Woran wir gerade arbeiten: Newsletter Dezember 2020

17. Dezember 2020

Woran wir gerade arbeiten

Nachdem das Bundesverfassungsgericht Ende Mai dieses Jahres das BND-Gesetz als in weiten Teilen verfassungswidrig eingestuft hat, hat das Bundeskabinett diese Woche eine erneute BND-Reform beschlossen. Thorsten Wetzling und Kilian Vieth haben in ihrer ausführlichen Stellungnahme dazu festgehalten, dass das Ziel der Reform, Grundrechtseingriffe ausreichend rechtsstaatlich abzusichern, nicht umfassend erreicht wird. Über die Stellungnahme hinaus werden sie sich auch weiterhin mit dem Thema befassen, Verbesserungsvorschläge erarbeiten und weitere gute Praktiken aus anderen Ländern hervorheben. 

Auf unserem Nachrichtendienst-Blog aboutintel.eu beleuchten wir die BND-Reform 2.0 außerdem als Diskussionsreihe für ein europäisches Publikum. Bis Ende Januar haben wir führende Personen aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft, Nachrichtendienstaufsicht und Regierung eingeladen, die Reform auf Herz und Nieren zu prüfen.  Die rechtlichen, technischen, und politischen Entscheidungen, die es nun in Deutschland zu treffen gilt – wie das Mandat zur Auslandsaufklärung, Voraussetzungen für eine effektive Kontrolle, die Rechte von Nicht-Staatsbürger:innen oder den besonderen Rechtsschutz für Journalist:innen – sind Grundsatzfragen moderner demokratischer Nachrichtendienstpolitik. 
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Zwei zentrale Pfeiler der Außenpolitik sind internationale Wirtschaftsbeziehungen und der weltweite Schutz der Menschenrechte. Künstliche Intelligenz sorgt für fundamentale Veränderungen in diesen Bereichen. Für die Wirtschaft sind vor allem internationale Normungs- und Standardisierungsverfahren von großer Bedeutung, die auch dazu beitragen können, bei der Entwicklung und dem Einsatz von KI Menschenrechte zu wahren. Philippe Lorenz und Kate Saslow untersuchen derzeit, wie außenpolitische Entscheidungsträger:innen Entwicklungen in diesem für den globalen KI-Ordnungsrahmen bedeutsamen Governance-Bereich in die eigene Politik integrieren können.  
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Europa ist bei der Fertigung von Prozessoren schon lange nicht mehr konkurrenzfähig. In einer gemeinsamen Erklärung von 17 EU-Mitgliedstaaten wird nun angekündigt, dass massiv in die europäische Halbleiterindustrie und -forschung investiert werden soll, explizit auch in die Prozessorfertigung, um weniger abhängig von außereuropäischen Fertigungskapazitäten zu sein. Doch mit welcher Strategie müssten diese Investments eingesetzt werden, um dieses Ziel auch wirklich zu erreichen? Jan-Peter Kleinhans und Nurzat Baisakova analysieren verschiedene mittel- und langfristige Szenarien und gehen dabei auch der Frage auf den Grund, warum Europa in diesem Bereich so abgehängt ist und welche weiteren Teile der Lieferkette dem europäischen Halbleiter-Ökosystem fehlen (wie beispielsweise Chip-Design), die es für zukünftige eigene Fabrication Plants (Fabs) bräuchte. 

 

Was wir gerade mit Interesse lesen

Möchte man in einem Produkt Künstliche Intelligenz einsetzen, um etwa Gesichts- oder Spracherkennung zu ermöglichen, muss man heute nicht mehr selbst die Entwicklung beherrschen, sondern kann für eine Vielzahl von Anwendungsfällen „AI as a Service“ einkaufen. Dass es diese KI „von der Stange“ gibt, birgt aber auch ein hohes Gefahrenpotential: Die Services können auch für illegale oder unethische Zwecke eingesetzt werden. Dieses Papier skizziert die möglichen Gefahren, liefert aber auch Ideen dafür, wie Missbrauch technisch eingedämmt werden könnte. Gelesen von Leonie Beining.
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Das Ziel europäischer Tech-Policy bewegt sich fast immer zwischen zwei Polen: Auf der einen Seite möchte sich die EU abgrenzen vom oft mit China assoziierten Modell des Autoritarismus, bei dem Technologie zur Überwachung der eigenen Bevölkerung und gegen Minderheiten eingesetzt wird. Auf der anderen Seite soll auch dem "Überwachungskapitalismus” durch übermächtige Tech-Firmen Einhalt geboten werden. Dabei stand die EU in den letzten Jahren oft allein da und hatte dadurch auch nur begrenzte Schlagkraft. Die Autor:innen dieses Artikels, Marietje Schaake und Tyson Baker, plädieren deshalb für eine neue gemeinsame Tech-Agenda der USA und Europas. Durch die Wahl Joe Bidens besteht nach der Ära Trump nun die Hoffnung, dass durch Zusammenarbeit und mehr Multilateralismus wichtige Weichen gestellt werden können, um die Zukunft der Demokratie und Menschenrechte im digitalen Zeitalter zu sichern. Gelesen von Charlotte Dietrich.
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Dipayan Ghosh ist Informatiker und hat selbst für Facebook gearbeitet, bevor er in die Forschung wechselte und einer der Leiter des Digital Platforms & Democracy Project der Harvard University wurde. Dadurch kennt er die großen Digitalplattformen sowohl von innen als auch aus der Forscherperspektive. Nun hat er sein Buch „Terms of Disservice: How Silicon Valley is Destructive by Design” veröffentlicht. Sein zentrales Argument darin lautet, dass Facebook und Google natürliche Monopole sind, die eine neue Form kapitalistischer Auswüchse schaffen, denen durch eine Mischung aus Datenschutz-, Wettbewerbsrecht und Transparenzregeln begegnet werden sollte – also durch ein neuartiges regulatorisches Regime. Das Buch liest sich dabei als Vorschlag für eine umfangreiche wirtschaftliche Reform, die zum Beispiel beinhalten könnte, dass Regelungen wie die DSGVO auch in den USA Anwendung finden. Gelesen von Julian Jaursch
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Der Wissenschaftler Steven Weber stellt in seinem Papier die These auf, dass die Vielfalt der menschlichen Sprachen, derzeit ein Hindernis für die Interoperabilität in der Kommunikation und im Handel, mit dem Einsatz von maschinellen Übersetzungstechnologien in den nächsten Jahren erheblich an Bedeutung verlieren wird. Weber geht davon aus, dass die maschinelle Übersetzung in den 2020er Jahren die gleiche Bedeutung für die Verbreitung von Ideen haben wird, wie die Container-Schifffahrt für den Warenhandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie die maschinelle Übersetzung entwickelt, kommerzialisiert und eingesetzt werde, habe nicht lediglich entscheidenden Einfluss auf den Handel und die zukünftige Verteilung des Wohlstands, sondern auch auf die Vielfalt des Denkens und der Kultur. Gelesen von Philippe Lorenz, der diesen Text aus der englischen Zusammenfassung des Papiers mit einer Software übersetzen ließ. 
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Die weltweit Milliarden Nutzer:innen von Google und Facebook verbinden die beiden Plattformen vor allem mit ihren Kernprodukten – der Suchmaschine und den sozialen Netzwerken. Der Einfluss der beiden Unternehmen auf das Internet und die Datenwirtschaft reicht aber viel weiter: Sie stellen weit verbreitete „Software Development Kits” (SDK) zur Verfügung, mit deren Hilfe App-Entwickler:innen zwar leichter ihre Produkte entwickeln und monetarisieren können, aber gleichzeitig auch in Abhängigkeit der Tech-Unternehmen geraten. Mit diesem Ansatz haben es Google und Facebook geschafft, auch außerhalb ihrer eigenen Dienste tief in die technische Infrastruktur von Apps und anderen mobil genutzten Diensten einzudringen und damit auch detaillierte Daten über Nutzer:innenverhalten zu sammeln. Diese Strategie und deren Folgen für die Datenökonomie und -infrastruktur beschreibt dieses Papier. Gelesen von Stefan Heumann

 

Überblick: Aktuelle Veröffentlichungen und Medienbeiträge

 
Auf aboutintel.eu, unserem Blog und Diskussionsforum zu Überwachung, Nachrichtendiensten, und Grundrechten, haben sich dieses Jahr Expert:innen aus ganz Europa und einer Vielzahl von Sektoren mit einer Reihe spannender Themen auseinandergesetzt. Dabei ging es primär um automatisierte Videoüberwachung, staatliche Überwachung im Rahmen von Covid-19, Predictive Policing, die Kontrolle von Überwachungstechnologie-Exporten aus der EU und die Entwicklung von Nachrichtendienstrecht- und Praxis auf europäischer und nationaler Ebene. Zur Jahreswende und Anfang 2021 wird nun ausführlich die geplante Reform des Bundesnachrichtendienstgesetzes in Deutschland beleuchtet.  
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Understanding US Federal AI Policy: Recommitting to a transatlantic coalition on AI (Memo, englisch): Die USA sind im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) führend. Dieser Vorsprung wird auch auf politischer Ebene genutzt. Das Selbstbild Amerikas, Weltführer im KI-Bereich zu sein, spiegelt sich auch in der Rhetorik entsprechender US-Strategien und -Initiativen wider – nicht erst seit Trumps „America First“. In ihrem Papier erläutert Kate Saslow die Evolution amerikanischer KI-Politik, deren Rhetorik und inwiefern europäische Entscheidungsträger:innen dies für zukünftige Kooperationen nutzen können.  
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Politische Onlinewerbung definieren (Impuls, deutsch und englisch): Im Gegensatz zu traditioneller Werbung kann bezahlte politische Kommunikation im Internet auf große Mengen persönlicher Verhaltensdaten zurückgreifen, um Menschen anzusprechen. Diese Form der politischen Kommunikation kann politischen Akteuren helfen, ein Nischenpublikum zu erreichen und Wahlberechtigte zu mobilisieren. Es häufen sich jedoch auch die Beispiele, in denen Minderheiten dadurch von Wahlen abgehalten und Desinformation verbreitet wurde. Daher stellt sich die Frage nach passenden Regeln für politische Onlinewerbung, die allerdings häufig an einer fehlenden, klaren Definition scheitert. Julian Jaursch plädiert deshalb für ein Umdenken bei der Formulierung von Regelwerken für politische Werbung: Es sollten Transparenzpflichten für jegliche Form der Onlinewerbung eingeführt werden, anstatt eine schwierige Abgrenzung zu anderen bezahlten Botschaften vorzunehmen. Der diese Woche vorgestellte „Digital Services Act“ macht hierzu einen konkreten Gesetzesvorschlag. Zusätzlich sollten bestimmte politische Akteure definiert werden, für die weitergehende Regeln gelten. 
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EU-US Cybersecurity Policy Coming Together (Policy Brief, englisch): Sowohl die USA als auch die EU sehen Cybersicherheit als wesentlichen Bestandteil einer prosperierenden und sicheren Wirtschaft und Gesellschaft. Während sich die Ansätze und Strategien in der Cybersicherheitspolitik bei den beiden Akteuren deutlich unterscheiden, gibt es jedoch auch Gemeinsamkeiten, die für eine zukünftige Kooperation entscheidend sind. In ihrem auf Englisch erschienenen Papier analysiert Julia Schuetze den Status quo der Cybersicherheitsstrategien von EU und USA. Darüber hinaus identifiziert sie Gemeinsamkeiten in den jeweiligen Ansätzen und dem Einsatz von bestimmten Instrumenten. 
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Stellungnahme zum Referentenentwurf „IT-Sicherheitsgesetz 2.0“: Cybersicherheit nimmt auch in Deutschland gerade mit Hinblick auf die Bundestagswahlen im nächsten Jahr eine besondere Stellung ein. Der Gesetzgeber hat sich für eine Neuauflage des IT-Sicherheitsgesetzes entschieden, an dem bereits seit fast zwei Jahren gearbeitet wird. Der aktuelle Entwurf des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat in der Fassung vom 09.12.2020 wird der Meinung von Sven Herpig und Jan-Peter Kleinhans nach jedoch noch nicht den Anforderungen der aktuellen Gefährdungslage gerecht. Neben einer umfassenden Analyse des Gesetzesentwurfs mahnen sie zur Einhaltung des Koalitionsvertrages und formulieren weitreichende Empfehlungen, wie einer Evaluierung des vorangegangenen Gesetzes.  
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Gemeinsam mit John Lee (MERICS) erklärte Jan-Peter Kleinhans im Beitrag für The Diplomat die Relevanz des Halbleiterherstellers Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) in der globalen Halbleiter-Lieferkette. Die Vormachtstellung dieses Unternehmens in der Auftragsfertigung modernster Chips könnte eine wichtige Rolle im andauernden Konflikt zwischen China und Taiwan spielen, so die Autoren. Im ersten von zwei Teilen widmen sie sich der Entwicklung von TSMCs als zentraler Akteur der weltweiten Halbleiterindustrie. Der zweite Teil analysiert die Strategie Chinas und welche Rolle die Vormachtstellung von TSMC bei den Planungen einer Annexion Taiwans spielen könnte. 

 

Technologische Erinnerungen

Seit Generationen beschäftigt Kinder auf der ganzen Welt die Frage, wie der Weihnachtsmann es eigentlich schafft, alle Menschen am selben Tag zu beschenken. Das Nordamerikanische Luftverteidigungskommando (NORAD) liefert eine Antwort auf die Frage: Auf ihrer Webseite kann man ab dem 23. Dezember live verfolgen, wie Santa Claus um die Welt fliegt. Das Programm gibt es bereits seit 1955, als es der Legende nach durch die Werbeanzeige einer amerikanischen Kaufhauskette entstand. Auf der Werbung war die Telefonnummer des Weihnachtsmanns abgedruckt, durch einen Zahlendreher landeten einige der Kinder, die dort anriefen, aber stattdessen im Büro der Vorgängerorganisation von NORAD. Colonel Harry Shoup nahm das Telefon ab und spielte mit, indem er den Kindern verriet, wo Santa sich gerade aufhielt. Gefunden von Johanna Famulok

Kontakt:
Johanna Famulok

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