Kurzanalyse zu Trumps Crime-Tweet in Deutschland: Viel Aufmerksamkeit, wenig Unterstützung

Impulse

Donald Trump dominierte vergangene Woche erneut die deutschen Debatten – ausgelöst, wie so oft, durch einen Tweet. Die Kriminalität in Deutschland sei durch die ankommenden Flüchtlinge angeblich um zehn Prozent gestiegen. Offizielle Stellen würden diese Zahlen verheimlichen, hieß es in zwei Tweets des US-Präsidenten. Bei den Kurznachrichten handelt es sich um Desinformation, die heftige Reaktionen in den deutschsprachigen sozialen Medien auslöste. Die Stiftung Neue Verantwortung hat gemeinsam mit dem Medienanalyse-Unternehmen Unicepta im Rahmen einer Kurzanalyse Daten zur Wirkung des Tweets analysiert.

Die Original-Fake-News von Donald Trump auf Twitter

Trumps Aussage erhält in der deutschen Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit aber kaum Unterstützung

Normalerweise ist es andersherum: Fake News verbreiten sich in der Regel sechsmal häufiger als wahre Nachrichten, meldete eine Studie des MIT im März diesen Jahres, in der über viereinhalb Millionen Tweets aus den letzten 12 Jahren untersucht wurden. Auch in unseren Untersuchungen während des Wahlkampfes zur Bundestagswahl letzten Jahres hatten es die Richtigstellungen von Fake News schwer, in der Öffentlichkeit Gehör und Reichweite zu finden. Im Falle Donald Trumps überwiegt nun aber deutlich das „Debunking“ – wie das Wiederlegen von Fake News genannt wird ­– zumindest in der deutschen digitalen Öffentlichkeit. Medien, Politiker:innen und Zivilgesellschaft konterten Trumps „Fake News“ mit der deutschen Kriminalitätsstatistik: Seit 1992 gehen die Straftaten demnach kontinuierlich zurück. Auch die Kanzlerin schmetterte Trumps Behauptung in einem Interview ab. Die mediale Aufmerksamkeit war enorm: Trumps Tweets stießen allein in Deutschland 42.900 Artikel und Postings an. Zum Vergleich: Die stärkste Fake News, die wir im Bundestagswahlkampf gesehen haben, sorgte für rund 51.500 Artikel und Postings.

Anders als bei den meisten bislang untersuchten Fake News dominierten diesmal aber klar die „Fact-Checker“. Ihre Postings vereinen weitaus mehr Nutzerreaktionen (Shares, Likes und Comments) auf sich, als die Weiterverbreiter der Trump’schen Fake News. Die größte Wirkung erzielten ein Aktivist, ein Journalist des Economist und ein Filmkritiker. ZDF heute folgt mit Spiegel Online auf den Plätzen vier und fünf. Kurios: Mit an Bord bei den „Fact-Checkern“ taucht ganz unerwartet eine deutsche Schauspielerin auf: Veronica Ferres.

Verhältnis zwischen Fake News, Poor Journalism und Debunking

Abbildung: Verhältnis zwischen Fake News, Poor Journalism und Debunking

 

Das meiste Engagement erzielt der Aktivist Chris Lewis. Auch Veronica Ferres ist überraschend unter den „Fact- Checkern“

Abbildung: Das meiste Engagement erzielt der Aktivist Chris Lewis. Auch Veronica Ferres ist überraschend unter den „Fact- Checkern“.

 

Unter den Top-Verbreiter:innen der Fake News ist auch die AfD

Natürlich gibt es auch diejenigen, die Trumps Steilvorlage versuchten für sich zu nutzen. In Deutschland wurde der Tweet von Donald Trump vom 19.06. 1.101 retweetet, u.a. von der Alternative für Deutschland (AfD) und BILD-Chefredakteur Julian Reichelt als Retweeter mit den meisten Follower:innen. Das unkommentierte Teilen der Fake News durch den Bild-Chefredakteur stieß dabei in den sozialen Netzwerken auf große Kritik. Ebenfalls unter den Top-Verbreiter:innen befindet sich Beatrix von Storch (AfD), die bereits in vorangegangenen Analysen überdurchschnittlich häufig durch das Teilen von Fake News auffiel. Auch die rechts-konservative Zeitung Junge Freiheit und das alternative Online-Portal Epoch Times transportierten die Fake News weiter und verstärkten sie sogar: So zitierte die Epoch Times einen obskuren Zeugen, der Trumps Behauptung angeblich auch noch zu bestätigen wusste. So folgt auch das Teilen dieser Fake News erneut der generellen Kommunikationsstrategie der Rechtspopulisten: Zweifel schüren in den Staat und seine Institutionen.

Artikel der Epoch Times – die Fake News wird sogar weitergesponnen mit fragwürdigen Quellen

Abbildung: Artikel der Epoch Times – die Fake News wird sogar weitergesponnen mit fragwürdigen Quellen

 

Einzelne Social-Media-Redaktionen und Boulevardzeitungen machen Trumps Lüge nicht deutlich

Problematisch sind aber nicht nur die klassischen Fake-News-Verbreiter:innen, sondern auch die verkürzten Darstellungen der Social-Media-Redaktionen bei Facebook, wie oben im Beispiel von BILD und selbst dem Nachrichtenflaggschiff des ZDF „ZDF heute“. Wer seine Nachrichten nur bei Facebook liest, könnte nach der Zusammenfassung von BILD meinen, dass die Aussage Trumps ein ernstzunehmender Hinweis auf ein mögliches Vergehen der deutschen Behörden sei. Der Hinweis auf die Fakten, also die Kriminalitätsstatistik fehlt auch beim ZDF. Das Problem ist aber nicht nur in den sozialen Medien zu finden: Auch die Berliner Boulevardzeitung BZ griff zwar Trumps Behauptung in seinem ersten Tweet auf, widerlegte aber seine Aussage nicht. Vor allem in den sozialen Netzwerken, so drängt sich der Verdacht auf, müssten journalistische Standards stärker beachtet werden. Die verstellende Verkürzung droht sonst der Desinformation Vorschub zu leisten – vor allem da anhand wissenschaftlicher Studien bekannt ist, dass viele User sich nicht die Mühe machen, auf die Artikel zu klicken und damit auf die zumeist differenzierte Darstellung zu stoßen.

BILD und ZDF heute erwecken den Eindruck in der verkürzten Darstellung auf Facebook, an Trumps Vorwürfen könnte etwas dran sein.

Abbildung: BILD und ZDF heute erwecken den Eindruck in der verkürzten Darstellung auf Facebook, an Trumps Vorwürfen könnte etwas dran sein.

 

Über die Datenerhebung

Dieser Kurzanalyse liegt dieselbe Untersuchungsmethode zugrunde, wie den letzten Studien der Stiftung Neue Verantwortung zu Fake News.

Zur Analyse wurde ein onlinegestütztes Monitoring- und Analyse-Tool gewählt. Online-Newssites und öffentlich zugängliche Social-Media-Kanäle (z.B. Facebook, Twitter, YouTube) werden per Webcrawler anhand eines thematischen Suchterms durchsucht. Die Ergebnisse (= Artikel und Postings, die dem gewählten Suchterm entsprechen) werden in einer interaktiven Nutzeroberfläche ausgewiesen und beispielsweise nach der Summe der hervorgerufenen Nutzerinteraktionen, dem sogenannten Engagement (Likes, Shares und Comments), sortiert. Der Analysezeitraum erstreckte sich auf die Zeit zwischen dem 18.06.2018 und dem 21.06.2018, 15:12 Uhr.

 

 

Erschienen bei: 
Stiftung Neue Verantwortung
27. Juni 2018
Autor:in: 

Alexander Sängerlaub, Stiftung Neue Verantwortung
Wolf-Dieter Rühl, UNICEPTA