Politische Onlinewerbung definieren

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Regeln für fairen digitalen Wahlkampf und digitale politische Kampagnen zu finden ist eine der Schlüsselaufgaben für politische Entscheidungsträger:innen in Europa, die an Regelungen für digitale Plattformen arbeiten. In traditionellen Medien wird bezahlte politische Kommunikation meist im Bewusstsein der potenziellen Auswirkungen, die politische Anzeigen auf Einzelpersonen und auf gesellschaftliche Debatten haben können, reguliert. Bezahlte politische Kommunikation als eine Form der politischen Rede versucht, Meinungen über politische Kandidierende und Vorschläge sowie Ideen und Themen von öffentlichem Interesse zu formen, die nicht nur individuelle Einstellungen, sondern auch gesellschaftliche und gesetzgeberische Agenden beeinflussen können. Dies unterscheidet sich grundlegend von Werbung, die versucht, Kaufgewohnheiten oder Einstellungen zu kommerziellen Marken, Produkten und Dienstleistungen zu formen.

Für politische Parteien, Bewegungen und Kandidat:innen ist es inzwischen gang und gäbe, Onlinewerbung auf sozialen Medien, Video-Apps, Ergebnisseiten von Suchmaschinen und anderen digitalen Plattformen zu nutzen. Genau wie in anderen Teilen der Welt hat Europa in den vergangenen Jahren wachsende Ausgaben für politische Onlinewerbung und eine wachsende Zahl politischer Werbetreibender erlebt. Während solche politischen Anzeigen auf großen Plattformen hilfreich sein können, um ein Nischenpublikum zu erreichen und Wahlberechtigte zu mobilisieren, wurden sie auch bei negativen Kampagnen eingesetzt; um Wähler:innen, insbesondere Minderheiten, zu demobilisieren; um öffentliche Debatten zugunsten wohlhabender Werbetreibender zu verzerren und um Desinformation zu verbreiten.

Bislang wurden die Regeln für politische Werbung, die für das Offline-Medien- und Informationsumfeld geschaffen wurden, nur wenig angepasst, um den Onlinewerberaum und seine potenziellen Gefahren im Zusammenhang mit datengesteuerten, zielgerichteten und algorithmisch ausgelieferten Anzeigen zu behandeln. Unter öffentlichem Druck und in Ermangelung einer zeitgemäßen Regulierung haben Technologieunternehmen daher ihre eigenen Definitionen und Regeln für den Umgang mit bezahlter politischer Kommunikation geschaffen. Diese Definitionen und Maßnahmen unterscheiden sich von Plattform zu Plattform erheblich. Manche Plattformen haben politische Anzeigen bis auf einige Ausnahmen verboten, während andere spezielle Beschränkungen anwenden. Wie gut und konsequent Unternehmen ihre Definitionen und Regeln durchsetzen, ist von entscheidender Bedeutung, aber es gibt nur wenig Möglichkeit für eine unabhängige Prüfung und Aufsicht hierzu. Dies untergräbt eine Kontrolle bezahlter politischer Onlinekommunikation im öffentlichen Interesse.

Die Europäische Union (EU) hat die Möglichkeit, diese Lücke zu schließen, indem sie Richtlinien für bezahlte politische Onlinekommunikation ausarbeitet. Abgesehen von Gesetzgebungsinitiativen in mehreren Mitgliedsstaaten wird erwartet, dass die Europäische Kommission dieses Thema in zwei ihrer wichtigsten Vorschläge zur Plattformregulierung, dem Digitale-Dienste-Gesetz („Digital Services Act“, DSA) und dem Europäischen Aktionsplan für Demokratie („European Democracy Action Plan“, EDAP), angehen wird. Diese Vorschläge können genutzt werden, um Transparenz- und Rechenschaftspflichten für bezahlte politische Onlinekommunikation festzulegen. Im Mittelpunkt der Entwicklung solcher Standards steht die Frage, wie bezahlte politische Kommunikation von persönlichen Meinungen und rein kommerzieller, transaktionaler Werbung für Waren und Dienstleistungen abgegrenzt werden kann. Die Grenzen hierfür waren bereits im traditionellen Offline-Werbebereich verschwommen, sind aber in den vergangenen Jahren mit dem Aufstieg gezielter Onlinewerbung noch verschwommener geworden. Beispielsweise gibt es jetzt mehr Werbetreibende, die politisch sein können, etwa parteiunabhängige politische Gruppen und Influencer:innen in sozialen Medien. Werbung ist nicht mehr nur auf Wahlen beschränkt, sondern findet während der gesamten Legislaturperiode statt und deckt viele Themen ab, die mit Kandidierenden und Wahlen nichts zu tun haben.

Angesichts der Schwierigkeiten dieser Abgrenzung, wer als „politischer“ Werbetreibender gilt oder wo die Grenze zwischen Anzeigen zu sozialen Themen und solchen, die als „politisch“ gelten, verläuft, ist es sinnvoller, für jegliche Onlinewerbung verbindliche Transparenzstandards vorzugeben. Onlinewerbung beruht auf persönlichen Verhaltensdaten, die von den Werbetreibenden für die Zielgruppenansprache und von den Plattformen für die algorithmische Anzeigenschaltung verwendet werden. Um eine Kontrolle dieser Art von Werbung im öffentlichen Interesse zu ermöglichen, ist es notwendig und gerechtfertigt, von Werbetreibenden und Werbeplattformen sinnvolle Transparenzangaben zu ihren Anzeigen zu verlangen. Dazu gehören verpflichtende Werbedatenbanken, Kennzeichnungspflichten für Anzeigen und Mechanismen zur Verifizierung der Werbetreibenden.

Weitere Maßnahmen im Sinne einer Kontrolle im öffentlichen Interesse machen weitere Klärungen der Frage erforderlich, was genau politische Werbung ist. Zu diesem Zweck sollten bestimmte Werbetreibende als politische „Kernwerbetreibende“ definiert werden, die immer als politisch gelten, zum Beispiel politische Parteien, Kandidat:innenen, Parlamentsfraktionen und Lobbyverbände. Für diese Gruppen könnten verschärfte Pflichten zu ihrer bezahlten Kommunikation gelten, beispielsweise in Form von Finanzberichterstattung oder Obergrenzen für Kampagnenausgaben. Akteure, die finanziell oder anderweitig mit diesen Kernwerbetreibenden verbunden sind, könnten als politische „Randwerbetreibende“ gelten und ebenfalls einer solchen zusätzlichen Kontrolle unterliegen. Dies könnte für Influencer:innen in sozialen Medien und parteiunabhängige Kampagnen gelten. Diese Definitionen würden ein breites Spektrum politischer Onlinewerbung abdecken. Themenbezogene Werbung („issue advertising“) könnte jedoch aus dem Anwendungsbereich dieses Ansatzes herausfallen, obwohl sie eine wichtige Facette politischer Onlinewerbung ist. Dem könnte dadurch begegnet werden, dass auf Plattformen sinnvolle Selbstkennzeichnungsoptionen vorgeschrieben werden, sodass Werbetreibende ihre bezahlten Botschaften als politisch markieren können. Dies lässt zwar weiterhin eine gewisse Unschärfe zu, ist jedoch besser, als die Entscheidung, was „politische“ Inhalte sind und somit Regeln für politische Werbung unterliegen, allein Unternehmen und Regierungen zu überlassen.