Fakten statt Fakes. Verursacher, Verbreitungswege und Wirkungen von Fake News im Bundestagswahlkampf 2017

Studie

Seit der US-Präsidentschaftswahl 2016 wird in Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten immer wieder vor dem Einfluss und den Gefahren von Fake News – also absichtlich verbreiteten, falschen oder irreführenden Informationen – gewarnt. Im Mittelpunkt steht die Befürchtung, diese Desinformationen könnten genutzt werden, um in unserem immer stärker digitalisierten Mediensystem Einfluss auf öffentliche Debatten oder Wahlen zu nehmen. Dabei ist die rasante Karriere des Fake-News-Begriffs in der Öffentlichkeit auch Symptom verschiedener Veränderungsprozesse, vom digitalen Medienwandel bis zum Erfolg rechtspopulistischer Parteien in den westlichen Demokratien.

Ziel dieser Studie ist es, empirische Fakten und Hintergründe zum Phänomen Fake-News in Deutschland zu liefern. Der Fokus der Untersuchung liegt darauf, wer an der Entstehung und Verbreitung von Fake News in der digitalen Öffentlichkeit beteiligt ist, wie groß die Reichweiten und wie erfolgreich die Gegenmaßnahmen, zum Beispiel das sogenannte “Debunking” der Fact-Checker, sind. Über einen Zeitraum von sechs Monaten bis zur Bundestagswahl am 24. September 2017 wurden dafür zehn Fake-News-Fälle mit nationaler Reichweite beobachtet, ausgewählt und untersucht. Die Datenbasis war dabei umfassend; untersucht werden konnte ein Großteil der deutschen Online-Öffentlichkeit: öffentlich zugänglichen Facebook- Seiten waren demnach ebenso Bestandteil, der deutschsprachige Twitterraum, aber auch Online-Nachrichtenseiten, Blogs, Foren und die Videoplattform YouTube.

Die Untersuchung der Fake News, die zur Bundestagswahl 2017 in Deutschland geteilt wurden, birgt Überraschungen. Einige zuvor medial geäußerte Befürchtungen traten so nicht ein. Weder zeigte unsere empirische Untersuchung viele Fake News aus Russland, die in der Öffentlichkeit signifikante Verbreitung fanden, noch zeigten sich bedeutende Vorgänge aus dem linkspopulistischen Raum. Auch inhaltlich gab es kaum erfolgreiche Desinformation, die sich beispielsweise mit den beiden Spitzenkandidat:innen von SPD und CDU/CSU befassen. Fake News, so wie sich das Phänomen in Deutschland empirisch darstellt, werden vor allem von Rechten, Rechtspopulist:innen und Rechtsextremen verbreitet. Dabei bildet die AfD die Speerspitze der Verbreitung, in sieben von zehn von uns dokumentierten Fällen ist sie unter den Top-10 der reichweitenstärksten Verbreiter. Das rechtspopulistische Netzwerk ist jedoch größer und besonders in den sozialen Netzwerken (allen voran: Facebook) aktiv. Hierzu zählen Medien, wie die Epoch Times, genauso wie rechte Blogs.

Doch nicht alle Fake News gehen allein auf das Konto der Social-Media-Kanäle à la Facebook und Twitter: Auch redaktionelle, “klassische” Medien spielen eine Rolle. Mal als versehentlicher Katalysator, mal als bewusster Auslöser, zumeist allerdings als kritisches Korrektiv und Richtigsteller falscher Informationen, wie Süddeutsche.de oder der Faktenfinder der ARD. Andere Medien dagegen machen sich auffallend oft zum Verbreiter von Fake News, wie Bild.de oder Welt.de. Unsauberes Arbeiten betrifft in zwei Fällen auch die dpa, die Deutsche Presse-Agentur, die vor allem eine unrühmliche Rolle bei der Verbreitung der Fake News zum Volksfest in Schorndorf einnahm. Neben Medienhäusern sind zudem staatliche Stellen oder Behörden bei der Verbreitung beteiligt und können selbst zum Auslöser von Fake News werden. Schuld daran ist oft unprofessionelle oder mindestens sorglose Öffentlichkeitsarbeit, ob von der Polizei auf Twitter oder bei der Auskunft staatlicher Stellen gegenüber Medien. In allen von uns dokumentierten Fällen nutzen rechtspopulistische Akteure diese Ungenauigkeiten und instrumentalisieren diese für ihre ideologische Kampagne als Teil ihrer Kommunikationsstrategie.

Thematisch bewegen sich die untersuchten Falschinformationen vor allem im Themenfeld “Flüchtlinge und Kriminalität”. Die Flüchtlingskrise, die auch eines der großen Themen der letzten Bundestagswahl war, dominiert demnach unsere Cases: 8 der 10 Fake News haben das Thema „Flüchtlinge“.

Insgesamt erzielen Fake News im Vergleich zu regulären Nachrichten klassischer Medien in der Regel nur überschaubare Reichweiten, es sei denn, klassische Medien sind bei der Verbreitung beteiligt. Die große Fake News – das ist die gute Nachricht – blieb in Deutschland aus. Gründe dafür sind zum einen hohe Vertrauenswerte in das hiesige Mediensystem, aber auch die weitaus geringere Bedeutung der Social-Media-Kanäle als Informationsquelle im Vergleich zu den USA. Die stärkste im Rahmen dieser Studie gemessene Fake News betraf eine Meldung über ein Volksfest in der badenwürttembergischen Stadt Schorndorf, auf dem “angeblich 1.000 Migranten randaliert hätten”, so das Narrativ der Fake News. Sie erzeugte ein Engagement von etwa 500.000, dies bedeutet, dass allein eine halbe Million Nutzer:innenaktivitäten in Form von Shares, Likes oder Comments in den Sozialen Netzwerken messbar waren.

Bei der Betrachtung der Fake News Cases fällt auf, dass nur wenige Akteure einen Großteil der Reichweite zu einem Thema erzielen. Die großflächige Verbreitung von Fake News erfolgt also nicht durch eine große Zahl regulärer Internet-Nutzer:innen, sondern maßgeblich durch wenige meist professionelle Akteure, die auch sonst reichweitenstark kommunizieren (Medien, Parteien, einzelne Politiker:innen, etc.). Allein die Top-10-Verbreiter jeder Fake News erzeugen durchschnittlich bereits 56 % des Gesamt-Engagements jeder Falschinformation und ihrem Debunking.

Fake News mit Fact-Checking oder ähnlichen journalistischen Formaten zu bekämpfen, zeigt nur begrenzt Wirkung. Fast alle untersuchten Fake News erzielen deutlich höhere Reichweiten als ihr Debunking. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die Funktionslogik der Sozialen Medien, die affektive Handlungen eher anregen als kognitive, spielt sicherlich eine tragende Rolle. Das heißt, dass sich emotionale, sensationelle Nachrichten deutlich schneller verbreiten als nüchterne Richtigstellungen. Auch die Tatsache, dass ein umfangreiches Debunking Zeit braucht, sodass es in der Regel erst 24 bis 72 Stunden später erfolgt, ist ein weiterer Faktor. Geht es auch einmal schneller, wie im Fall der gefälschten Polizei-Dienstanweisung aus Nordrhein-Westfalen, kann schnelles Debunking öffentlicher Institutionen (in diesem Fall des nordrhein-westfälischen Innenministeriums auf Twitter), eine schnelle Weiterverbreitung auch verhindern. So ist dies der einzige gemessene Fall, in dem das Debunking erfolgreicher war, als die Fake News.

Ein weiteres Problem ist, dass die Fakten-Checker in der Regel nicht in die Kommunikationsräume und Echokammern vordringen, in denen die Fake News geteilt werden – unabhängig davon, ob sie dort auch gehört werden würden. Ein Beispiel dafür ist der Faktenfinder von tagesschau.de, der seine Erkenntnisse vor allem über die Webseite der Tagesschau veröffentlichte. Doch wer den Fake News der AfD oder der Epoch Times bei Facebook aufgesessen ist, wird freilich nicht parallel dazu die Seiten des Faktenfinders konsultieren, um herauszufinden, ob das eben gelesene Richtigkeit angesichts der Fakten behält.

Die Befragung der Wähler:innen kurz nach der Bundestagswahl gibt einen Einblick in die entstehenden Echokammern, in die sich die Menschen begeben, die sich aufgrund mangelnden Vertrauens in etablierte Medien alternativen Informationsangeboten widmen. Dabei sind die Social-Media-Kanäle vor allem für die Wähler:innen der Alternative für Deutschland mit die wichtigste Informationsquelle. Für die Rezeption der Fake News gilt: Geglaubt wird, was ins Weltbild passt.

Fake News, so zeigt sich, muss man differenziert betrachten. Sie sind vor allem eine doppelte Kommunikationsstrategie der Rechtspopulist:innen, die Fake News sowohl als Kampfbegriff gegen Medien und Journalist:innen verwenden, als auch zur Mobilisierung ihrer Wähler vor allem, aber nicht nur, in den Sozialen Netzwerken. Auch sind Fake News ein Symptom des Strukturwandel der Öffentlichkeit ins Digitale, in dem die Gleichzeitigkeit von Medienrealität und Realität genauso herausfordernd ist, wie die noch offene Frage der Finanzierung von digitalem Qualitätsjournalismus.

26. März 2018
Autor:in: 

Alexander Sängerlaub, Miriam Meier und Wolf-Dieter Rühl