gesetz, wie mit sozialen Medien auch umgegangen wird, eben auch mit dieser Frage Desinformation, Informationsmanipulation, aber eben auch sozusagen nicht auf der Regulierungs-, auf der gesetzlichen Ebene, sondern auch Spielregeln, die man den Plattformen geben möchte.  

Ja, und der vierte Bereich, was man machen kann und was wir auch machen, ist dann der außenpolitische Bereich, da wären einige Instrumente. Und es gibt eins, das viele von Ihnen gesehen haben, das sind Sanktionen. Sanktionen gegen Russland, gegen russische Akteure, aber in dem Desinformationsbereich eben auch gegen die entsprechenden Instrumente, die benutzt werden. Und ich bin mir sicher, dass da gleich eine Frage dazu kommt. Wir haben Sanktionen verhängt gegen RT und Sputnik. Und lassen Sie mich nur erklären, warum und wie und dann höre ich auch schon auf, und dass wir noch mehr Fragen beantworten können. Nicht, weil wir kritische Stimmen irgendwie mundtot machen wollen, nicht weil wir zensieren wollen: Wer diesen Angriffskrieg gut findet als Individuum, das ist zwar unerträglich aus moralischer Sicht, aber das muss eine Demokratie leider aushalten oder nicht nur leider, das muss eine Demokratie aushalten. Das sind Stimmen, die wir zulassen müssen, sofern sie echte und genuine Stimmen sind, von echten Meinungen, von echten Menschen.  

Aber wo sozusagen die rote Linie verläuft, ist, wenn es um Stimmungsmache geht, im Sinne von: Instrumente werden eingesetzt, um nichts anderes zu machen, als staatliche Aktivität zu unterstützen, in diesem Falle diesen Angriffskrieg und die Kriegshandlungen zu rechtfertigen, dann hat das nichts mehr mit genuiner Meinung von Redakteuren zu tun, mit redaktioneller Freiheit, sondern dann ist das praktisch nichts anderes als staatliches Handeln - verlängert. Und deswegen haben wir uns entschieden, Sanktionen, kein Ban kann, kein Verbot, es gibt auch kein Berufsverbot, die Journalisten können überall arbeiten, wo sie wollen, aber es geht um RT und Sputnik als vom russischen Staat organisiert, vom russischen Staat koordiniert, vom russischen Staat finanzierte Instrumente in diesem Krieg auch, wo sie benutzt werden. Deswegen haben wir die Sanktionen verwendet.  

Gut, das ist mir ganz, ganz wichtig. Ich sehe, sie grinsen. Und ich habe nämlich in den letzten drei Tagen immer wieder die Frage bekommen: Warum macht ihr eigentlich das Gleiche wie die russische Seite? Und ich muss wirklich ganz, ganz deutlich das zurückschieben dieses Argument: Wir machen eben nicht das das Gleiche, wir tolerieren die, wie soll ich sagen, gegenteilige Meinung, natürlich, wir sind eine Demokratie. Aber was wir nicht machen wollen, ist, wenn der Staat manipuliert dahinter.  

Anna-Katharina Meßmer: Also ich habe jetzt gerade gesehen, auch schon im Chat, dass diese Frage tatsächlich schon gestellt wurde, also wie sich das zur Meinungsfreiheit verhält. (...) Ich hätte Ihnen die Frage so oder so gestellt, weil sie viel diskutiert wurde und weil es meines Erachtens auch oft verwechselt wurde mit der Frage: Können eben Privatpersonen, die jetzt auf Twitter einen Link zu RT Deutsch twittern, können die eigentlich auch belangt werden? Ich hatte das Gefühl, dass das in der Debatte zum Teil verloren gegangen ist, dass es auch nicht um Sanktionen gegen Inhalte geht, sondern um Sanktionen gegen Strukturen. Und das ist vielleicht die Unterscheidung, die man hier treffen muss. Ich denke, man kann das auch noch mal kritischer betrachten, aber ich würde eigentlich gerne einen anderen Punkt noch ganz kurz aufgreifen.  

Wir haben ja jetzt so am Rande über verschiedene konkrete EU-Maßnahmen oder Maßnahmenpakete gesprochen. Sie hatten einmal am Rande die EUvsDisinfo-Seite schon erwähnt, das ist eine Webseite, die bei Ihnen angedockt ist, die sowohl eine öffentlich zugängliche Datenbank zu verschiedenen Formen von Desinformationen anbietet, die aber auch Desinformationen einordnet. Nun ist es ja so, das ist auch im Chat schon aufgetaucht oder bei den Fragen aufgetaucht und auch eine Frage, die mich durchaus beschäftigt und da würde ich gerne ein bisschen nuancierter vielleicht diskutieren. Es ist ja eine Webseite, die bei Ihnen angedockt ist. Und der Europäische Rechnungshof hat ja auch kritisiert oder hat Kritik aufgegriffen, dass das eine schwierige Frage ist: Kann eigentlich Desinformation oder Faktenchecks geteilt werden von einer Regierungsseite oder von einer politischen Institution?  

Wir diskutieren das hier in Deutschland auch immer wieder. Können eigentlich Parteien Faktenchecks machen? Kann die Bundesregierung Faktenchecks machen? Oder kommen wir da sozusagen auch auf so eine Ebene, dass am Ende natürlich die Auseinandersetzung mit Desinformationen immer auch eine politische Position beinhaltet, wenn das von politischer Seite gestartet wird, oder eben auch der Wunsch oder das Interesse dahinter steht, ein bestimmtes Narrativ zu verbreiten; wie ist denn Ihre Meinung dazu?  

Lutz Guellner: Ja, da habe ich natürlich eine ganz besondere Meinung dazu, nachdem ich auch verantwortlich bin dafür. Dieses EUvsDisinfo versteht sich nicht als Faktenchecker, es versteht sich nicht als die Website, die eben die Wahrheit gibt und nichts anderes als die Wahrheit, sondern es ist eine Awareness-raising-, eine Bewusstseins-, wie sagt man, eine Licht-ins-Dunkel-Bringen-Kampagne über eine Gefahr, die unseres Erachtens zu lange unterschätzt wurde. Und die Website – wir haben ja vorher über die Instrumente gesprochen – nimmt auch nicht in Anspruch, dass sie 360 Grad alles sieht und sozusagen auch alles beantworten kann. Wir geben auch wenig Antworten darauf, weil die Antworten letztlich, wie man mit Desinformationen umgeht, wahrscheinlich am besten durch das Individuum, durch die Einzelperson entschieden wird.  

Und ich glaube, es wäre auch sehr gefährlich, vorzugeben, was ist wahr und was ist nicht wahr. Aber ich komme noch mal darauf zurück, was wir vorher gesagt haben. Es ist wichtig zu zeigen, welche Muster, Techniken und Prozeduren benutzt werden, in dem Falle jetzt vom russischen Staat. Man kann das natürlich noch ausweiten und eigentlich müsste man das natürlich auch im inneren Bereich – ich oder zumindest mein Team haben kein Mandat dafür. Es gibt auch kommerzielle Akteure, die solche Techniken anwenden: Das Manipulieren, das Tricksen, das Irreführen und so weiter. Unser Auftrag ist, diese Taktiken zu exponieren, zu zeigen: „Vorsicht, da passiert was!“, und eben nicht einfach nur zu behaupten, „es findet Desinformation statt und das ist der russische Staat, und wenn wir das sagen, müsst ihr uns glauben und deswegen dürft ihr da nicht mehr draufgehen“. 

Deswegen haben wir da so eine Art Datenbank angelegt, wo es nicht darum geht, jeden einzelnen Fall als Faktencheck zu betrachten. Wir sagen natürlich, warum wir glauben, dass dieser Einzelfall problematisch ist. Aber am Ende geht es darum, dass wir mehr als 13.000 von sogenannten Fällen zusammengetragen haben aus den letzten acht Jahren oder vor sieben Jahren und die uns einen guten Einblick geben über die Herangehensweise. Und eine Sache, die jetzt rückblickend unglaublich wertvoll ist in diesen ganzen Fällen, die wir da in den letzten Jahren zusammengetragen haben und die hauptsächlich von russischen Staatsmedien kommen, deswegen auch ganz deutlich dem russischen Staat zugeordnet werden können, ist, dass fast 40 % dieser Fälle sich um die Ukraine drehen. Da wird also immer wieder dieses Narrativ benutzt: Ukraine ist ein Nazi-Staat, hat kein Existenzrecht, ist sowieso ein verlorener Posten, er gehört sowieso zu Russland und so weiter und so fort.  

Und warum ist das jetzt so wichtig? Weil man gesehen hat, dass sich über Jahre hinweg dieses Narrativ gezielt aufgebaut wurde und es hilft zum ideologischen Verständnis letztlich, wie man die Ziele auch in diesem Krieg von der russischen Staatsführung eigentlich einordnen könnte. Also Sie sehen, das ist eine wichtige Unterscheidung, dass wir also nicht sagen, ist es richtig oder falsch, sondern wir wollen dieses Muster noch einmal herausarbeiten.  

Anna-Katharina Meßmer: Das verstehe ich. Also ich glaube, darüber kann man sehr lange diskutieren, ob das auch eine außenpolitische Dimension an der Stelle hat. Aber ich würde jetzt gerne mein Interesse an der Diskussion etwas zurückstellen und die Fragen aus dem Publikum aufgreifen. Die Frage mit den meisten Likes ist eine, von der Sie gleich sagen würden: „Die können Sie gar nicht beantworten.“ Ich stell sie jetzt trotzdem mal und im Zweifel können Sie dann an mich übergeben. Es ist nämlich die Frage, ob Sie Erkenntnisse darüber haben, inwiefern russische Desinformation tatsächlich in der deutschen Bevölkerung verfangen. Vielleicht, falls Sie dazu Erkenntnisse haben, gerne in ein, zwei Sätzen.  

Lutz Guellner: Also sagen wir so, wir haben keine messbaren Ergebnisse und auch die SNV hat es nicht. Und ich gebe auch die Frage gleich an Sie zurück, weil sie sehr viel Arbeit dazu gemacht haben, die wir natürlich auch berücksichtigen in unserer. Und ich möchte hier nur sagen, das ist keine Kumpanei zwischen uns beiden, Frau Meßmer und mir, sondern nachdem wir eben wirklich in alle Richtungen gucken, aber uns auch das angucken. Aber natürlich funktioniert Desinformation oder diese Informationsmanipulation mit klar auf Zielgruppen gerichteten Aktivitäten. Man guckt sich schon an, wo ist der Resonanzkörper, wer ist vulnerabel, also wer ist sozusagen eine mögliche Zielgruppe. Ich kann nur darüber nicht publizieren. Ich sehe natürlich, wie auch vor dem Krieg mittlerweile, also mit Corona und so weiter, welche Leute damit angesprochen wurden. Es geht nur über unsere eigenen Analysefähigkeiten hinaus, deswegen würde ich mich da ein bisschen zurücknehmen und tatsächlich an Sie hier noch mal geben, Frau Meßmer, weil Sie sehr gute Einblicke in den Bereich haben.  

Anna-Katharina Meßmer: Also ich würde mich da auch sehr kurz halten. Es gibt einmal diese Studie „Fakten statt Fakes” zur Bundestagswahl 2017, die eben gezeigt hat, dass generell Desinformation gar nicht so gut erinnert werden in der deutschen Bevölkerung und wir haben bei uns in der Studie zur digitalen Nachrichtenkompetenz gesehen, dass nur 16 % der Deutschen denken, dass RT Deutsch eine unabhängige Quelle ist. Insofern würde ich sagen, haben wir vulnerable Gruppen, aber insgesamt sind wir da, glaube ich, als Gesellschaft sehr resilient. Dann die Frage zu dem Feed von Erkenntnissen würde ich tatsächlich zurückstellen, weil das wäre ja gerade diese EUvsDisinfo-Seite, über die wir gerade gesprochen haben. Ich möchte aber auf die nächste Frage gerne eingehen, weil ich denke, dass die sehr interessant sein könnte. Und zu der können Sie sicher auch was sagen, wie es eigentlich mit Versuchen der Einflussnahme von anderen Akteuren aussieht?

Lutz Guellner: Russland ist nicht der einzige Akteur in dem Bereich und es gibt eine tolle Studie vom Oxford Internet Institute, das viele von Ihnen kennen, die über Jahre schon gucken, welche Staaten, welche Akteure eigentlich so Manipulationstechniken in sozialen Medien, im Internet-Bereich benutzen. Und die Antwort ist mehr als 80, das heißt, die Zahl ist groß: Ob sie es alle zum gleichen Ziel einsetzen, ob sie alles mit der gleichen "Brutalität” einsetzen, ist natürlich eine ganz andere.  

Aber wir sehen inauthentische Netzwerke, die manchmal - was weiß ich - zum Militär auch zugeordnet werden kann. Ich glaube Facebook hat heute, die haben heute ihren neuen Bericht, neuen Bedrohungsbericht herausgegeben; müssen noch mal gucken, ob das ist, weil ich weiß, dass das an einem dieser Tage kommt. Und da decken die immer wieder ganz sonderbare Aktivitäten auf und die kommen manchmal in Brasilien oder manchmal in anderen Orten, aber nur, um zu zeigen, dass das sehr breit ist. Der Akteur, der uns tatsächlich auch noch Sorgen macht, und ich halte es kurz, ist China, chinesische Akteure, nicht ganz China natürlich, Staatsapparat, Parteiapparat, Sicherheitsapparat: Wir sehen immer mehr Aktivität, die allerdings ein bisschen anders ist, als das wir von Russland sehen. 

Also da geht es nicht so sehr um Narrative zu streuen, sondern eher darum sein eigenes Bild zu beeinflussen: Wir haben das zu Corona-Zeiten gesehen; wir sehen das jetzt wieder. Was uns momentan auffällt ist, dass chinesische Staatsmedien ganz gezielt russische Desinformation, also in dem Fall diese Narrative ganz gezielt amplifizieren. Das ist schon sehr augenfällig und das ist auch etwas, was wir angesprochen haben, wir haben dazu im Übrigen auch auf EUvsDisinfo publiziert. Ich halte es wirklich kurz, aber da geht es allerdings nicht immer nur um sozusagen diese Narrativsetzung, sondern manchmal geht es auch ein bisschen weiter. Und Sie wissen, dass es exzellente Studien gibt über chinesische Aktivitäten, die in den Bereich Medien gehen, die in den Bereich NGOs, in den Bereich Think-Tanks gehen, wo man versucht zu beeinflussen in der einen oder anderen Form. Ich belasse es mal hier, das wäre wieder noch ein Web-Talk, den wir machen könnten, machen wir ein anderes Mal.  

Anna-Katharina Meßmer: Aber das ist generell bei diesem Themengebiet kann man in so viele Richtungen abbiegen und damit mache ich auch jetzt noch mal ganz kurz die nächste Richtung auf. Jörn Eichhorn fragt: "In welchem Umfang nutzen Sie zur Bekämpfung von Falschinformationen und auch zum Verbreiten korrekter Neuigkeiten künstliche Intelligenz?"

Lutz Guellner: Viel zu wenig, ist die kurze Antwort, weil wir natürlich auch gar nicht die ganzen Mittel zur Verfügung haben. Das heißt, wir bauen diese Sachen auf in der Art und Weise erst mal, wie wir dieses Thema, dieses Phänomen, was ja immer noch relativ neu ist, also zumindest aus bürokratischer Sicht, nicht so sehr aus politischer Sicht, aber man muss ja diese Strukturen erst mal aufbauen, das kann man ja nicht über Nacht machen. Aber ich warne so ein bisschen davor, dass man sagt, künstliche Intelligenz ist sozusagen das Allheilmittel, man braucht ja nur ein bisschen ein paar Programme oder ein paar Dinge sozusagen aufzusetzen. Aber natürlich spielt künstliche Intelligenz sowohl in der Bedrohung als auch in der Antwort eine ganz wichtige Rolle. 

Aber ich glaube, ich verrate Ihnen keine Geheimnisse, wenn ich Ihnen sage, wir haben kein massives Kommunikationsprogramm, das jetzt irgendwie auf Basis Künstlicher Intelligenz massiv in die sozialen Medien hineingehen würde, das ist vielleicht die richtige Antwort. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich so etwas heute konstruieren würde, weil wir eben nicht das machen wollen, was die andere Seite macht. Wir wollen ja nicht mit inauthentischen Inhalten, nicht mit inauthentischen Identitäten und die Reichweite manipulieren. Und da kommt man dann so ein bisschen an eine ethische Frage auch: Muss ich das Gleiche machen, um sozusagen diesem Phänomen zu begegnen? Meine Antwort wäre: Lassen Sie uns lieber in diese vier Bereiche gehen, die ich vorher geschildert habe, die sowieso einen Riesenblumenstrauß an unterschiedlichsten Aktivitäten beinhalten. Wenn man das alles zusammen macht, glaube ich, hilft das unglaublich, diesem Problem zu begegnen.  

Anna-Katharina Meßmer: Jetzt bin ich bei einer sozusagen stärker, tiefer-eintauchenden Frage. Hans-Joachim Popp fragt, ob Desinformation nicht grundsätzlich bekämpft werden kann, indem die Websites, das heißt auch die Quellen der falschen Informationen, systematisch stärker identifiziert werden. Das heißt, die Nachweismöglichkeit, wer der Urheber ist, muss verbessert werden.

Da bin ich immer so ein bisschen hin und hergerissen, weil das oftmals gar nicht unbedingt das Problem ist, aber vielleicht haben Sie da eine ganz andere Einschätzung als ich.  

Lutz Guellner: Ja, es ist teilweise das Problem. Also wie gesagt, die Transparenz ist, glaube ich, ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Und ich kriege ja auch immer die Frage, gerade in Pressegesprächen: "Wie kann man sich denn selber gegen Desinformation wappnen?" Und ich glaube, die richtige Antwort ist: Man muss sich sehr genau anschauen, welche Quellen werden genutzt, warum kriegt man besondere oder bestimmte Inhalte, warum kommen die sehr individuell zu einem; oder wenn es um eine Website geht, ja, den Umweg kann man schon manchmal machen, ins Impressum zu gucken einfach; was ist denn das eigentlich für ein Ding? Ich kann Ihnen gerne ein paar wirklich höchst problematische Websites geben, die auch auf Deutsch publizieren, die sich als Informationsportale verkleiden und aber wirklich nichts mit Information zu tun haben, sondern mit reiner Multiplikationsgeschichte.  

Also Transparenz finde ich unglaublich wichtig, ist aber manchmal, wie Sie selber gerade gesagt haben, nicht das alleinige Problem. Und es gibt ja tolle Initiativen auch sowohl im Kommerziellen als auch im zivilgesellschaftlichen Bereich. Da gibt es zum Beispiel, ich glaube, Microsoft ist da auch dabei mit News Guard. Also da versucht man so ein bisschen Transparenz, also auf Englisch heißen die Trust Weatherness Indicators, also Vertrauensindikatoren aufzubauen. Das ist eine Möglichkeit. Meines Erachtens läuft das auch ganz gut auf journalistischer Ebene, also Journalistenverbände, insbesondere Reporter ohne Grenzen, haben da so einen Katalog von ich weiß gar nicht wie vielen, aber sehr, sehr vielen Indikatoren aufgestellt, dass es fast so eine Art Standard gibt. Hilft das uns, das gesamte Problem zu bearbeiten? Wahrscheinlich nicht, aber es ist ein wichtiges Element meines Erachtens.  

Anna-Katharina Meßmer: Daran anknüpfend vielleicht auch, weil ich das auch einen interessanten Punkt finde, Sie haben das gerade schon angesprochen, so bei vielen so zwielichtigen Informationsseiten ist bekannt, wer dahintersteckt. Wir haben aber auch ein ähnliches Problem tatsächlich mit sogenannten Faktenchecks, und zwar nicht bei uns intern, sondern ich greife die Frage von Claudia Holzmann auf, dass die Russische Seit oft Faktenchecks zeigt, die perfiderweise selbst Fake News sind, zum Beispiel zu der schwangeren Frau bei Mariupol haben wir das viel beobachtet, wie man bei so komplexen Sachverhalten agieren kann. Ich ahne schon, dass Sie sagen, das wird bei den Faktencheckern an unserer Nachrichtenmedien liegen; aber was ist da Ihre Vorgehensweise?  

Lutz Guellner: Ich finde, Frau Holzmann hat absolut recht: Man muss vorsichtig sein, nicht jeder Faktenchecker ist ein Faktenchecker. Das heißt, auch hier ist das Allerwichtigste, dass man individuell (also wir kommen noch mal auf Medienkompetenz) sozusagen den Reflex für sich selber bekommt, welche Vertrauensindikatoren ich selber benutze. Wenn ich dem AFP-Faktencheck oder dem dpa oder der Tagesschau oder was auch immer oder dem Faktenfuchs traue, dann ist das gut, muss ich machen. Aber wie gesagt, Vorsicht mit irgendwelchen Überschriften, wo dann Faktencheck draufsteht, weil das ist genau die Sache, die Frau Holzmann gerade eben angesprochen hat: Es gibt noch andere interessante Neuigkeiten in der gegenwärtigen Kriegssituation die auch benutzt werden.  

Aber diese falschen Faktenchecks sind unglaublich gefährlich meines Erachtens, weil sozusagen das, was ich vorher auch gesagt habe, die echten Faktenchecks, die von tollen Journalisten, von engagierten Menschen, die wirklich tief in die Sache gehen, die echt nach Fakten suchen, ganz schnell relativiert werden, wenn Sie nämlich anfangen zu zweifeln, wie viele echte Faktenchecks gibt es, wie viele falschen Faktenchecks. Im Zweifel sagen Sie: „Ich vertraue gar keinem davon“, und das ist genau auch eine der Methoden, die benutzt wird, worüber wir ja zu Beginn unseres Gesprächs gesprochen haben. Also, ich kann Ihnen nicht sagen: „Gehen Sie zu dem Outlet oder zu dem Faktencheck, das ist das einzige, was zählt“, ich glaube, man muss sich selber und auch mit Zeit da auch damit beschäftigen. Das ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, wie man damit umgehen kann.  

Anna-Katharina Meßmer: Sie haben da eine wichtige Dimension angesprochen mit dem Vertrauen in bestimmte Medien. Das haben wir auch in unserer Studie zur Nachrichtenkompetenz gesehen, dass digitale Nachrichtenkompetenz und Medienvertrauen eben sehr stark auch miteinander interagieren. Auch Demokratievertrauen hat interagiert mit digitaler Nachrichtenkompetenz. Und deswegen finde ich persönlich natürlich auch die Frage von Maximilian Nominacher sehr interessant, der fragt nämlich: "Welche Mechanismen und Dynamiken zum Thema Desinformation sollten Lehrkräfte Ihrer Meinung nach unbedingt verstehen, um in der Schule Prävention zu betreiben und ein grundrechtsensibles Verständnis für das Phänomen zu entwickeln und zu vermitteln?"  

Lutz Guellner: Ja, da gibt es natürlich viele, viele Aspekte und es gibt auch tolle, tolle inhaltliche, pädagogische Ansätze mittlerweile, Ansätze, Herangehensweisen. Für mich ist das Wichtigste, immer wieder darauf zurückzukommen. Desinformation – und wie gesagt, das ist vielleicht der einzige Punkt, wo wir nicht ganz übereinstimmen – kann man nicht nur über die Inhalte definieren, und ich sage Ihnen noch mal warum. Das beantwortet nicht die Frage, aber das ist vielleicht ein wichtiger Punkt, den ich vorher nicht aufgegriffen habe. Desinformation arbeitet auch damit, bestehende Diskussionen in einer Gesellschaft zu manipulieren, indem man entweder die eine oder die andere oder manchmal gegenüber gesetzte Positionen verstärkt. Das heißt nicht, dass damit automatisch das Argument diskreditiert ist und Fake News ist, sondern, dass diese Manipulation eben auch geschehen kann. Denken Sie mal zurück an die Migrationssituation, die wir vor ein paar Jahren hatten oder die ganze Diskussion zum Klimawandel.  

Es gibt Leute, die glauben nicht an den Klimawandel; es gibt wahrscheinlich Fakten, die dagegen sprechen, aber die Demokratie hält das aus. Ist es deswegen automatisch totale Fake News, wenn man vielleicht nicht vollkommen überzeugt ist, sondern nur was weiß ich gewissen Elementen nicht glaubt oder so ähnlich? Aber ich sage noch mal, wo sozusagen das Problem beginnt: Das Problem beginnt, wenn von außen, insbesondere von außen, kann auch von innen kommen, aber wenn jemand sozusagen dieses Element verstärkt, künstlich verstärkt, ohne dass es sozusagen die gesellschaftliche Realität widerspiegelt. Also das ist mir wichtig noch mal zu sagen, Desinformation ist nicht immer konstruiert, ist nicht immer erstunken und erlogen und ist auch nicht immer absurd, sondern sie zielt auch genau auf diese Sache ab, zum Beispiel mit der ganzen Impffrage, die ja immer noch ist, aber wahrscheinlich jetzt nicht mehr so prominent.  

Aber natürlich gab es Probleme mit Impfstoffen. Es gab auch tödliche Fälle von Impfstoffen, aber ich weiß nicht wie viele, sieben oder zwölf oder Ähnliches, aber die wurden dann aufgebauscht, zum Teil in einer Art und Weise und systematisch verstärkt, und meines Erachtens gehört das dazu, zu dem Verständnis. Also noch mal zurück zur Frage Lehrkräfte müssen verstehen, wie vielschichtig dieses Problem ist und dass es nicht um Wahrheit gegen Lüge geht, sondern dass es auch um Manipulationstechniken im öffentlichen Raum geht und wo Kinder, aber nicht nur Kinder, sondern wir alle einfach nicht nur begeistert von den tollen Möglichkeiten, die uns das digitale Zeitalter gegeben hat, sondern auch von den vielen Gefahren, von den vielen Manipulationsmöglichkeiten wissen müssen.  

Ich würde sagen, ein Fall Lisa, die viele von Ihnen noch kennen, also der Urfall der Desinformationskampagne, glaube ich, würde heute nicht mehr funktionieren in Deutschland. Ich glaube, dazu gibt es schon genug Bewusstsein, Sie haben ja selber die Zahlen gerade gesagt, aber Techniken verändern sich und da muss man eben aufpassen.  

Anna-Katharina Meßmer: Da würde ich ja dagegenhalten, dass der Fall Euskirchen in eine bisschen ähnliche Richtung ging, aber da wären wir jetzt in einer sehr tiefen Beispieldiskussion drin, und deswegen würde ich sagen, das waren doch gute Schlussworte schon mal. Ich bin gerade ein bisschen hin und hergerissen, ob ich noch eine Frage aufnehme, aber ich habe den Eindruck, es sind vor allem noch mal Bildungsfragen, dazu haben wir gesprochen. Vielleicht, dafür werden Sie mich jetzt nicht mehr mögen, wenn ich das jetzt zum Abschluss mache, weil wir damit noch mal ein neues Thema aufmachen, aber Sie hatten selber vorher den Digital Services Act, das Digitale-Dienste-Gesetz explizit angesprochen als eine der vier Strategien gegen Desinformationen, nämlich die Regulierung von Plattformen. Die stellt auch ein anonymer Zuschauer, die Frage: "Wie sehen Sie die Bedeutung, wird er tatsächlich substanzielle Verbesserungen bringen?" Diese Frage überlasse ich Ihnen zum Abschluss mit Bitte um eine knackige Antwort.  

Lutz Guellner: Die knackige Antwort ist natürlich, dass ich meinen Arbeitgeber verteidige und sage: Das ist wirklich ein Quantensprung, dass man sagt: „Wir haben zum ersten Mal wirklich etwas, was wir vor Gericht einklagen können.“ Und das zweite Positive und ich weiß, dass auch die Stiftung Neue Verantwortung sehr viel Arbeit, auch sehr viel kritische Arbeit meines Erachtens und auch vollkommen gerechtfertigt oder zumindest diskutierbar, dazu macht. Aber der Ansatz macht etwas ganz, ganz Wichtiges, er gibt nicht vor, was richtig und was falsch ist, also er gibt inhaltlich nicht vor, wie man sich zu verhalten hat, sondern dieser Akt oder diese neue Gesetzgebung macht etwas, dass man sagt: „In diesem digitalen Bereich, insbesondere durch Desinformation, entstehen Risiken für unsere Gesellschaft.“ Risiken, die konkret sind, was weiß ich, Sie haben eine Gesundheitskrise, und ich muss mich ein bisschen sputen, weil wir gleich aufhören wollen und deswegen nicht so viele Beispiele.  

Aber es ist kein esoterisches Problem, sondern es ist wirklich ein Problem. Und das können wir nur anwenden oder das können wir nur angehen, indem wir sagen, dieses Risiko muss richtig erschlossen werden, und das müssen wir eben auch die Plattform machen. Und dann muss man Risk Mitigation, also die entsprechenden Strategien entwickeln, wie man diese Risiken abbauen möchte und das sozusagen in einem verpflichtenden Rahmen zu haben, ist glaube ich ein Riesenschritt nach vorne. Aber wenn der DSA durch ist, dann muss man sie natürlich erst mal implementieren. Also ich glaube, es wäre fair, in ein, zwei, drei Jahren wirklich diese Debatte zu führen.  

Ich bin mir ganz sicher, dass sie kommen wird. Ich habe gestern lange mit den Bundestagsabgeordneten im Digitalausschuss darüber gesprochen und ich würde Sie alle einladen, auch sehr genau darauf zu gucken und auch auf den Code of Practice, also das ist dann eher ein selbstverpflichtender Code, der aber unglaublich gute Spielregeln definiert. Ob sie eingehalten werden oder nicht, ist wahrscheinlich dann die Gretchenfrage. Vielen Dank.  

Anna-Katharina Meßmer: Dankeschön. Das ist ja der Unterschied zwischen dem Digitale-Dienste-Gesetz, das sozusagen wirklich eine Gesetzgebung ist und dem Code of Practice on Desinformation, einer Selbstverpflichtung oder einem Verhaltenskodex, der durchaus auch, Sie haben es ja schon angesprochen, dafür auch kritisiert wird, dass eben unklar ist, wie er zustande kommt, aber vor allem auch eher nicht verpflichtend ist, sondern dass es ein Verhaltenskodex ist, den sich die Unternehmen wie Google und Facebook selbst geben. Die beiden sollen ja idealerweise ineinandergreifen, und Sie haben es schon angesprochen, mit den Risk Assessments und Mitigations beschäftige ich mich aktuell in meinem Projekt, daher weiß ich, es wird ähnlich wie mit unserem Gespräch jetzt sein.  

Der Teufel steckt im Detail und man kann da abstrakt drüber reden, aber sobald man dann in die Themen reingeht, zeigt sich noch mal, dass es komplexer ist. Ich würde wahnsinnig gerne eine Kurzzusammenfassung dieses Gespräches geben, aber das erscheint mir nahezu unmöglich, weil wir sehr viele verschiedene Bereiche angesprochen haben. Vielleicht zusammengefasst, wir haben heute gelernt, dass kein Tag wie der andere ist bei Ihnen im Team, dass Sie vor allem Ihren Blick nach außen richten, also nicht Desinformationsverbreitung durch Akteur:innen innerhalb der EU, sondern eben durch staatliche Akteure von außen. Ich fand ganz interessant Ihren Punkt oder Ihre drei Punkte, die Sie gesagt haben zur Desinformation, und da sind wir gar nicht unterschiedlicher Meinung, dass wir es hier mit einem Ökosystem zu tun haben, in dem Informationsmanipulation, Manipulation von Identitäten und Manipulation von Reichweite ineinandergreifen. 

Ich denke, das ist ein Modell, das vielen helfen wird, auch dieses ganze Phänomen umfassender zu verstehen. Und ich fand auch interessant, die vier Bereiche, die Sie angesprochen haben, sozusagen als Gegenstrategien im Überblick, nämlich: Erstens, Licht ins Dunkel zu bringen und eben aufzulösen, wie hier versucht wird, Verwirrung zu stiften; zweitens, die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaften zu stärken; drittens, da haben wir jetzt gerade noch abschließend darüber gesprochen, mit dem DSA die Verbreitungswege auch zu regulieren; und viertens, eben die außenpolitischen Instrumente, die zur Verfügung stehen.  

Ja, vielen Dank an Sie, Herr Güllner, dass Sie uns diesen Einblick in Ihre Arbeit gegeben haben. Vielen Dank auch einmal hier an das Kommunikationsteam der SNV, das das heute aufgesetzt hat. Und vor allem auch vielen Dank Ihnen, liebe Zuhörer:innen und Zuschauende, Sie haben wahnsinnig viele sehr gute, kluge und interessante Fragen gestellt: Es tut mir leid, dass wir es nicht geschafft haben, alle aufzugreifen, ich habe mein Bestes gegeben. Ich würde mich freuen, wenn wir in Kontakt bleiben. Die aktuellen Infos zu unserer Arbeit, unseren Papieren und unseren Veranstaltungen finden Sie auf unserer Website. Sie können gerne unseren Newsletter abonnieren und uns auf Twitter folgen. Haben Sie einen schönen Abend und teilen Sie keine Desinformationen.   

- Ende des Transkriptes -  

Erschienen bei: 
Stiftung Neue Verantwortung
13. April 2022
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