Transkript zum Hintergrundgespräch "Nachrichtendienstpolitik im Kontext der Zeitenwende"

Transkript

Am 02. Mai sprach Thorsten Wetzling, Leiter des Themenfeldes "Digitale Grundrechte, Überwachung & Demokratie" in einem Hintergrundgespräch mit Dr. Konstantin von Notz, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen und neu gewählter Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) im Bundestag. Thema war unter anderem, wie die Zeitenwende in der Außen- und Sicherheitspolitik die Nachrichtendienstpolitik beeinflusst. Zudem gab die von der Ampel eingeläutete neue Ära des Nachrichtendienstrechts Anlass für viele Fragen.

Es folgen die Aufnahme und ein Transkript der Veranstaltung. Der Text wurde zur besseren Lesbarkeit bearbeitet. Es gilt das gesprochene Wort.

 


– Beginn des Transkriptes –

Thorsten Wetzling (SNV): Ich heiße Sie alle ganz herzlich willkommen zu dem virtuellen Hintergrundgespräch der Stiftung Neuen Verantwortung mit Dr. Konstantin von Notz zum Thema „Nachrichtendienstpolitik im Kontext der Zeitenwende“. Ich bin Torsten Wetzling und bedanke mich bei Ihnen für Ihr Interesse. In der Stiftung Neuen Verantwortung leite ich den Themenbereich „Digitale Grundrechte, Überwachung und Demokratie“. Und bevor Dr. Konstantin von Notz und ich den direkten Austausch beginnen, möchte ich kurz das Thema einführen, unseren Gast vorstellen und ein paar Worte zum Format und zur Technik verlieren.

Worum soll es gehen? Es ist Krieg in Europa. Russlands brutales Vorgehen in der Ukraine bringt schreckliches Leid für die Zivilbevölkerung, verlangt entschiedenes Handeln und ein Hinterfragen der bisherigen außen- und sicherheitspolitischen Leitsätze und Ziele Deutschlands. Zudem braucht die Bundesregierung stetig aktuelle und eigene Informationen, die sie zum Teil mit den NATO-Partnern und der ukrainischen Regierung und deren Streitkräften teilt. Was will der Aggressor? Was beeinflusst seine Kriegsplanung? Welchen Rückhalt hat er dafür? Aber auch Funkaufklärung russischen Militärs und Warnung der ukrainischen Truppen vor Raketenbeschuss nahezu in Echtzeit. Um die Bundesregierung zu diesen und zahlreichen anderen Themen umfassend ins Bild zu setzen, hat insbesondere der Bundesnachrichtendienst, ein Drei-in-Eins-Nachrichtendienst – also ein Auslandsnachrichtendienst, ein militärischer Nachrichtendienst und ein technischer Nachrichtendienst – viel zu tun und trägt eine große Verantwortung. Umso wichtiger wird auch seine Kontrolle.

In jüngerer Zeit hört man insbesondere im militärischen Kontext häufiger, dass die „Datensammelwut“, ein Zitat, einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der ukrainischen Kräfte an der Front leistet. Zudem, und insbesondere gilt aber auch, dass die Erhebung, Bearbeitung und Übermittlung von personenbezogenen Daten schwere Eingriffe in Grund- und Menschenrechte darstellen. Und dass das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich, wie erst letzte Woche im Kontext der Inlandsnachrichtendienste, eine Verbesserung der rechtstaatlichen Mindestvoraussetzungen für derartige Eingriffe einfordert.

Neben den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und weiterer anhängiger Verfahren dort zum Artikel 10 des deutschen Grundgesetzes und zum Staatstrojaner in Karlsruhe gab es in den letzten zwei Jahren mehrere Entscheidungen des Europäischen Menschengerichtshofes in Straßburg und des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg, die die Befugnisse und die Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeiten des Bundes zum Teil direkt betreffen. Einiges muss, vieles soll vom Gesetzgeber bald umgesetzt werden. Die Ampel plant eine umfangreiche Revision des Sicherheitsrechtes. Nach 16 Jahren großer Koalition haben viele die vielen Vorhaben der Ampel im Sicherheitsrecht als eine neue Ära bezeichnet.

Das wollen wir heute mit der in der eingangs beschriebenen Zeitenwende in der Außen- und Sicherheitspolitik in Bezug setzen. Dafür haben wir einen erfahrenen und zentralen Akteur der deutschen Nachrichtendienst- und Sicherheitspolitik zu Gast. Er kann uns sicher helfen, diese Aspekte weiter zu beleuchten und zu sortieren. Daher heiße ich ganz herzlich Dr. Konstantin von Notz willkommen. Sie sind stellvertretender Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Grüne im Bundestag und noch recht frisch im Amt als Vorsitzender des Gremiums dort, welches die Dienste kontrolliert. Vorher waren Sie schon lange lange Mitglied dort. Also herzlichen Glückwunsch dafür und vielen Dank, dass Sie diese Einladung angenommen haben.

Konstantin von Notz (Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen und Vorsitzender des PKGr): Sehr gerne. Danke für die Einladung.

Thorsten Wetzling: Zurzeit wird in den Zeitungen viel über den Zustand der Bundeswehr nach 16 Jahren großer Koalition und die Notwendigkeit neuer Ressourcen und Kapazitäten gesprochen. Auch der BND hat mit einem Prozess der strategischen Modernisierung begonnen. Da geht es zum Beispiel darum: Wie können bessere Lagebilder, Prognosen, anders als zum Beispiel im Vorfeld des Siegeszuges der Taliban in Afghanistan, erstellt werden? Und dafür werden auch externe Berater, glaube ich, zu Rate gezogen und auch der BND-Präsident hat angekündigt, dass er seinerseits nochmal an das BND-Gesetz ran möchte. Sehen Sie Parallelen zur Bundeswehr? Ist der Auslandsnachrichtendienst derzeit gut aufgestellt, gut ausgestattet, um seinem gesetzlichen Auftrag nachzukommen oder fehlt es an entscheidenden Ressourcen oder Befugnissen?

Konstantin von Notz: Also ich würde die Diskussion eigentlich gerne trennen, jetzt ohne der Grundthese widersprechen zu wollen, dass es wahrscheinlich in beiden Bereichen Reformbedarf gibt. Bei der Bundeswehr gibt es ja dramatische Probleme: Es fliegen zu wenig Hubschrauber, Flugzeuge, zu wenig Schiffe, es ist zu wenig Material da und man hat da einfach strukturell über viele Jahre zu wenig investiert. Da bringe ich wenig Expertise mit, da verfolge ich auch nur aufmerksam die Diskussion, die wir im Augenblick führen. Im Bereich der Nachrichtendienste hat es in den letzten Jahren immer wieder und regelmäßig durch Gerichtsentscheidungen Nachsteuerungen gegeben. Sehr wichtig war auch der NSA-Untersuchungsausschuss, die Snowden-Veröffentlichungen und das, was da an Nachsteuerung dann passiert ist. Es sind neue Kontrollorgane dazu gekommen: der unabhängige Kontrollrat, der sich jetzt gerade in der gesamten Breite erst aufstellt. Und auch der BND selbst hat immer wieder Reformen erfahren, schon alleine durch die räumliche Umsiedlung aus dem tiefen Bayern mit großen Teilen in die Mitte von Berlin. Insofern, die Behörde war in den letzten Jahren in Bewegung und insofern würde ich sagen, gibt es Nachsteuerungs- und Reformbedarf, aber man hat kontinuierlich doch versucht, Dinge zu verbessern, bestimmte Techniken im digitalen Raum zu verrechtsstaatlichen. Das ist das eine.

Und die andere Problematik ist die, die wir unter der Zeitenwende vielleicht auch subsumieren, nämlich dass durch diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mitten in Europa sich auch in Bezug auf die Frage, von wo aus Gefahren drohen, Dinge sich doch nochmal fulminant verändern. Man muss einfach davon ausgehen, dass im Hinblick auf Spionage und Infiltration und Ähnliches die Nachrichtendienste seit vielen Jahren vielleicht sogar seit 1990, nicht so unterwegs sind, wie sie es vorher waren. Deutschland hat in weiten Teilen, nach meiner Einschätzung, 1990 die Fahne eingerollt und gesagt, so, das scheint hier abgehakt zu sein, wir kümmern uns ab jetzt um andere Probleme, auch nicht weniger relevante. Nach 2001, dem 11. September, hat man eben sehr scharf auf den Bereich des islamistischen Terrorismus weltweit geguckt. Da viele Kapazitäten reingelegt. Man hat in den letzten Jahren zu Recht, meiner Ansicht nach, viel auf die vernetzten rechtsextremistischen Strukturen geguckt und es gibt viele andere Bereiche, in denen man zu Recht sich neu ausgerichtet hat. Aber jetzt stellt sich eben schon die Frage, was Spionageabwehr, den Umgang mit feindlicher Propaganda und ähnliches angeht. Also insofern gibt es jetzt auch einfach durch die neu gesetzten Fakten eine Agenda, die man angehen muss.

Thorsten Wetzling: Da kommt ja auch viel mehr Öffentlichkeit jetzt gerade in letzter Zeit von einigen westlichen Nachrichtendiensten ins Spiel.

Nächste Frage wäre: Welche der folgenden Forderungen, die entweder aus einschlägigen Gerichtsurteilen bzw. aus der Analyse neuer Nachrichtendienstgesetze in Reaktion darauf stammen, halten Sie für besonders wichtig bei der anstehenden Evaluation und Reform des Nachrichtendienstrechtes in Deutschland?

Ich gebe Ihnen jetzt zwei Optionen, dann können wir gucken, welche von den beiden Sie besonders anspricht oder auch nicht und warum.

Option A: Verkehrsdaten geben einen sehr detaillierten und intimen Blick in das Bewegungs- und Persönlichkeitsprofil von Personen. Nachrichtendienstgesetze stellen Verkehrsdaten aber unter einen deutlich geringeren Schutz vor unverhältnismäßigen staatlichen Zugriff und Verarbeitung als beispielsweise Inhaltsdaten. Nach dem europäischen Menschengericht sollen das Schutzniveau und die Kontrolldichte aber angeglichen werden. Das ist eine Forderung. Können wir diskutieren, wie Sie dazu sich verhalten.

Option B: Die anvisierte Reform des Nachrichtendienstrechtes sollte auch das militärische Nachrichtendienstwesen, also zum Beispiel Teile des Kommandos Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr betreffen, wo ebenfalls im Zuge der Funkaufklärung und des elektronischen Kampfes massenhaft oder vielleicht besser „im großen Maße“ internetbasierte Kommunikationsdaten erhoben und verarbeitet werden. Da dies auch nachrichtendienstliche Tätigkeiten des Bundes sind, bedürfen sie einer einfach gesetzlichen Grundlage und ein Gremium im Bundestag für seine Kontrolle.

Diese beiden Punkte. Wenn Sie davon eins in die Evaluation und vielleicht auch Reform der Nachrichtendienste und des Nachrichtendienstrechtes übernehmen könnten, würde mich das interessieren.

Konstantin von Notz: Ich würde jetzt aus dem Bauch heraus dazu neigen, an die zweite Aufgabe zuerst zu gehen. Das haben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart und das ist seit vielen Jahren ein Ärgernis, dass dieser Bereich bisher ausgeklammert ist. Das halte ich auch nicht für klug, also auch nicht von denen, die da bisher relativ unkontrolliert die Dinge machen und deswegen ist das ein Bereich, wo man aus dem toten Winkel sozusagen raus muss und sich der rechtsstaatlichen Kontrolle stellen muss. Das ist sowieso meine Haltung in ganz vielen Bereichen. Ich halte es für einen großen Trugschluss, auch von Seiten der Exekutive, zu glauben, es sei in irgendeiner Weise vorteilhaft, sich der parlamentarischen Kontrolle zu entziehen oder das Leben sei dann irgendwie unkomplizierter – das Gegenteil ist der Fall. Wir sehen im Augenblick bei dem Skandal um Pegasus und NSO, ich weiß nicht, wer heute Nachmittag den Ticker verfolgt hat, aber in Spanien spitzen sich die Dinge zu und es gibt einen Untersuchungsausschuss im europäischen Parlament. Und die Frage, ob Deutschlands Nachrichtendienste solche Technik anwenden oder nicht, steht irgendwie im Raum. Wir haben das im Zusammenhang mit FinFisher in den letzten Jahren ganz oft thematisiert, dass diese Technik problematisch ist und damit sage ich nicht, dass die automatisch nicht eingesetzt werden darf, sondern ich sage, sie muss angemessen und verhältnismäßig, also rechtstaatlich erfolgen und dafür bedarf es offensichtlich der Kontrolle und wenn man sich der entzieht, strukturell und voll umfänglich, dann ist man mit allen Skandalen, die auf einen zusegeln, auch in der Haftung. Das müssen sich alle klar machen und das erscheint mir keine triviale Frage im Augenblick.

Aber es gibt, und das haben Sie ja auch schon vorher angedeutet, natürlich mehrere andere Bereiche, in denen dringend nachjustiert werden muss. Wir haben das Schlagwort der Überwachungsgesamtrechnung. Im Grunde ist das ein Begriff, hinter dem sich die Überzeugung verbirgt, dass in einem Rechtsstaat auch mal Instrumente, die vielleicht nicht so effektiv sind oder die nicht verhältnismäßig sind, weil sie ein tiefer Eingriff sind und relativ wenig bei rumkommt, dass man die auch mal wieder zurücknehmen kann, um gegebenenfalls an anderer Stelle auch mal ein neues Instrument rechtsstaatlich auszuprobieren. Und in diesen Zeiten befinden wir uns und deswegen ist dieses Projekt der Überwachungsgesamtrechnung ein ganz wichtiges. Ich bin froh, dass die Ampel das vereinbaren konnte und jetzt hoffen wir, dass wir trotz aller Probleme, die wir im Augenblick haben und die die Tagespolitik auch kopieren, das gut eingestellt bekommen. Man muss das selbstverständlich begutachten lassen und dann sollte man das relativ früh in dieser Legislatur angehen, damit man zum Ende hin auch noch fertig wird.

Und wir wollen ja eh insgesamt die parlamentarische Kontrolle stärken. Auch das steht im Koalitionsvertrag und das kann man durch verschiedene Instrumente machen. Auch dadurch, dass man die Kontrolle personell wie technisch stärkt. Technisch ist vor allen Dingen interessant, wenn es die Möglichkeit gäbe, eben auch Akten elektronisch zu lesen und nicht mehr nur sozusagen händisch und ohne die Möglichkeit, größere Aktenbestände zu durchsuchen. Auch darüber werden wir sehr intensiv sprechen in den nächsten Wochen und Monaten.

Und für mich noch sehr wichtig, weil mich das schon ganz lange beschäftigt, die Frage des Haltbarkeitsdatums bei Einstufungen, also wie lange können Sachen eigentlich geheim gehalten werden? Da meine ich jetzt nicht die Klarnamen von irgendwelchen Quellen, da gibt es eine Berechtigung für, dass man das sehr lange kann. Aber geheim gehaltene Sachverhalte müssen in Demokratien nach meiner festen Auffassung ein Verfallsdatum haben. Ich will mich da gar nicht festlegen, weil das so eindeutig auch nicht ist. Sind es 20, 25 oder 30 Jahre? Aber nach einer bestimmten Frist müssen bestimmte Sachverhalte, auf denen der Staat hockt und die er als geheim eingestuft hat, öffentlich gemacht werden und öffentlich zugänglich gemacht werden.Und auch das steht im Koalitionsvertrag. Auch das ist für uns ein wichtiges Instrument, um den gesamten Bereich zu modernisieren.

Letzter Gedanke: Ich würde sagen, der Konflikt, den wir im Augenblick sehen, mit Russland und auch mit anderen Ländern in einer anderen Schärfe, aber mit anderen Ländern wie China, ist eine Wertefrage, eine Frage nach Rechtsstaatlichkeit und wie sind moderne Demokratien, wie verhalten sich im Hinblick auf autokratische Systeme Diktaturen? Und gerade der für diese Frage sensible Bereich der Nachrichtendienste wird dadurch unter einen Modernisierungsdruck gestellt. Wir müssen sozusagen uns effektiv wehren können in dieser Auseinandersetzung, die wir haben und gleichzeitig unsere rechtsstaatlichen Ansprüche verteidigen und deswegen wird das in den nächsten Jahren, glaube ich, ein sehr spannender Bereich bleiben.

Thorsten Wetzling: Ja, das ist, glaube ich, wirklich so und ich möchte die Stichwörter einmal aufgreifen, was Sie gerade genannt hatten, das war einerseits, dass man als wehrhafte Demokratie die Modernisierung vorantreiben muss und auch neue Instrumente rechtsstaatlich prüfen sollte, ob sie denn mal genutzt werden können. Und da ist mir zu diesem Stichwort ‚neues Instrument‘ was aufgefallen, was in den letzten Monaten häufiger mal in vielen europäischen Ländern und auch in den USA zum Thema kam und das ist das käufliche Erwerben von Datensätzen durch Nachrichtendienste und deren automatisierte Analyse. Also die nächste Frage betrifft den Zugang und die Verarbeitung von Daten, die Sicherheitsbehörden, die Nachrichtendienste, von privaten Anbietern, Data Brokern, beziehen. Diesmal aber nicht im Rahmen von einer gesetzlichen Verpflichtung zur Ausleitung, oder einer, wie es im Dezember mal Thema war, Mitwirkungspflicht beim Aufspielen von Trojanern, sondern weil die Nachrichtendienste von privaten Dienstleistern, App-Betreibern oder, wie gesagt, Data Brokern, solche Datensätze käuflich erwerben oder als Schenkung entgegennehmen.

Das würde ich ganz gerne ein bisschen mehr ausführen und dann eine Frage daran anknüpfen. In den USA, aber auch in den Niederlanden, also in einem Land mit dem Geltungsbereich der Datenschutzgrundverordnung, wird das käufliche Erwerben und die automatisierte Verarbeitung dieser Datensätze gerade vom Parlament und der Zivilgesellschaft heiß diskutiert. Hierbei wurden Praktiken bekannt, bei denen Sicherheitsbehörden Software einsetzen, die durch den privaten Kauf Datensätze, zum Beispiel GPS-Kundendaten, zur automatisierten Anreicherung von Social Monitoring oder Social Media Monitoring, Open Source Daten benutzt werden. Also es ist nicht nur das Nachverfolgen, jetzt mal plastisch gesprochen, wer welchen Tweet abgesetzt hat, sondern auch Detailwissen darüber, von wo aus wurde der Tweet gesendet? In wessen Gegenwart wurde der Tweet gesendet? Wo ist derjenige, der den Tweet abgesetzt hat, danach hingegangen und wo kam er her? Und da will zum Beispiel der Senator Wyden in den USA das käufliche Erwerben von Datasets bei Data Brokern durch Nachrichtendienste jetzt stark einschränken und die Kontrolle auf diese Praktiken ausweiten. Aber auch eben, wie gesagt, das niederländische Kontrollgremium CTIVD hat dazu eine Untersuchung durchgeführt, Kontrollücken identifiziert und Reformen der Gesetze angemahnt.

Die Frage jetzt: Ist so was auch Praxis in Deutschland? Und wenn ja, ist es im Fokus der Debatte um die Evaluation und Anpassung des Nachrichtendienstrechtes in Deutschland?

Konstantin von Notz: Also, die Debatte erinnert mich ja stark an die Frage der Anschaffung von Steuer-CDs und ähnlichen Daten. Im Grunde eine ähnliche Fragestellung. Wie ist das mit zweifelhaft bzw. rechtswidrig erhobenen Daten, die dann eingesetzt werden, um das Staatsinteresse, der Durchsetzung von Steuerschulden –teilweise sehr relevanten –, durchzusetzen? Und auch wenn es damals nicht zu der Umsetzung des Vorschlages gekommen ist. Ich fand damals, dass man da eine sehr harte Verhältnismäßigkeitsprüfung hätte durchführen müssen, zu sagen, wie tief ist der Eingriff und wie groß ist der Nutzen? Um dann eben irgendwie in diesen Fragen einen rechtlichen Maßstab zu bekommen.

Und das würde ich hier ganz ähnlich formulieren wollen. Es ist die Frage, wie tief der Eingriff in die Privat- und Intimsphäre ist und je nachdem und der Frage, zu welchem Zweck dann diese Daten ausgewertet werden sollen, muss sich im Zweifel bei Unverhältnismäßigkeit eben auch eine Nichtverwertung ergeben. Das wäre meine grundsätzliche Antwort dazu. Ob das im Augenblick eine Praxis ist, die hier stattfindet oder nicht, oder ob deutsche Behörden vor ähnlichen Fragestellungen stehen, will und darf ich nicht sagen. Aber ich glaube, dass diese Problematik der Steuer-CDs eigentlich eine sehr gute Vorlage ist, um sich diesem Problem rechtlich anzunähern.

Thorsten Wetzling: Wenn man sich dem annähern würde, bedürfte es dann auch eigenständiger Rechtsnormen im Nachrichtendienstrecht? Also ich lese ja viel vom Erheben von Daten und dem Verarbeiten von Daten. Aber ist diese weitere Zugangsform an Daten durch das käufliche Erwerben eine, die eine eigenständige Normierung im Nachrichtendienstrecht bedarf?

Konstantin von Notz: Ja ich glaube, das wäre wahrscheinlich zwingend. Denn es ist ja eine eigene Form … das ist "bought Intelligence" oder so. Und das ist nochmal was anderes als jetzt Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten – vor allen Dingen, wenn es um Rohdaten geht. Also nicht einfach um die Schlussfolgerungen daraus, die eben zwischen Nachrichtendiensten grundsätzlich ausgetauscht werden, sondern wenn es wirklich um Rohdaten im relevanten Umfang geht. Dann müsste man auch dafür einen Weg finden, da gesetzlich eine rechtsstaatliche Praxis zu implementieren. Denn man kann sich viele Konstellationen vorstellen, bei denen eine Verwertung solcher Daten hoch problematisch ist. Und da kommt es wirklich sehr darauf an, sozusagen, wie stark Kosten und Nutzen auseinanderfallen, grundrechtlich gesehen.

Thorsten Wetzling: Dankeschön. Jetzt kamen einige Gerichtsurteile zusammen: Also wir erinnern uns an das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes zum BND-Gesetz in 2020. Da gab es ähnlich gelagerte Urteile des Europäischen Menschengerichts zum britischen und zum schwedischen Nachrichtendienstrecht. Es gab bedeutsame Urteile des Europäischen Gerichtshofes in der Zwischenzeit. Und letzte Woche das Bundesverfassungsgericht, was viele ähnlich als Grundsatzurteil zum Inlandsnachrichtendienstrecht ansehen. Ist da jetzt eigentlich mit dem Stand dieser vielen Urteile eine ausreichende Richtschnur für die Ampel, für die geplante Revision darin schon enthalten? Oder versprechen Sie sich noch Klärung von weiter anhängigen Verfahren, zum Beispiel Verfassungsbeschwerden zum Artikel 10-Gesetz oder dergleichen mehr? Also, ist diese Masse an höchstrichterlicher Klärung jetzt ausreichend, um die Revision und Evaluation des Sicherheitsrechtes bei den Nachrichtendiensten voranzutreiben oder bräuchte es dazu noch mehr?

Konstantin von Notz: Also erstmal ist das eine gute Grundlage und gerade die Entscheidung aus der letzten Woche zum Bayrischen Verfassungsschutzgesetz hat meiner Ansicht nach sehr starke Auswirkungen auch auf die Bundesebene. Und man muss sagen, das ist so ein klassischer Fall, bei dem einige aus parteipolitischen Gründen gedacht haben, da kacheln wir jetzt mal voll drauf. Und es ist völlig egal, was Expertinnen und Experten sagen, übermorgen ist Wahl und jetzt müssen wir hier nochmal als Hardliner auftreten und im Nachhinein gibt es halt massive Kollateralschäden und genau das Gegenteil von dem, was man wollte. Also es ist schon bemerkenswert, wie das da die CSU gehandhabt hat.

Es gibt noch ein sehr interessantes Verfahren, das der Kollege Kuhle betreibt im Hinblick auf die Auskunftspflichten der Dienste gegenüber einfachen Abgeordneten, aus denen ich auch eine gestärkte Auskunftspflicht der Dienste gegenüber dem parlamentarischen Kontrollgremium ableiten würde. Insofern, wenn es da zu einer Entscheidung kommt, kann man sehr gespannt sein.

Ich will aber zu dem grundsätzlichen Mechanismus etwas sagen, das vielleicht so eine Art Leitlinie ist. Also ich bin tatsächlich der Auffassung, dass es in der digitalen Welt, in der wir leben, viele Ansätze gibt, Informationen zu gewinnen, die es in der Form in der Vergangenheit nicht gab. Und das ist in so schwierigen Zeiten wie augenblicklich vielleicht auch gar nicht schlecht oder vielleicht will man es auch neutral beurteilen. Weiß ich nicht. Aber es gibt auf jeden Fall, diese Erzählung des Going Dark und die Praxis, umfangreichste Daten auszuwerten, von OSINT angefangen bis zu Signals Intelligence und so weiter … also diese Erzählung des Going Dark, ich kann sie bis heute nicht ganz nachvollziehen. Und ich würde sagen, gerade in den schwierigen Diskussionen, die wir jetzt haben, mit einem Krieg mitten in Europa und vielleicht auch im Hinblick, wenn die Energieabhängigkeit von Russland, von einem autokratischen diktatorisch geführten Land, ein Problem ist und wir das heute, was wir energiepolitisch gemacht haben, als falsch empfinden, wie sieht es dann eigentlich technisch bei einem Land wie China aus? Dürfen wir uns in deren Abhängigkeit begeben, wenn wir die 5G-Netze ausbauen und so weiter? Und das ist im Hinblick auf den Schutz und die Abwehr von Angriffen auf die kritische Infrastruktur eine ganz relevante Frage.

Und wenn es scharfe Eingriffsbefugnisse gibt, und die gibt es, und die kann man vielleicht in so einer zugespitzten Situation wie im Augenblick auch ein bisschen besser begründen als sonst, dann muss man auf jeden Fall die parlamentarische Kontrolle stärken. Damit man eben im rechtsstaatlichen Rahmen bleibt. Also man kann sich, ich will nicht sagen freikaufen, aber man kann sich ein bisschen Spielraum verschaffen, indem man das eben ernst nimmt. Und wenn man die parlamentarische Kontrolle umgehen will, wenn man dem Kontrollgremium relevante Sachen nicht erzählt, wenn man Untersuchungsausschüssen relevante Akten vorenthält, Dinge schwärzt, Zeugen nicht benennt, dann engt man die eigenen Spielräume massiv ein, denn es darf keine wesentlichen unkontrollierten Bereiche geben. Das ist ja genau der fulminante Unterschied zu den Nichtrechtstaaten auf diesem Planeten und die Freiheit, die wir verteidigen, das ist genau diese. Und insofern haben wir, also neben den Gerichtsurteilen, auch ein, glaube ich, Selbstverständnis in Deutschland und in Europa, mit dem man diesen nachrichtendienstlichen Bereich sehr wehrhaft aufstellen kann und gleichzeitig aber rechtstaatlich.

Thorsten Wetzling: Sie haben von der Stärkung der parlamentarischen Kontrolle gesprochen. Hat man in Deutschland noch was vor mit Blick auf die Ausdehnung der Rechtskontrolle auch auf Bereiche des Artikel 10-Gesetzes?

Hier muss ich vielleicht kurz einführen: Also, dass man gesagt hat, dass man jetzt im Rahmen der BND-Reform sehr viel getan hat, um den Unabhängigen Kontrollrat zu schaffen, der dann die Rechtskontrolle für die strategische Fernmeldeaufklärung des BND gewährleisten soll und das auch schon tut. Seit dem 1. Januar ist er aktiv. Und man hat die G10 Kommission, die ähnliche Maßnahmen zu prüfen hat und die dann teilweise noch mit Ehrenamtlern bestückt ist. Da stellen sich doch einige die Frage, ob da nicht vielleicht bei der nächsten Evaluation und Reform das Mandat des Unabhängigen Kontrollrates (UKR) auf die Überwachungsmaßnahmen aus dem Artikel 10-Gesetzes ausgeweitet werden soll. Ist das eine Frage, die euch beschäftigt bei den Fraktionen?

Konstantin von Notz: Das ist auf jeden Fall eine Frage, auf der alle schon mal rumgedacht haben und wenn man sich anguckt, mit welcher Wucht jetzt eigentlich auch dieser unabhängige Kontrollrat als oberste Bundesbehörde da Raum greift, dann muss man gucken, dass es keine Disproportionalitäten gibt, irgendwie. Trotzdem würde ich sagen, bei allem, was wir im Augenblick an Reformen auf dem Zettel haben, muss man eins nach dem anderen machen und ich will jetzt nicht gleich das nächste absolute Dickschiff da draufladen und würde von gesetzgeberischer Seite auch sagen oder auch von Kontrollseite im PKGr sagen, dass man sich jetzt auch erstmal in Ruhe angucken sollte, wie das mit dem UKR funktioniert. Wie das läuft, wie man vorankommt, wie die Berichte sind und so weiter? Und dann kriegt man eine Einschätzung, ob man das und wie man das weiterentwickeln kann.

Also ich würde fast sagen, das ist eine Option, die viele ja auch völlig offen artikuliert haben in den letzten Monaten, dass das grundsätzlich vorstellbar ist. Aber es steht jetzt nicht ganz oben auf der Prioliste, sondern man muss jetzt erstmal gucken, dass alle in geordnetes Arbeiten kommen und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen und je nachdem, wie das dann funktioniert, kann und muss der Gesetzgeber dann nachsteuern.

Thorsten Wetzling: Ich hatte eingangs versprochen, dass wir uns eine halbe Stunde austauschen und wir dann den Raum auch öffnen für Fragen aus dem Publikum. Dem möchte ich jetzt gerne nachkommen.

Die Frage eines/einer anonymen Zuschauer:in: "Was halten Sie von einem/einer Beauftragten für die Nachrichtendienst analog zum/zur Wehrbeauftragten? Dieser oder diese könnte im direkten Dialog mit den Mitarbeiter:innen Missstände bzw. Reformbedarf identifizieren."

Konstantin von Notz: Eigentlich ist das eine Aufgabe, die dem Gremium zufällt. Es gibt auch im PKGr-Gesetz die Möglichkeit zur geschützten Kontaktaufnahme gegenüber einzelnen Mitgliedern oder dem Gremium als solches, um auf Missstände und Probleme hinzuweisen. Ich glaube, in der abstrakten Art darf ich das sagen. Das passiert auch immer wieder. Und deswegen glaube ich jetzt, da einen eigenen Beauftragten zu implementieren … weiß ich gar nicht genau. Es gibt eben das Kontrollgremium, das aus Mitgliedern sich zusammensetzt und das Gremium selbst ist nur ein Drittel so groß wie normale Ausschüsse, um den Kreis eng zu halten. Trotzdem sind alle demokratischen Fraktionen vertreten und es gibt die Möglichkeit, im Sinne von, ich nenne es jetzt mal Whistleblowing, einfach zu melden und die eigene Perspektive zu spiegeln, wie man auch auf bestimmte vielleicht problematische Vorgänge draufguckt, ohne dass es sofort personalrechtliche, beamtenrechtliche Konsequenzen haben muss. Also deswegen: es gibt diese Möglichkeit und ich halte es auch für wichtig. Ob sie immer von jedem immer Gebrauch gemacht wird, das weiß ich halt nicht so genau. Aber, wer einmal durch das Gesetz blättert, der wird das sehen und ich hoffe sehr, dass in allen drei Behörden regelmäßig gesagt wird, wenn es ein Problem gibt, müssen Sie sich nicht vertrauensvoll an uns wenden, wenden Sie sich bitte an das PKGr. Kleiner Scherz. Ich befürchte, das findet nicht statt, aber alle die sich sozusagen umgucken und überlegen, an wen kann ich mich wenden, die wissen eigentlich, dass das Gremium da ein Ansprechpartner sein kann und es hat in der Vergangenheit immer wieder Fälle gegeben, wo dann sehr sehr ernsthaft auch Sachverhalte besprochen und rückgekoppelt wurden.

Thorsten Wetzling: Vielen Dank. Sophia Hoffmann von ZMO fragt: Zwei Fragen zum Verlauf des Ukraine- und Russlandkrieges. US-UK Intelligence hat sehr genau vor dem Einmarsch gewarnt. Frankreich und Deutschland haben dies offenbar anders gesehen. Hat der BND die Ansicht der US-UK-Partnerdienste geteilt und wurde von der Bundesregierung ignoriert? Oder hatte der BND eine andere Einschätzung und andere Informationen? Frage: Hakt das parlamentarische Kontrollgremium da nach?

Konstantin von Notz: Also, abstrakt gesprochen: Wir haken immer nach – vor allen Dingen bei offenkundigen Sachen, die irgendwie fraglich sind. Ich will es jetzt an der Stelle sagen und die meisten werden es wissen, dass ich nicht über konkrete Vorgänge im Gremium strafbewehrt reden darf. Deswegen kann ich jetzt nicht explizit Fragen beantworten, was wir jetzt wie wo adressiert haben.

Aber ich sage es mal folgendermaßen, denn das kann ich, glaube ich: Erstmal muss man überall auch auf die Zwischentöne hören, überall. Bei den amerikanischen, britischen und Five Eyes-Diensten und bei den europäischen genauso und meistens geht es ja nicht um die Verkündung von Fakten, sondern um das sich Annähern an Plausibilitäten und die Frage, ob man aus den Informationen, die ein bestimmter Dienst hat, die sich aus ganz vielen Sachen zusammensetzen, plausible Folgenabschätzungen oder Szenarien ableiten kann. Und das sage ich jetzt auch ganz abstrakt, da habe ich den Eindruck, sind die deutschen Dienste im Augenblick gut aufgestellt.

Auch bei den klassischen Dingen – Afghanistan wird da jetzt immer angeführt – mahne ich zur Differenziertheit. Dass Afghanistan schwer zu halten sein wird, das wussten alle. Das haben auch alle gesagt. Die Frage, wie schnell das zu Ende gehen kann, wurde sehr sehr unterschiedlich eingeschätzt. Meiner Ansicht nach von allen, die beteiligt waren. Inklusive der Menschen, die in Afghanistan selbst gelebt haben. Damit will ich jetzt niemanden final in Schutz nehmen, will aber darum werben, das differenziert und genau anzugucken.

Und ich meine, was ich wahrnehme, ist, dass von einigen der amerikanischen Dienste in dem Ukrainekrieg und der davor lange vor sich hin lodernden Krise eine sehr offensive Öffentlichkeitsarbeit gemacht wurde. Das ist ein neuer Style. Mir hat es sehr eingeleuchtet, warum man das gemacht hat. Wobei, also ich habe das jetzt auch nur gelesen und eben wahrgenommen, wie glaube ich viele. Und natürlich muss man auch einen Weg finden, mit einem Gegner umzugehen, der eben sehr massiv und sehr lautstark und sehr abgeklärt seine eigenen demagogischen Narrative verbreitet und wie kontert man das aus? Und offensichtlich gibt es in Amerika Leute, die sagen: mit Fakten und Daten und Wissen. Und wenn die diese Strategie anwenden, würde ich nicht als Rückschluss automatisch sagen wollen, die, die jetzt nichts sagen, die wissen nichts oder so. Sondern das ist viel vielschichtiger. Ja.

Thorsten Wetzling: Ich weiß nicht, ob Sie das sehen, aber wir haben noch 20 Minuten und 27 Fragen. Ich weiß nicht, ob wir die alle beantworten können. Deshalb mit Blick auf die Fragen vielleicht auch bitte eine kürzere Antwort. Aber wir wissen das, glaube ich, alle sehr zu schätzen, dass auch teilweise nur abstrakt über diese Themen berichtet werden kann. Vielen Dank da schon mal.

Wie schätzen Sie die Erkenntnislage beim Bundesnachrichtendienst vor dem Einmarsch in die Ukraine ein? Gab es da verlässliche Erkenntnisse, wenn nicht, woran lag das und was bedeutet das für die Zukunft der Dienste?

Konstantin von Notz: Mein Eindruck ist, dass die Dienste in diesem Fall, vor allen Dingen der Bundesnachrichtendienst, einen guten Blick auf die Szenarien haben. Ich kann das nicht im Detail jetzt sagen und nicht belegen und das ist auch überhaupt nicht meine Aufgabe, aber ich werde hier gefragt, wie schätze ich das grundsätzlich ein? Wenn der BND den Etat der US-Auslandsnachrichtendienste hätte, könnte er wahrscheinlich sehr viel mehr bewegen und noch sehr viel mehr machen. Aber man muss es eben auch in diesem Verhältnis sehen und ein letzter Gedanke: Ich würde mir wünschen, dass wir auch in diesem Bereich, der natürlich besonders sensibel ist, weil er sehr feine Sicherheitssachen berührt, dass wir auch in diesem Bereich eine stärkere europäische Kooperation hinbekommen, damit man da eben auch effektiver wird und vielleicht auch ein bisschen schlagkräftiger.

Thorsten Wetzling: Die nächste Frage hatten Sie schon so ein bisschen beantwortet, aber können Sie jetzt weiter substantiieren: Wie schätzen Sie den Stand des Aufbaus des unabhängigen Kontrollrates ein? Woher kommt, abgesehen von den sechs vom PKGr gewählten Richtern, das Personal? Entsteht da eine schlagkräftige Truppe?

Konstantin von Notz: Davon bin ich überzeugt, dass das der Fall ist. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben. Aber wie in allen Sicherheitsbehörden gibt es im Augenblick einen großen Bedarf an Menschen, die sich in diesen Bereichen gut auskennen. Gerade wenn es um Digitales und diese nachrichtendienstlichen Fragen geht und da geht es allen so. Man muss gucken, wo man gute Leute herkriegt. Aber ich glaube, dass von der Struktur her der UKR gut ist und schlagkräftig werden kann und dann muss man aus allen möglichen Bereichen die Leute rekrutieren. Ich bin ja so ein frommer Mensch, ich denke immer „ein Leib viele Glieder“ mit unterschiedlichsten Erkenntnisse und Techniken und Methoden. Die zusammenzubringen, macht dann ein diverses und schlagkräftiges Team aus.

Thorsten Wetzling: Ich hatte übrigens selber auch noch 24 Fragen. Die habe ich alle in den Backlog geschoben, damit wir diese Fragen jetzt hier beantworten können. Deshalb verkneife ich mir jetzt die nächsten Kommentare dazu.

Viktor Brand fragt: „2007 wurde die militärische Lagebearbeitung der Bundeswehr dem BND zugeschlagen. Seitdem knirscht es zwischen den beiden Organisationen und Stimmen werden laut, der Bundeswehr diesbezüglich wieder diese Fähigkeiten zu übertragen. Wie sehen Sie das?“

Konstantin von Notz: Ja, da wäre ich eher zurückhaltend. Wenn die Analyse stimmt, dass es da knirscht, dann sollte man sich genau angucken, woran es denn liegt. Ich glaube tatsächlich, dass wir durch die sehr unübersichtliche Ordnung der Vergangenheit Lücken hatten und die sollte man in der Zukunft vermeiden.  

Thorsten Wetzling: Danke. Daniel fragt: „Ist es so, dass es kein Einzelfragerecht der Mitglieder des parlamentarischen Kontrollgremiums gibt, sondern nur einstimmige Anfragen möglich sind?“

Konstantin von Notz: Nein, das ist nicht so.

Thorsten Wetzling: Jean Marie Benot: „Durch den Vertrag von Aachen über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration haben sich beide Länder in 2019 dazu verpflichtet, die Zusammenarbeit zwischen ihren Streitkräften weiter zu verstärken. Wie gelingt uns das im Bereich der Nachrichtendienste?“

Konstantin von Notz: Ich glaube, dass es ganz wichtig ist. Erstmal: Deutschland / Frankreich haben sehr viel gemeinsam und teilen, glaube ich, tatsächlich sehr viele Werte und demokratische Überzeugungen. Trotzdem muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass die staatliche Selbstorganisation auch in manchen Bereichen sehr unterschiedlich ist. Trotzdem ist es wichtig, dass man sich da austauscht und auch vielleicht ein bisschen voneinander lernt oder zumindest gegenseitiges Verständnis dafür aufbringt, wie das in dem jeweils anderen Land gehandhabt wird und ich glaube, dass es zwingend ist, dass, wenn man militärisch enger zusammenarbeiten will, dass man auch in den Fragen der parlamentarischen Kontrolle, parlamentarischen Rückkopplung, zusammenwächst. Und dafür braucht es Austausch und vor allen Dingen vertrauensvolle Strukturen. Die gibt es schon in weiten Teilen und es gibt auch Personen, die daran schon lange arbeiten. Aber man ist auf dem Weg, man ist da noch nicht fertig.

Thorsten Wetzling: Dazu vielleicht auch passend die Frage von Stefan Germann: „Wo sind Grenzen einer nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit?“ Wir hatten ja gerade von der Notwendigkeit gesprochen, sich auf europäischer Ebene da auch noch mehr zu vernetzen, wo sind die Grenzen?

Konstantin von Notz: Na ja, es ist eben ein besonders sensibler Bereich und das ist uns jetzt ja gar nicht so fremd, jetzt auch in deutschen, innerdeutschen Sicherheitslogiken. Die Länder achten tunlichst peinlich genau darauf, dass der Bund ihnen in Sicherheitsfragen kein Jota wegzockt und dieser Sicherheitsbereich ist eben eine Souveränitätsfrage und häufig eine nationale. Trotzdem ist es so: In einem vereinten Europa mit Freizügigkeit und all den Herausforderungen, die wir heute haben, wäre es dumm, sozusagen diesen Bereich nun kleinteilig zu belassen und sich auch gegenseitig über relevante Informationen und Vorgänge und Erkenntnisse gegenseitig dumm zu halten. Und deswegen glaube ich, klar gibt es Kernbereiche der staatlichen Souveränität, bei denen auch nationale Interessen berührt sind, die man nicht einfach aus der Welt feilen kann. Aber ich glaube, dass eine größere, eine relevant größere Kooperation notwendig und auch möglich ist.

Thorsten Wetzling: Ich glaube, weil das ein bisschen passt, nehme ich jetzt einmal kurz die Frage von Bettina Hesse auf, ARD Generalsekretariat: „Herr von Notz, Sie sprachen gerade die Kontrolle an. Wäre jetzt nicht die Gelegenheit, dass PKGr mit stärkeren und weitergehenden Kontrollbefugnissen auszustatten?“

Konstantin von Notz: Also ich glaube schon und das ist auch nach dem bayrischen, also dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum bayrischen Verfassungsschutzgesetz meiner Ansicht nach eine Konsequenz, dass das passieren muss. Und das muss man zusammen sehen mit dieser Frage der Überwachungsgesamtrechnung und der Stärkung der parlamentarischen Kontrolle aus dem Koalitionsvertrag. Und ich will es nochmal sagen, weil mir das selbst ein ganz wichtiger Punkt ist: Ich bin der Überzeugung, dass rechtsstaatliche Kontrolle nicht sozusagen Nachrichtendienste hemmt oder denen das Leben unmöglich macht oder so. Sondern dass das im Gegenteil eine Stärkung sein kann und dass das, was wir in der Vergangenheit ab und zu erlebt haben, dass Dinge so im Verbogenen vor sich hin wabern und eigentlich alle nicht so genau wissen, was da passiert und politisch Verantwortliche nicht hingucken wollen, weil sie fürchten, irgendwelche Dinge zu erfahren, die sie dann politisch gefährden können, dass das eigentlich nicht gut ist. Auch nicht für die Schlagkräftigkeit und die Effektivität von Nachrichtendiensten. Und deswegen wäre ich da ganz selbstbewusst, dass das jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist, um auch die parlamentarische Kontrolle zu stärken, weil es eben am Ende auch nicht nur der Rechtsstaatlichkeit und der Akzeptanz von Nachrichtendiensten dient, sondern eben auch ihrer Effektivität.

Thorsten Wetzling: Wolfgang Büscher: „US und britische Nachrichtendienste gehen gerade offensiv an die Öffentlichkeit mit fast täglich neuen Kriegsprognosen. Ist der BND zu zaghaft damit? Zumal in Deutschland so etwas wie eine Sicherheitscommunity fehlt.“

Konstantin von Notz: Also den letzten Punkt erstmal würde ich teilen, dass es kulturell ein bisschen anders ist bei uns. Wobei das, was da im Augenblick passiert, auch eine Neuerung ist in der Art und Weise, wie britische und amerikanische Dienste mit Informationen umgehen. Ich glaube tatsächlich, dass im Sinne der Verhältnismäßigkeit die Bundesregierung schon auch überlegen kann, was für Erkenntnisse sie auch öffentlich macht. Und ja, man sagt ja immer, Geheimdienste sind geheim, weil sie geheim sind.  Aber Transparenz, auch im Hinblick auf bestimmte Erkenntnisse – das kann man jetzt gut zu Bucha und anderen Fragen zu völkerrechtswidrigen Dingen sagen – da gibt es eine Legitimität, bestimmte Informationen auch öffentlich zu machen. Das ist aber eine Frage der Exekutive und ich als parlamentarische Kontrolle sehe das nicht als meine Aufgabe an, darüber zu entscheiden. Das müssen die Verantwortlichen für sich entscheiden. Aber ich glaube, man sieht an den amerikanischen Beispielen, dass das in bestimmten Situationen Sinn macht.  

Thorsten Wetzling: Die Rollenverteilung Exekutive, Parlament und Sicherheitsbehörden betrifft auch die nächste Frage von Johannes Ahlefeld. „Können Sie skizzieren, nach welchen Kriterien eine Evaluation der Arbeit der Nachrichtendienste erfolgen und wer diese ausführen soll? Das Bundeskanzleramt, das PKGr und wer sonst?“

Konstantin von Notz: Ja, ich glaube, dass die Evaluation von einer unabhängigen Stelle gemacht werden muss. Also jetzt in der alltäglichen Arbeit macht das natürlich das Gremium und ansonsten, glaube ich, ist davon auch die Fach- und Rechtsaufsicht der jeweiligen Häuser nicht befreit, dass sie sich angucken, was funktioniert und was nicht funktioniert. Wo muss man nachsteuern? Wo sind die Dinge gut aufgestellt und wo muss man nachsteuern?

Aber jetzt in der Frage der Überwachungsgesamtrechnung, da haben wir ja in der Vergangenheit kritisiert, dass das BMI selbst geschrieben hat: „Nein, das passt schon alles, da brauchen wir nichts anders zu machen“. Das ist nie zielführend. Man muss schon eine unabhängige wissenschaftliche Stelle das machen lassen und da würde ich mich jetzt nicht festlegen wollen, wer das ist. Aber ich denke, es könnte auch ein Team von Leuten oder Institutionen sein, die bestimmte Sachen zusammenführt, denn es ist etwas umfangreicher als man das auf den ersten Blick denkt.

Thorsten Wetzling: Eine ganz andere Frage. Vielen Dank erstmal für die Ausführung und wir sind jetzt auch schon relativ am Ende, aber ich möchte noch ein paar Fragen dennoch reinnehmen. Ein:e anonyme:r Zuschauer:in fragt: „Wichtig wäre auch eine bessere Kontrolle des Haushaltes der Nachrichtendienste. In den letzten 10 Jahren hat sich der Haushalt von BND und BFV fast verdoppelt. Auch das Personal ist stark angestiegen. Wer misst die Wirtschaftlichkeit? Wie kann man diese Prüfung verbessern? Es braucht hierzu einer Diskussion, damit verhindert wird, dass Steuergelder nicht verschwendet werden, sondern effektiv eingesetzt werden.“

Konstantin von Notz: Also letzteres ist immer richtig. Es gibt hier ein eigenes Gremium im deutschen Bundestag, das sich diese Haushalte anguckt. Der Bundesrechnungshof ist eingebunden und insofern würde ich sagen, da wird schon genau drauf geguckt. Für die Zunahme an Personalkosten in den letzten Jahren gab es sehr gute Argumente, die ich zum Großteil auch geteilt habe. Und ich glaube, jetzt ist man eher in so einer Konsolidierungsphase und muss auch gucken, dass man die neuen Strukturen funktionierend aufgestellt bekommt. Aber völlig klar, auch da muss es eine scharfe parlamentarische Kontrolle geben wie in allen Bereichen, damit kein Quatsch mit der Kohle gemacht wird. Und da ist der Bereich nicht ausgeschlossen von.

Thorsten Wetzling: Danke. Ein:e weiterer:e anonyme:r Zuschauer:in fragt: „Unterliegen Intelligence Werkzeuge der deutschen Behörden der Exportkontrolle, wenn diese mit ausländischen Partnern kooperieren wollen?“ 

Konstantin von Notz: Das ist eine Diskussion, die wir schon lange führen und es ist kein Geheimnis, dass wir das explizit seit vielen Jahren fordern. Wir haben das immer unter dem Stichwort FinFisher diskutiert. Jetzt ist da eine besondere Dramatik dazu gekommen durch NSO und anderes und bei FinFisher haben sich die Dinge nicht so gut entwickelt. Deshalb sehen wir uns auch bisschen bestätigt. Ich sage es mal etwas abstrakter: Ich glaube, dass tatsächlich diese Instrumente waffenähnlich sind und in ihrer Dimension eine ganz ähnliche Wirkung auch haben können und dass sie deswegen schon einer gesonderten Exportkontrolle unterliegen müssen.

Thorsten Wetzling: Danke. Marius Ruchwedel: „Gibt es wieder mehr Bemühungen, Edward Snowden ein politisches Asyl zu gewähren?“

Konstantin von Notz: Tja, also im Augenblick reden ja die Leute aus verständlichen Gründen eher über Assange, wobei ich auch da sagen muss, ich habe immer sehr unterschiedlich auf die beiden Fälle draufgeguckt. Ich halte es für einen schweren, schweren politischen Fehler, dass man Snowden nicht die Möglichkeit gegeben hat, sich einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren zu stellen. Und insofern muss man auch da nochmal genau drauf gucken. Dass sich die Fragen jetzt natürlich auch im Hinblick auf WikiLeaks und die Frage des Einflusses von anderen Nachrichtendiensten auf die Aktivitäten, jetzt vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Ukraine, nochmal verschärft darstellen, das wissen, glaube ich, auch alle Beteiligten und da werbe ich sehr für einen differenzierten Blick.

Thorsten Wetzling: Letzte Frage: „Wie sieht die Unsitte aus, dass ehemalige Bundeskanzler Akten zu den Stiftungen überführen, anstatt diese dem Bundesarchiv zu überführen? Wird das auch geändert?“

Konstantin von Notz: Also sehe ich auch sehr kritisch und habe ich in der Vergangenheit auch nicht verstanden. Genauso wenig wie ich verstehe, dass zwei Wochen vor der Hausübergabe die Schredder angeworfen werden oder Handys mit SMS verschwinden. Also deswegen, sehe ich im Hinblick auf die Archivierungsvorschriften Reformbedarf. Das verbindet sich eigentlich ganz schön mit dieser Frage des Verfallsdatums für die Fristen der Einstufung.

Diese ganze Frage: Wie gehen wir mit solchen Informationen um? Wer darf das gegebenenfalls aufarbeiten? Wer setzt sich nochmal mit bestimmten Sachverhalten auseinander? Also wenn ich jetzt mal kurz vor mich hinspinnen darf, auf einem Montagnachmittag: Es wäre super interessant, wenn man jetzt mit Zugang zu allen Akten nochmal so ein Wissenschaftsteam beauftragen könnte, sich mit der Geschichte der Roten Armee Fraktion auseinanderzusetzen und da einfach mal alle Akten aus dem nachrichtendienstlichen Bereich zuzuziehen oder wie war das mit der Flucht der Nazis nach Südamerika? Also da kann ich mir viel vorstellen und da gibt es einen Reformbedarf und ich hoffe, dass die Fortschrittskoalition auch da Fortschritt bewirken wird.

Thorsten Wetzling: Wir haben auch Fortschritt gemacht. Wir haben uns runtergearbeitet bis zu 13 offenen Fragen. Mehr werden wir heute leider nicht beantworten können. Wir sind aber sehr, sehr dankbar für den offenen und konstruktiven und informativen Austausch, den wir haben durften mit Ihnen, Dr. Konstantin von Notz. Und wir haben auch gemerkt, dass die demokratische Führung von Nachrichtendiensten in einer wehrhaften Demokratie sehr komplex ist. Das ist es aber natürlich auch gerade was uns unterscheidet von autoritären Regimen und deshalb ist die Arbeit sehr wohl "Work in Progress", wie man so schön sagt. Dabei wünschen wir Ihnen auch sehr viel Glück und bedanken uns bei Ihnen allen, die die Fragen so rege gestellt haben und ich würde dieses Gespräch jetzt beenden. Herzlichen Dank.

Konstantin von Notz: Danke, Herr Wetzling. Danke für das Interesse und die vielen Fragen.

Thorsten Wetzling: Dankeschön.

– Ende des Transkriptes –

Erschienen bei: 
Stiftung Neue Verantwortung
05. Mai 2022
Ansprechpartner:in: