Deutschland als KI-Standort: Destination oder Drehscheibe?

Studie

Empirische Untersuchung der Karrierepfade von KI-Doktorand:innen an deutschen Universitäten

 

Executive Summary

Die Bundesregierung betrachtet Künstliche Intelligenz (KI) als Schlüsseltechnologie für die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit Deutschlands. Der Anspruch, mit KI „made in Germany“ dem internationalen Wettbewerb einen Stempel aufzudrücken, wird mit einer ambitionierten Strategie und mehreren Milliarden an Fördergeldern untermauert. Um seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen, muss Deutschland um die besten Köpfe konkurrieren. Aber wie attraktiv ist Deutschland für KI-Forschende? Gelingt es Universitäten und Forschungsinstituten, vielversprechende Nachwuchswissenschaftler:innen aus aller Welt anzuziehen? Und wo gehen diese Talente nach Abschluss ihres Studiums beziehungsweise ihrer Promotion hin? Diese Fragen werden zwar diskutiert, doch es fehlt an belastbaren Daten und Analysen. Einzelfälle und Einschätzungen Einzelner prägen auch vier Jahre nach Verabschiedung der KI-Strategie die Debatte.

Diese Pilotstudie liefert erste Erkenntnisse zur Zu- und Abwanderung von Nachwuchstalenten im Bereich KI an deutschen Forschungsinstituten. Herzstück unserer Analyse ist ein eigens entwickelter Datensatz zu Doktorand:innen bei führenden KI-Forscher:innen in Deutschland. Die Daten wurden in einem dreistufigen Verfahren erhoben: Zuerst haben wir mit Hilfe etablierter Rankings und der Auswertung von Publikationsoutput KI-Spitzenforscher:innen in Deutschland identifiziert. Als nächstes wurden Doktorand:innen dieser Spitzenforschenden recherchiert. Im finalen Schritt haben wir Daten zu den Bildungswegen dieser Doktorand:innen und ihren Tätigkeiten nach Abschluss der Promotion erhoben.

Unsere Auswertung zeigt, wie stark die deutsche KI-Forschung auch international vernetzt ist. Über die Hälfte der Doktorand:innen an deutschen KI-Lehrstühlen in unserer Stichprobe hat ihren Bachelorabschluss im Ausland gemacht. Neben den EU-Mitgliedstaaten (9 Prozent) kommen die meisten Bachelorabschlüsse in unserem Datensatz aus Indien (9 Prozent), China (7 Prozent), Iran (5 Prozent) und Russland (3 Prozent). Während deutsche KI-Professor:innen kaum Doktorand:innen aus den USA, Schweiz und Großbritannien betreuen (jeweils nur 1 Prozent oder weniger in unserer Stichprobe), sind diese drei Länder wichtige Anziehungspunkte für KI-Talent aus Deutschland nach Abschluss der Promotion. Zwar bleiben über 60 Prozent aller KI-Nachwuchswissenschaftler:innen in den ersten Jahren nach Abschluss der Promotion in Deutschland, doch immerhin 13 Prozent zieht es in die USA, 7 Prozent in die Schweiz und 5 Prozent nach Großbritannien. Unsere Daten zeigen, dass es in diesen Zielländern insbesondere die großen, globalen Tech-Firmen sind, die mit ihren hohen Gehältern und Forschungsbudgets KI-Talent aus Deutschland anziehen.

Die von uns ausgewerteten Daten belegen also, dass es deutschen Universitäten und Forschungsinstituten gelingt, Nachwuchstalente aus Osteuropa und Asien anzuziehen und auszubilden. Einen gewichtigen Anteil dieser Talente verliert Deutschland dann aber an international führende KI-Standorte wie die USA. Unserer Analyse zufolge ist Deutschland eine Art Mittelmacht, die vom Zufluss profitiert, aber viele ihrer besten Talente nicht halten kann. Diese Hypothese sollte anhand weiterer Studien noch tiefergehend untersucht werden. Wenn die Bundesregierung im Bereich der KI den Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland stärken will, braucht es Analysen, warum KI-Talente aus dem Ausland für ein Studium oder für eine Promotion nach Deutschland kommen und was wiederum viele nach ihrer Ausbildung ins Ausland zieht.

Unsere Pilotstudie zeigt, welches Potenzial in datenbasierten Untersuchungen zur Mobilität von KI-Talent in Deutschland steckt. Wir begrüßen weitere Analysen zum Talentfluss und anderen zentralen Erfolgsfaktoren für den KI-Standort. Sie ermöglichen es, zielgerichtet und evidenzbasiert Maßnahmen für die KI-Strategie zu entwickeln. Ebenso wird es möglich, über Zeiträume hinweg nachzuvollziehen, ob politische Ziele, wie zum Beispiel Spitzenforscher:innen aus dem Ausland anzuziehen oder den Austausch innerhalb der EU zu stärken, erreicht werden. Nur so kann die Bundesregierung ihre Vision eines international führenden KI-Standorts Deutschland auch wirklich umsetzen.

Erschienen bei: 
SNV
14. Dezember 2022
Autor:in: 

Pegah Maham, Dr. Stefan Heumann, Wiebke Denkena, Laurenz Hemmen und Anna Semenova