Der DSA-Entwurf: Ehrgeizige Regeln, schwache Durchsetzungsmechanismen

Policy Brief

Executive Summary

Die Jahrzehnte, in denen Plattformen nur ihren eigenen Regeln und veralteten Gesetzen unterworfen waren, gehen in der Europäischen Union (EU) zu Ende. Das Grundgerüst der europäischen Plattformregulierung aus dem Jahr 2000 bedurfte seit langem angesichts von Datenschutzverletzungen, Desinformationskampagnen und algorithmischer Diskriminierung bei Plattformen einer Aktualisierung und Erweiterung. Um diese Aufgabe anzugehen, hat die Europäische Kommission mit dem Digitale-Dienste-Gesetz („Digital Services Act“, DSA) einen wichtigen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der helfen könnte, große Tech-Unternehmen etwas zu zügeln. Der DSA-Entwurf sieht für Plattformen neue Sorgfaltspflichten vor, die weltweit bisher kaum gesetzlich verankert waren. Zum Beispiel müssen Plattformen Risikobewertungen durchführen und ihre algorithmischen Empfehlungssysteme erklären. Viele dieser Regeln müssen konkretisiert werden, aber sie sind bereits ein willkommener Schritt in die richtige Richtung.

So fortschrittlich die neuen Regeln im Vergleich zu Gesetzesinitiativen in anderen Ländern auch sind: Sie laufen Gefahr, einem fragmentierten, inkonsistenten und komplizierten Durchsetzungssystem zum Opfer zu fallen. Die Durchsetzung des DSA obliegt mehreren nationalen Regulierungsbehörden in den Mitgliedstaaten (etwa Medien-, Verbraucherschutz-, Wettbewerbs- und Telekommunikationsregulierungsbehörden) sowie der Kommission. Die Mitgliedstaaten müssten einen ihrer Regulierer als Koordinator für digitale Dienste („Digital Services Coordinator“, DSC) benennen. Dieser DSC soll jeweils die zentrale nationale Anlaufstelle für DSA-Angelegenheiten für die Kommission und für Plattformen sein. Er kann die DSA-Regeln durchsetzen und Plattformen bei Verstößen sanktionieren. Wenn jedoch „sehr große Online-Plattformen“ (ab 45 Millionen Nutzende monatlich) betroffen sind, sollen sich die nationalen Regulierungsbehörden in einem langen, mehrstufigen Prozess mit der Kommission abstimmen. Darüber hinaus gibt es ein neues Europäisches Gremium für digitale Dienste, das die Kommission berät. Es setzt sich aus nationalen Behörden zusammen, wird aber von der Kommission geleitet, und kann nur Stellungnahmen abgeben.

Diese Durchsetzungsstruktur stützt sich stark auf bestehende Regulierungsbehörden, die sich personell verstärken und neue Aufgaben übernehmen müssen. In einigen Mitgliedstaaten sind die Regulierungsbehörden fähig und bereit, dies zu tun, und haben vielleicht sogar schon einige dieser Aufgaben übernommen. In anderen Ländern mag diese Bereitschaft nicht vorhanden sein, und in wieder anderen wollen die Regulierungsbehörden möglicherweise neue Aufgaben erfüllen, brauchen aber eine Weile, um dafür Budget zu sichern und das notwendige Fachwissen aufzubauen. Infolgedessen könnten EU-weite Regeln aus dem DSA ungleichmäßig durchgesetzt werden. Dies würde die Wirkung des DSA erheblich schwächen und einige der Probleme wiederholen, die ein anderes wegweisendes EU-Gesetz, die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), plagen. Die europäischen Datenschutzbestimmungen gewähren Bürger:innen wichtige Rechte und legen Plattformen und anderen Unternehmen, die personenbezogene Daten verarbeiten, Pflichten auf. Doch die potenziellen positiven Auswirkungen der DSGVO werden durch die unterschiedliche Durchsetzung in den EU-Mitgliedstaaten ernsthaft behindert.

Indem die Kommission einbezogen wird und nicht alles den nationalen Regulierungsbehörden überlassen wird, scheint der DSA-Entwurf darauf bedacht zu sein, aus den Fehlern der DSGVO-Durchsetzung zu lernen. Diese Struktur schafft jedoch ihre eigenen Probleme. Die Kommission ist ein Exekutivorgan unter politischer Führung und keine unabhängige Regulierungsbehörde, die aber für die Aufsicht von Plattformen nötig ist. Der gut gemeinte Versuch, ein weiteres DSGVO-Szenario zu verhindern, könnte nach hinten losgehen und die Durchsetzung des DSA schwächen, wenn nationale Aufsichtsbehörden sich nicht verstärken und es zu Grabenkämpfen zwischen den nationalen Behörden sowie zwischen den nationalen Behörden und der Kommission kommt. Am Ende wären die Nutznießenden die Tech-Plattformen, die weiterhin allein anhand unternehmerischer Überlegungen das Plattformdesign vorgeben würden und deren Geschäftspraktiken weiterhin nicht einheitlich von einer fachkundigen Aufsicht überwacht werden würden.

Um dieses Problem zu lösen, sollten politische Entscheidungsträger:innen in den Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene ihre derzeitigen Pläne zur DSA-Durchsetzung überarbeiten und eine eigene Agentur auf europäischer Ebene aufbauen, die für die Durchsetzung der neuen Sorgfaltspflichten des DSA sorgt. Transparenzberichte, Erklärungen für Empfehlungssysteme und Audits sind Angelegenheiten von EU-weiter Bedeutung und gelten für Tech-Unternehmen mit EU-weiter Reichweite, daher sollten sie auch von einer EU-Agentur beaufsichtigt werden: einem Europäischen Koordinator für digitale Dienste. Diese Agentur sollte sich speziell auf Plattformen konzentrieren, die Bürger:innen digitale Räume bieten, in denen sie sich untereinander austauschen, Nachrichten konsumieren und teilen sowie politische Botschaften empfangen und versenden. Dazu würden Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Videoplattformen und Messenger-Dienste mit öffentlichen, sozialen Netzwerkfunktionen gehören. Solche Plattformen sind wichtig genug und unterscheiden sich genug von anderen Plattformen und anderen Branchen, dass sie ihr eigenes, spezialisiertes Aufsichtsregime benötigen. Ihr Design und Geschäftsmodell bergen auch ganz eigene Risiken für Individuen und Gesellschaften, die eine eigene Aufsicht erfordern, wie etwa die Verstärkung von Desinformation, Bias in Algorithmen und bedenkliche Eingriffe in die Privatsphäre. Der DSA liefert das Regelwerk, um diese Risiken zu adressieren, aber nicht die richtigen Mechanismen, um das Regelwerk durchzusetzen. Anstatt sich auf mindestens 27 verschiedene nationale Regulierungsbehörden, die Kommission und ein neues europäisches Beratungsgremium zu verlassen, sollte die EU einen einzelnen, europäischen Koordinator für digitale Dienste einrichten, der sich mit sozialen Netzwerken und Suchmaschinen befasst.

Ein starker, personell gut ausgestatteter, unabhängiger Europäischer Koordinator für digitale Dienste könnte sich auf soziale Netzwerke und Suchmaschinen konzentrieren und sich mit Fragen beschäftigen, die spezifisch für diese Arten von Plattformen und deren häufig wechselndes Design und Technologie sind. Zwar könnte diesbezügliches Wissen auch bei bestehenden Regulierungsbehörden aufgebaut werden, aber eine eigene Agentur hat den Vorteil, dass sie nicht durch andere Regulierungsaufgaben abgelenkt wird. Es könnten neue Prozesse der Wissenssammlung und des Wissensaustauschs mit externen Fachleuten aus verschiedenen Bereichen erprobt werden, die bei 27 separaten nationalen Regulierungsbehörden und der Kommission schwieriger zu etablieren wären. Wichtig ist zudem, dass ein europäischer DSC es der EU ermöglichen würde, mit einer Stimme zu sprechen, wenn sie sich an große Tech-Unternehmen wendet. Er könnte auch verhindern, dass sich Unternehmen den für sie regulatorisch günstigsten Standort für ihre EU-Niederlassung aussuchen.

Der DSA-Entwurf enthält wichtige und ehrgeizige Regeln für Plattformen. Politische Entscheidungsträger:innen in der EU sollten nun darauf hinarbeiten, den Durchsetzungsmechanismus ebenso ehrgeizig zu gestalten. Der Aufbau einer neuen Behörde wie eines europäischen DSC ist allerdings mit großen Hürden, auch in rechtlicher Hinsicht, verbunden und wird lange dauern. Pfadabhängigkeiten in den Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene machen jeden Schritt hin zu einer neuen Agentur schwierig, da die bestehenden Regulierungsbehörden und Regierungen wahrscheinlich an ihrer Macht festhalten möchten. Dies ist zum Beispiel in Deutschland zu beobachten. Das Land hat eine Vorreiterrolle bei der Plattformregulierung übernommen und nun sind Akteure auf Bundes- und Länderebene daran interessiert, ihre eigenen Regeln beizubehalten. Diese nationalen Bemühungen sind jedoch innovativ und kurzsichtig zugleich: Progressive Regeln für Plattformen werden von Regulierern durchgesetzt, die Multitasking in verschiedenen Regulierungsbereichen betreiben müssen, die nichts mit Plattformaufsicht zu tun haben. Der DSA läuft Gefahr, diese Struktur zu festigen, wenn er von nationalen Regulierungsbehörden und der Kommission durchgesetzt würde, was ein wahrscheinliches Szenario ist. Selbst wenn dieses System funktionierte, sollte der DSA als Gelegenheit gesehen werden, zu evaluieren, wie lange bisher bestehende Behörden noch nachgerüstet werden können, um sich mit Plattformfragen zu befassen und neue Regeln durchzusetzen.

Zukünftige Diskussionen über den DSA und seine Durchsetzung sollten Überlegungen für eine eigene, spezialisierte EU-Agentur beinhalten. Diese kann sich ausschließlich auf die Sicherstellung von Transparenz und Rechenschaft bei Unternehmensentscheidungen konzentrieren, die die Architektur digitaler Informationsräume für Millionen Menschen in der EU prägen.