Mehr Rechtskontrolle wagen. Warum das Mandat des Unabhängigen Kontrollrats erweitert werden sollte

Impulse

Infolge eines Karlsruher Grundsatzurteils zum Bayerischen Verfassungsschutzrecht vom 26. April 2022 stehen nun auch auf Bundesebene zahlreiche Regelungen des Nachrichtendienstrechts auf dem Prüfstein.

Noch sind sich die Koalitionäre uneinig über die Details und den Umfang der federführend vom Innenministerium vorangetriebenen Reform. Ein Knackpunkt darin ist die Ausdehnung der vorbeugenden unabhängigen Kontrolle auf weitere Methoden der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung – wie etwa die Wohnraumüberwachung, Online-Durchsuchungen, den Einsatz von Vertrauensleuten und verdeckten Ermittler:innen, Mobilfunkortung und nachrichtendienstliche Observationen. In ihrem Urteil haben die Verfassungsrichter:innen keine spezifischen Vorgaben gemacht, wer für die Vorabkontrolle solcher Maßnahmen zuständig sein soll. Sollten sie vom parlamentarischen Kontrollgremium, einem Gericht, einer Instanz der Rechtskontrolle oder vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) verantwortet werden? Zudem gilt zu klären, ob bei der Reform nur dem Karlsruher Mindestmaß entsprochen werden sollte oder ob sich die Vorabkontrolle künftig auch auf vom Urteil nicht erwähnte Methoden der Informationsbeschaffung ausdehnen sollte. Dazu gehören beispielsweise das systematische Auswerten von offen zugänglichen Daten aus sozialen Netzwerken sowie die Entgegennahme personenbezogener Daten von Dritten.

Anstatt den zerfaserten und löchrigen Flickenteppich des deutschen Nachrichtendienstrechts nur notdürftig auszubessern, bietet sich der
selbsternannten Fortschrittskoalition jetzt die Gelegenheit, die Nachrichtendienstkontrolle wirksam und nachhaltig zu reformieren. Dafür sollte
der Unabhängige Kontrollrat als zentrales Organ der Rechtskontrolle für alle nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Bundes ausgebaut werden. Aus unserer Sicht spricht viel dafür, die Rechtskontrolle inklusive der bisherigen Kontrollaufgaben der G10-Kommission auf Bundesebene unter dem Dach des Unabhängigen Kontrollrats zu bündeln. Die Vorschriften zur unabhängigen Rechtskontrolle könnten dafür aus Abschnitt 4 des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BNDG) herausgelöst und in ein einheitliches Kontrollrahmengesetz überführt werden. Dazu müsste das Kontrollmandat um zahlreiche weitere Formen der Informationsbeschaffung nicht nur des BND, sondern aller Nachrichtendienste des Bundes erweitert werden.

Ein solcher Umbau der bestehenden Strukturen wäre eine Zeitenwende der Nachrichtendienstkontrolle. Davon ist man derzeit noch weit entfernt. Neben zahlreichen gesetzlichen Veränderungen am Mandat des Unabhängigen Kontrollrats bedarf es dafür auch einer Vielzahl weiterer Veränderungen an dessen Praxis, wie wir in diesem Impuls zeigen.

Erschienen bei: 
Stiftung Neue Verantwortung
17. Mai 2023
Autor:in: 

Dr. Thorsten Wetzling, Kilian Vieth-Ditlmann

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