Nachrichtendienstkontrolle in Deutschland und Europa jetzt vorantreiben!

Impulse

Die Bedeutung und die Komplexität der modernen Nachrichtendienstkontrolle wurde in der vergangenen Legislaturperiode einer größeren Öffentlichkeit zugänglich. Berichte zum NSA-Untersuchungsausschuss, zum Anschlag des bekannten Gefährders Anis Amri und die Novellierungen des Nachrichtendienstrechts haben das Spannungsfeld Sicherheit und Freiheit in sehr unterschiedlichen Facetten beleuchtet.

Auch wenn die Aufmerksamkeit vier Jahre nach den Snowden Enthüllungen abgenommen hat, wird das Thema demokratische Nachrichtendienstkontrolle auch in der nächsten Legislaturperiode von großer Bedeutung sein. Nachrichtendienste und deren Kontrolleure haben entscheidende Beiträge zur Sicherheit und zur Freiheit Deutschlands und Europas zu leisten. Neben der Pflicht zur Sicherheitsvorsorge, ist die Bundesregierung allerdings  auch für die effiziente, rechtskonforme Nutzung einer sich laufend weiterentwickelnden Überwachungstechnik sowie für deren wirksame, demokratische Kontrolle den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber verantwortlich. Klar ist, dass eine Vielzahl transnationaler und hybrider Bedrohungslagen eine deutlich verbesserte Kooperation nationaler und europäischer Sicherheitsbehörden erfordern. Auf dem Weg zur europäischen Sicherheitsunion dürfen keine Kontrollvakuen entstehen. Zudem ist diesem Prozess eine leistungsstarke europäische Zusammenarbeit nationaler Kontrollbehörden entgegenzustellen.

Um das Regierungshandeln zu legitimieren, Missbrauch vorzubeugen und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Demokratie zu stärken, ist in den nächsten vier Jahren die Professionalisierung der Nachrichtendienstkontrolle voranzutreiben. Hierfür müssen die folgenden Baustellen angegangen werden:

 

#1 Stärkung der  G 10-Kommission und eine Reform des Artikel 10-Gesetzes

Die umstrittene BND-Reform in der vergangenen Legislaturperiode hat zahlreiche Defizite der juristischen Kontrolle nicht behoben. Nachrichtendienstliche Eingriffe in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis werden vom Bundesverfassungsgericht als besonders schwerwiegend gewertet und können nur auf Grundlage eines Gesetzes angeordnet werden. Es muss Grundrechtseingriffe sinnvoll beschränken und eine juristische Prüfung der Anordnungen und eine nachsorgenden Kontrolle der Datenverarbeitung vorsehen. Das Artikel 10-Gesetz und die G 10-Kommission des Bundestages bilden hierfür den zentralen Rechtsrahmen und die entscheidende Kontrollinstitution. Beide wurden von der BND-Reform ausgespart und bedürfen dringend der Reform. Die nicht mehr zeitgemäßen und missbrauchsanfälligen Vorgaben für die Anordnungen der strategischen Fernmeldeüberwachung und deren Beschränkung auf ein Fünftel der Übertragungskapazität sollten durch Vorschriften ersetzt werden, die auch im Zeitalter der paketvermittelten Datenübermittlung Sinn ergeben. Ebenso dringend benötigt werden institutionelle Veränderungen in Bezug auf die Dynamik und den Umfang der juristischen Kontrolle durch die G 10-Kommission. Die vier Ehrenämter und das einmalige Treffen im Monat zur Genehmigung einer wachsenden Zahl von nachrichtendienstlichen Grundrechtseingriffen ohne kontradiktorisches Verfahren, ohne anschließende Prüfung der Datenverarbeitung und ohne eigenständige Berichtspflichten ist unprofessionell, nicht mehr zeitgemäß und zur Legitimation des Regierungshandeln ungeeignet. Die Niederlande, Norwegen, die USA und Großbritannien sorgen für deutlich mehr Transparenz was das Genehmigungsverfahren von Überwachungsmaßnahmen betrifft. Zudem umfasst deren Kontrollpraxis eine deutlich rigorosere Prüfung der Datenkennzeichnung, -sparsamkeit und -löschpflichten. Auch mit Blick auf die Glaubwürdigkeit von Adäquatsprüfungen im Rahmen des EU-USA Privacy Shields gilt es diesen Rückstand nun aufzuholen.

 

#2 Professionalisierung der Nachrichtendienstkontrolle vorantreiben

Mit der BND-Reform sind Kontrollinstitutionen geschaffen worden, deren Arbeitsschritte vielerorts noch optimiert werden müssen. Der das parlamentarische Kontrollgremium unterstützende ständige Bevollmächtigte muss alle Untersuchungen und Befragungen mit allen Gremiumsmitgliedern koordinieren und hat sämtliche Ergebnisse mit ihnen zu teilen, um Informationsasymmetrien zu vermeiden. Die Mitglieder des Unabhängigen Gremiums in Karlsruhe – aber auch die neuen Mitglieder der G10-Kommission – sind durch intensive Schulungen mit der modernen Nachrichtendiensttechnik vertraut zu machen, damit sie die Einhaltung der Anordnungskriterien besser prüfen können. Eine sinnvolle Beurteilung der Zulässigkeit und Notwendigkeit einer Überwachungsmaßnahme setzt zudem voraus, dass die Kontrolleure zum Zeitpunkt ihrer juristischen Prüfung über alle weiteren Eingriffe informiert sind, denen die Betroffenen bei Antragstellung bereits ausgesetzt sind. Obwohl es technisch durchaus möglich wäre, ist eine solche “Überwachungsgesamtrechnung” nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens. Ein weiterer wichtiger Schritt wäre die Kontrolle über die nachrichtendienstliche Kommunikationsüberwachung in Teilen zu automatisieren. Dies wird in anderen Ländern bereits erprobt und hierfür könnten unabhängige Schnittstellen an wichtigen Knotenpunkten für Kontrolleure eingerichtet werden. Kontrollalgorithmen könnten dann die Wirksamkeit der eingesetzten Filter regelmäßig automatisiert prüfen. Darüber hinaus haben fünf europäische Länder unlängst ein neues Forum für einen fokussierteren Austausch über Themen der internationalen Nachrichtendienstkooperation geschaffen. Deutschland ist nicht Teil dieses Netzwerks, sollte sich zukünftig aber aktiv an der internationalen Suche nach verbesserten Aufsichtsstandards und Praktiken beteiligen und den Austausch europäischer Kontrollgremien tatkräftig unterstützen.

 

#3 Bessere Rechtsgrundlagen für weitere nachrichtendienstlichen Tätigkeiten schaffen

Laut Grundgesetz unterliegen die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Bundes der parlamentarischen Kontrolle. Derzeit werden im Kontrollgremium allerdings nur die Aktivitäten des BND, des BfV und des MAD kontrolliert. Die nachrichtendienstliche Fernmeldeaufklärung der Bundeswehr, die diversen Cyberabwehrmaßnahmen des Bundes und die über die Strafverfolgung hinausgehenden Vorfeldermittlungen des BKAs sind häufig Maßnahmen, die ihrem Wesen nach nachrichtendienstliche Tätigkeiten entsprechen. Trotzdem werden sie  unterschiedlich und weniger intensiv kontrolliert. Auch hier gilt es, gleiche Standards zu schaffen und dem Anspruch des Grundgesetzes gerecht zu werden. Dafür ist das Kontrollmandat des parlamentarischen Kontrollgremiums entsprechend zu erweitern. Das Nachrichtendienstrecht ignoriert bisher ebenfalls die Nutzung von ursprünglich kommerziellen Datenbanken durch die Nachrichtendienste sowie die rein ausländische strategische Fernmeldeaufklärung. Zudem gilt es – unabhängig einer eventuell vom Bundesverfassungsgericht noch geforderten Revision der BND-Gesetzes – Lücken zu füllen. Dabei sollte auch der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Unzulässigkeit einer anlasslosen Verkehrsdatenspeicherung und -verarbeitung Rechnung getragen werden und Möglichkeiten geschaffen werden, die Wirksamkeit der nachrichtendienstlichen Grundrechtseingriffe unabhängig zu evaluieren.

18. Oktober 2017
Autor:in: 

Dr. Thorsten Wetzling, Leiter "Privacy Project"

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