Wie die deutsche Plattformaufsicht aufgebaut sein sollte: Empfehlungen für einen starken „Digital Services Coordinator“

Policy Brief

Executive Summary

Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz („Digital Services Act“, DSA) gelten bald EU-weite Regeln für Onlinemarktplätze, Hosting-Anbieter, soziale Netzwerke und andere Plattformen. Der DSA ist ein Wendepunkt in der europäischen Plattformregulierung, da er erstmals einen detaillierten Pflichtenkatalog speziell für Plattformen aufstellt, der weit über bisher geltende Haftungsregeln hinausgeht. Das Gesetzeswerk soll so unterschiedliche Risiken wie fehlende Beschwerdemöglichkeiten für Nutzende, intransparente Onlinewerbung und unverständliche, möglicherweise diskriminierende algorithmische Empfehlungssysteme eindämmen. Aber nicht nur die Regeln selbst sind eine Neuerung: Auch die Aufsichtsstruktur, die die Einhaltung dieser Regeln sicherstellen soll, wird mit dem DSA umgebaut. Dafür sind die Europäische Kommission sowie nationale Behörden gefragt. In vielen Mitgliedsländern werden wahrscheinlich mehrere Behörden für die Durchsetzung verschiedener Teilbereiche des DSA zuständig sein, jedoch muss es in jedem Fall pro EU-Land einen Koordinator für digitale Dienste („Digital Services Coordinator“, DSC) geben.

Der DSC muss unterschiedliche Behörden koordinieren, sich mit der Kommission austauschen und auch selbst wichtige Aufsichtsaufgaben übernehmen. Dafür eine neue, spezialisierte, eigenständige Agentur aufzubauen, wäre langfristig die richtige Maßnahme. Dies wird allerdings in Deutschland bis auf Weiteres nicht angestrebt. Stattdessen stand zur Verabschiedung des DSA im Herbst 2022 fest, dass die Bundesregierung eine bestehende Behörde zum DSC ernennen wird. Hierzu soll es Anfang 2023 einen Gesetzesvorschlag geben. Unabhängig davon, welche Behörde die Bundesregierung zum DSC macht, müssen Politik und Verwaltung sicherstellen, dass schnell und gründlich Strukturen aufgebaut werden, die eine starke Plattformaufsicht ermöglichen.

Was der Koordinator können muss, welche Expertise, Arbeitsweisen und Austauschformate mit externen Fachleuten sinnvoll sind und welche Ressourcen gebraucht werden, analysiert dieses Papier anhand von sieben fiktiven Aufsichtsfällen. Diese Fälle sind eng an die Aufgabenbeschreibung des DSC angelehnt. Sie offenbaren, dass neue Ansätze für die Plattformaufsicht aus zwei Gründen nötig sind. Erstens betont der DSA Datenanalysen und Berichtspflichten wie kaum ein Gesetzeswerk zuvor. Eine Vielzahl an Transparenzberichten, Datenzugangsrechten, Audits und Informationspflichten wird eine Fülle an Daten generieren. Der DSC nimmt gerade bei Fragen des Datenzugangs eine wichtige Rolle ein. Auch wenn es in deutschen Behörden Erfahrungen zu Markt- und Datenanalysen gibt, müssen diese Strukturen beim DSC deutlich erweitert und auf Plattformrisiken zugeschnitten werden. So sollte der DSC zur deutschlandweiten, zentralen Stelle zu Plattformforschung werden, die sowohl eigene Studien durchführt als auch Forschung in Auftrag gibt.

Zweitens fordert der DSA im Gegensatz zu vielen anderen EU-Regelwerken eine Zusammenarbeit zwischen Behörden aus unterschiedlichen Bereichen. Beim Datenschutz arbeiten Datenschutzbehörden in Deutschland und der EU zusammen, beim Wettbewerbsrecht tauschen sich Kartellbehörden aus und die Medienregulierer haben ebenfalls ein EU-Netzwerk. Vom DSC wird nun verlangt, dass er gleichzeitig mit all diesen und weiteren Behörden zusammenarbeitet. Deshalb sollten beim DSC fallbezogene, interdisziplinäre und behördenübergreifende Projektteams etabliert werden.

Der DSA ist in vielerlei Hinsicht ein innovatives und vielversprechendes Gesetzeswerk, aber in manchen Punkten weiterhin sehr vage. Die Kommission und die Mitgliedsstaaten müssen nun dafür sorgen, dass trotz dieser Ambivalenz das Onlineumfeld für die Menschen tatsächlich verständlicher wird und gesellschaftliche Risiken minimiert werden. Der Erfolg der neu geschaffenen europäischen Plattformaufsicht hängt dabei eben nicht nur von der Kommission ab, sondern in hohem Maße auch von der Ausgestaltung der DSCs. Deshalb ist es dringend geboten, dass Bundesregierung und Behörden einen gut vernetzten, interdisziplinären, datengetriebenen DSC aufbauen.

13. Oktober 2022
Autor:in: 

Dr. Julian Jaursch

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