Rettet die Blockchain-Revolution für die Energiewende

Hintergrundgespräch

Blockchain sorgt seit einiger Zeit für großes Aufsehen. Verschlüsselte Peer-to-Peer Netzwerke machen den Mittelsmann für jegliche Art von Transaktion obsolet. Von einer basisdemokratischen Revolution ganzer Branchen ist die Rede. Nach der Finanzbranche nehmen junge Startups mit Blockchain Know How nun die alteingesessenen Player der Energiewelt ins Visier. So könnten z.B. durch Direkthandel einzelner Verbraucher und Erzeuger untereinander der Energieversorger gänzlich überflüssig werden.

Grid Singularity ist eines dieser Startups, das die Regeln der Energiewelt neu schreiben will. Neben Blockchain-Anwendungen für den Energiebereich hat Grid Singularity auch die Event Horizon Konferenz initiiert, auf der im Februar die hellsten Köpfe der Blockchain-Szene mit Vertretern der Energiebranche zusammenkommen.

Im Energiebereich haben die Alteingesessenen schneller reagiert als die Banken und starten nun proaktiv eigene Blockchain-Projekte. Doch von der regelverändernden “Grassroots-Revolution” spürt man bisher nicht viel. Vielmehr wird Blockchain nur zur Digitalisierung bestehender Mechanismen und Geschäftsmodelle eingesetzt. Das vielversprechende Potential der Technologie droht dadurch in alten Strukturen unterzugehen.

Wie die Blockchain-Revolution im Energiebereich gerettet werden kann, darüber diskutieren Ewald Hesse (Gründer von Grid Singularity) und Fabian Reetz (Projektleiter digitale Energiewende) im Rahmen eines Hintergrundgesprächs.

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Transkript der Veranstaltung

 

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Es handelt sich um das Transkript des Hintergrundgesprächs mit Ewald Hesse vom 12.1.2017 in der Stiftung Neue Verantwortung. Die anschließenden Publikumsfragen und die Diskussion sind nicht Teil des Transkripts. Zur besseren Lesbarkeit wurden Änderungen im Text vorgenommen. Zitate sind nur in Absprache mit dem Gast möglich.

- Beginn des Transkriptes -

Fabian Reetz: Wir freuen uns sehr, heute Ewald Hesse hier zu haben. Er ist der Gründer und CEO von Grid Singularity. Grid Singularity ist eines der Start-Ups, die sich jetzt aufmachen, um unsere Energiewelt auf Basis der Blockchain-Technologie durchzurütteln.

Vielleicht möchtest Du Dich einfach kurz vorstellen und, was denn die Blockchain für Dich eigentlich bedeutet.

Ewald Hesse: Guten Abend. Danke für die Einladung. Ja, das ist zum ersten mal, dass ich die Blockchain ohne Bildschirm präsentiere. Normalerweise gilt das Sprichwort, wenn man beim Erklären mit den Armen wild fuchtelt, dann macht es keinen Sinn es zu erklären. Aber es wird wahrscheinlich so enden, ja.

Vielleicht nur kurz zu mir, ich habe Maschinenbau studiert in Konstanz und ein bisschen Programmieren in Hongkong – Artificial Intelligence, was man vor 15 Jahren so nennen konnte. Habe dann im Automotiv Bereich in Shanghai gearbeitet. Fünf Jahre in Wien bei ABB Business Development und dann bei der Andritz. Die Andritz macht Wasserkraftwerke.

Vor vier Jahren hat mich ein Freund angehauen und hat gesagt, lass uns doch eine Mining Rig aufbauen. Mining was? Und Bitcoin war irgendwo bei 70 Dollar. Damals gab es dazu nur auf ganz komischen Seiten ein paar Links, wie das funktioniert und so weiter. Es gab vielleicht zwei, drei Hardware Hersteller damals, man hat das noch mit Grafikkarten gemacht damals, da waren die Asic Chips noch nicht raus, die speziellen, die dafür gemacht worden sind.

Und als ich das White Paper durchgelesen habe von Satoshi Nakamoto, dem Erfinder, oder das war eigentlich eine große Gruppe gewesen, ist eines klar geworden, was diese Technologie macht. Sie zeichnet Informationen auf ohne dass eine dritte Partei diese im Nachhinein verändern kann. Hier kommen mehrere Technologien zum Einsatz: Da ist ein dezentrales Netzwerk und eine verteilte Datenbank. Die Transaktionen zwischen diesen Computern, die diese Datenbank aufrechterhalten, werden bestätigt durch einen spieltheoretischen Ansatz, wer es als erstes berechnet hat, der kriegt halt einen Gewinn. Und der Gewinn ist ein digitales Token namens Bitcoin.

Das wurde irgendwann vor acht Jahren als Experiment angefangen. Am Anfang hatte das Token keinen Wert. Irgendein Student in Stanford glaube ich war das, der hat dann irgendwann gesagt, ich zahle 10.000 Bitcoins demjenigen welcher mir eine Pizza zu kauft. Ein Student von Oxford hat ihm dann die Pizza bestellt und hat dafür 10.000 Bitcoins bekommen.

Und was mir aber klar geworden ist: Man kann eine Transaktion machen und beim Bitcoin System ist es nur eine Zahl, die von einem Konto zum anderen Konto wandert. Und diese Transaktion kann nie wieder rückgängig gemacht werden. Das heißt, wenn einmal etwas gespeichert ist, kann es nie wieder rückgängig gemacht werden und diese Rückgängigkeit, also ich sage mal, der Wert dieser Sicherheit, ist dargestellt durch den gesamten Wert des gesamten verteilten Netzwerkes. Also wir sind jetzt bei Bitcoin ungefähr 16 Milliarden wert, das heißt, man kann ungefähr den Sicherheitswert des gesamten Systems so bewerten. Das heißt, wenn jemand versuchen würde es zu hacken, wäre es enorm teuer.

Ja und dann wurde mir klar, warte mal, wenn das jemand weiter entwickelt, weil das ist ja alles komplett open source, also das ist sogar ohne Lizenz open source, ja. Da ist kein Linux oder irgendeine Lizenz dahinter. Damals gab es so vielleicht zehn Leute, die diese Kerntechnologie weiter entwickelt haben, das waren hauptsächlich die Amerikaner und es waren auch ein paar Europäer mit dabei und ich sage wir müssen zu denen hingehen, weil wenn die nicht nur eine Zahl von links nach rechts schieben können, sondern wenn wir das mit jeder Art von Information machen können und wir das vielleicht an Hardware anbinden können, dann können wir vielleicht ein realistischeres Abbild von der Physik machen, als es gerade passiert im Strommarkt.

Und dann brauchen wir nicht diese ganzen Entitäten, die immer Vertrauen von links nach rechts verschieben oder Vertrauen schaffen durch ihre Stempel. o sind wir um die Welt geflogen und haben halt die ganzen Kerntechnologie-Entwickler gefragt, wer diese Technologie interessiert ist weiter zu entwickeln? So, dass wir nicht nur Zahlen sondern auch jegliche Informationen von links nach rechts verschieben können und unterschiedliche Werte dran packen können?

Dann sind irgendwie drei, vier neue Projekte aufgepoppt, das eine hieß damals Master Coin und Colored Coins. Und dann hat mich jemand darauf hingewiesen: Du schau' mal, da ist ein 18-jähriger, der heißt Vitalik und der hat das White Paper zu Ethereum geschrieben und ich habe mir das White Paper durchgelesen und das war genau das, was wir wollten. Er war damals 18, ich meine 18 ½, Entschuldigung! Und ich habe den dann irgendwo in einem Camp getroffen, das war so was ähnliches wie ein Hippie Camp und habe versucht zu erklären, wo das hingeht. Er hat im Grunde damals von der großen weiten Geschäftswelt überhaupt keine Ahnung gehabt. Für ihn war es einfach nur rein mathematisch, wie kann ich etwas lösen, wie kann ich jegliche Transaktion machen, wie kann ich auch einen dezentralen Computer machen, der nirgendwo angreifbar ist.

Vitalik war seiner Zeit weit voraus. Keiner wusste genau, was Ethereum ist, aber für uns hat es genau gepasst. Und wir haben ihn nach Wien eingeladen, er ist dann ein halbes Jahr später nach Wien gekommen und da hatte sich schon eine Gruppe um ihn entwickelt. Vitalik war jetzt mittlerweile schon auch im Time Magazine, ein berühmter Mensch. Jetzt ist er 22 und er ist ein wunderbarer Architekt, ein Software-Architekt. Der schlussendlich den Kern der Geschichte dann in die Software umgewandelt hat, das war der Gavin Wood.

Gavin Wood war der CTO der Ethereum Foundation und mit Gavin haben wir dann irgendwann einfach einen vertragslosen Deal gemacht: Ich bringe euch Strom bei und ihr bringt mir bei, was ihr da bastelt. Und als wir das halt zwei Jahre lang gebastelt haben oder wirklich programmiert haben, sind wir um die Welt geflogen und ich habe ihm gezeigt, wie der Strommarkt sich von komplett national bis komplett privatisiert entwickelt hat, wie das Unbundling passiert und welche Regulierungen und welche neuen Geschäftsmodelle dann entstehen.

Wir sind dann einfach alle Geschäftsmodelle durchgegangen, an jedem Unbundling Stage und haben geschaut: Können wir etwas machen, was anwendbar ist in jedem Unbundling Stage? Und wir sind über 20 Businessmodelle gestolpert. Und natürlich nach jedem Businessmodell haben wir festgestellt: Zu riskant, die Technologie ist noch nicht da, Ethereum wird gerade gebaut, ab zum nächsten Pivot. Und so weiter und so weiter. Und zum Schluss war uns einfach klar, es geht noch nicht. Ethereum ist dann raus gekommen. Ethereum hatte zwischendurch mit einem Crowd Fund 18 Millionen geraised. Damals der drittgrößte Crowd Fund der Geschichte.

Ethereum ist dann vor eineinhalb Jahren live gegangen und wir hatten dann wirklich so viele Sachen, so viele Präsentationen, so viele Proof of Concepts gemacht und dachten, was machen wir jetzt mit dem Ganzen. Ethereum war zu langsam und zu transparent für Anwendungen im Strommarkt. Vielleicht kurz der Unterschied zwischen Ethereum und Bitcoin: Was Vitalik in der Architektur noch dazu gebaut hat, ist eine virtuelle Maschine. Jeder teilnehmede Computer stellt quasi einen Teil seiner Rechenkapazität diesem ganzen Netzwerk zur Verfügung und somit entsteht ein virtueller Computer – gebündelt durch diese ganzen virtuellen Maschinen.

Und dann haben wir gesagt: Wir schreiben diese Programme in Form von Smart Contracts, das ist tatsächlich das, was es aussagt, ja. Es ist einfach: Man nimmt einen Vertrag und man schreibt es auf einen Code. Und so konnte man Programme schreiben, die jeder einsehen kann, weil alles, was in diesem Computer ist, komplett transparent ist. Egal wem ich eine Überweisung mache, er könnte sofort meinen Kontostand einsehen. Also Privatsphäre ist furchtbar, ja, es ist alles komplett transparent.

Und es ist sehr langsam. Der Computer, der arbeitet jetzt mit theoretisch 30 Transaktionen pro Sekunde. Also wir haben jetzt glaube ich einen C64er mit 30 Hertz. Und alle Leute sagen, wir wollen das Ding für das Internet der Dinge benutzen. Das ist tatsächlich vielleicht vergleichbar mit einem Atari oder einem C64er, das ganze Ding, das ganze globale Ding.

Würden wir so etwas wie Visa ersetzen wollen, dann müsste das Ding schon irgendwie so 3000 Hertz machen, aber wir sind jetzt bei 30. Und das ist nur Visa. Und die Privatsphäre ist halt nicht da. Das war uns klar, weil wir die ganzen Business Modelle gebaut hatten. Wie sollten wir nun weitermachen? Uns wurde klar: Wir müssen in der Forschung weiter machen. Wir müssen den Weltcomputer schneller machen, wir müssen Privatsphäre reinbringen, wir müssen komplett alle SCADA-Protokolle reverse engineeren, diese ganzen Interoperabilitätsprobleme aus dem Strommarkt lösen. Das sind enorme Eintrittsbarrieren für Start-Ups um im Kraftwerksbereich oder im Automation Bereich etwas zu machen.

Fabian Reetz: Kannst Du vielleicht nochmal ganz kurz darauf eingehen, warum denn jetzt diese Technologie für den Energiebereich so wichtig ist? Bei Fintech-Unternehmen haben wir das verstanden. Okay, wir können super einfach Transaktionen machen und wir brauchen keine Bank mehr. Aber warum jetzt ausgerechnet im Energiebereich?

Ewald Hesse: Diese Frage erinnert mich an 1990, eine ähnliche Situation. Wir alle haben gefragt, warum wir das Internet brauchen. Aus heutiger Sicht ist die Antwort klar. Damals war es nicht klar. Wir sind jetzt mit der Blockchain im gleichen Stadium. Und es gibt noch keine AOL-CD, die uns damals das Internet beigebracht hat.

Wir haben uns für den Energiebereich entschieden, weil heute nahezu alle Entscheidungen im Strommarkt auf Daten basieren. Ob das jetzt Temperaturdaten, Kraftwerk-Performance-Daten oder etwas anderes ist. Diese Daten irgendwie in Echtzeit zu digitalisieren und da Wert drauf zu tragen: Ich glaube, da muss ich nicht mehr zu erklären, oder?

Was die Blockchain erlaubt, sind Werte zu übertragen. Man kann nicht kopieren in der Blockchain und das ist ideal. Das heißt, man kann im Grunde einen gesamten Prozess automatisieren – mit der Übertragung von Werten.

Fabian Reetz: Die meisten Energieexperten sehen das Peer-to-Peer Energy Trading als wichtigsten Anwendungsbereich für die Blockchain. Kannst Du kurz erklären, wie das auf einer Blockchain aussehen würde?

Ewald Hesse: Das war mit einer der ersten Use-Cases, die wir gemacht haben. Kurz bevor ich auf diese Frage eingehe: Diese meisten Start-Ups, die heute da draußen sind, haben alle früher zusammen in Gruppen gearbeitet. Sie haben sich aber alle in unterschiedliche Businessmodelle dann aufgesplittet. Und als wir dann quasi alle an den Start gegangen sind, ja, das war genau vor einem Jahr, dann hat das MIT uns eingeladen, zu präsentieren. Und jetzt sitzen wir schon hier. Es ist verrückt, was da passiert!

Wir haben damals gesagt, okay, wir demonstrieren einfach eine Transaktion. Wir haben eine staatliche Schule in Süd-Afrika gefunden. Die hatten Pre-Pay aber leider kein Geld. Wir haben dann einfach deren Meter angeschlossen. Wir haben dann ein Bitcoin Wallet auf den Meter programmiert, das hat zwei Stunden gedauert und wir haben eine Homepage gemacht, wo man einfach Strom für diese Schule spenden kann, die halt vorher keinen Strom bekommen hat.

Bei der Präsentation am MIT haben wir dann einfach Bitcoins überwiesen und 30 Sekunden später ist in der Schule das Licht angegangen. Und das war eine Spende, wo Geld rüber ging und Stromlieferung freigesetzt worden ist – ohne Transaktionsgebühren. Also eine Geld Transaktion von Boston nach Afrika – kostet circa 8%. Jetzt im Peer to Peer Energy Trading ist das genau das gleiche. Das heißt, das einzige, was man für ein Geschäft braucht ist: Ich verspreche dir etwas zu liefern und diese Versprechung messe ich irgendwo. Das heißt, ich habe irgendwo einen Meter, der misst das. Das heißt, ich mache quasi einen “I Owe You Token”, den wir hin und her handeln. Und der wird zerstört, wenn tatsächlich ein Signal eines bestimmten Sensors etwas erfüllt, zum Beispiel eine Kilowattstunde.

Und bei dem anderen wird es genauso gemessen: Verbraucht der das oder nicht. Und that's it. Und dafür musst du nicht mehr tun, als beide Meter an die Blockchain anzuschließen. Und das ist komplett offen, das kannst du gestalten wie du willst. Und da ein zu steigen, das kann jeder Full Stack Programmierer in zwei Stunden lernen. Man kann in zwei Stunden einen Smart Contract schreiben. Einfach einen Token machen wenn das Signal so viel gemessen hat und das ist nicht duplizierbar. Das heißt im Grunde ist dieses Beispiel Peer to Peer Trading einfach. Die größte Hürde ist die Regulierung. Beim Piloten in Brooklyn [Brooklyn Micro Grid] stand am nächsten Tag die Polizei vor der Matte. Und die mussten einen Waver unterschreiben. Das ganze war ein symbolischer Akt.

Fabian Reetz: Der Blockchain Use-Case aus Brooklyn ist in Deutschland sehr bekannt. Wäre denn das gleiche in Deutschland heute so möglich? Sagen wir mal im Prenzlauer Berg?

Ewald Hesse: Ich kenne mich in Deutschland in der Regulierung nicht so gut aus. Aber soweit ich es verstehe, wenn man seinen eigenen Bilanzkreis hat, kann man darin machen was man will, oder?

Okay. Ich könnte also als Community sagen: Wir machen unseren eigenen Bilanzkreis. Das Ziel, was was man als Bilanzkreisverantwortlicher hat ist, seinen Forecast und das Echte möglichst nah beieinander zu haben, so dass man keine Strafen zahlt. Weil da balanciert ja jemand. Alles machbar.

Fabian Reetz: Liest man aktuelle Studien, kann man das Gefühl bekommen: Elektrizitätsversorger werden dann irgendwann gar nicht mehr gebraucht. Andererseits sind es genau die Versorger, die viele Blockchain-Projekte starten. Die zentrale alte Welt und die dezentrale Blockchain-Welt scheinen aufeinander zu prallen. Ist das nicht paradox?

Ewald Hesse: Das ist eine sehr gefährliche Frage. Ich habe ja vorher auf der Lieferantenseite gearbeitet, also viele Energieversorger waren meine Kunden. Und wenn wir jetzt nur mal den erneuerbaren Markt anschauen – also mehr als die Hälfte sind private Besitzer von den erneuerbaren Investoren. Und wenn wir mit Energieversorgern sprechen, dann ist eine simple Frage da, was ist euer KPI, also euer Key Performance Indicator. Wenn man jetzt, ich sage mal, Netzbetreiber raus lässt, ja, dann ist es billig zu produzieren und teuer zu verkaufen. Diesen Prozess kann man jetzt in Smart Contracts komplett automatisieren, inklusive Bezahlung und Clearing. Und diese Revolution haben nicht wir gestartet, das hat die Software Branche schon vor Jahren gestartet.

Was jetzt neu dazu gekommen ist, ist dass wir auch die komplette Abwicklung der Bezahlung mit dazu machen und zwar in einem, Stromlieferung und Bezahlung in einem, in Echtzeit.. Warum die großen Energieversorger darauf springen? Da habe ich jetzt keine besondere Erklärung. Ich würde es auch machen an deren Stelle. Ich hätte es genauso wie die Banken gemacht, genauso wie die Versicherungsbranche, genauso wie die Automotiv Branche oder die Supply Chains – oder jede andere Branche. Ich glaube nicht, dass es ein besonderes Phänomen mit Energieversorgern ist.

Fabian Reetz: Wie war es denn damals, als ihr Grid Singularity gegründet habt? Sah so eure Vision so aus, dass alles Peer to Peer wird? Oder gab es da auch noch eine Rolle für die Energieversorger?

Ewald Hesse: Ich müsste schon ein eigenes Land haben, um so zu denken. So haben wir gar nicht gedacht. Wir haben uns wie ein Hammer gefühlt und alles sah aus wie ein Nagel im Strommarkt. Weil auf einmal alles enorm ineffizient für uns aussah und wir wussten nicht, wo wir anfangen sollten. Und das ist das Problem. Mit dieser Technologie hast du solche neuen interessanten Freiheitsgrade. Diese Freiheitsgrade erlauben uns nicht nur Wert zu übertragen, sondern auch Probleme zu lösen wie Privatsphäre, dezentraler Datenzugriff, Authentizität von Daten oder Micro Payments. Da kommen so viele andere Aspekte mit dazu, wo man auf einmal denkt, oh my God, das können wir alles viel effizienter machen.

Die Frage war eher, was ist die lowest hanging fruit. Wo fangen wir an und wo können wir als erstes Umsatz machen – denn wir sind ein Start-Up. Die zweite Frage, die dann kommt: Nein, wir wollen keinen inkrementellen Fortschritt machen. Wir wollen einen richtig radikalen Fortschritt machen. Und dann sagen wir, okay, überspringen wir die erste low hanging fruit, da gehen eh alle drauf, gehen wir auf was richtig radikales. Und das waren eher so die Gedanken damals. Dass es wirklich so einschlägt, wussten wir nicht. In unserem White Paper hatten wir im Grunde nur Ethereum 2.0 für den Strommarkt beschrieben. Wir hatten noch nicht mal einen Use Case beschrieben.

Uns war aber klar, dass wir auch mit Use Cases nicht launchen konnten. Denn da ist keine dezentrale Technologie, die einen Megahertz Leistung hat und wo Privatsphäre eingebettet ist. Das gab es nicht. Deswegen war uns klar: Wir müssen die Kerntechnologie machen. Und das ist eine riesen Herausforderung. Die hätte ich niemals angetreten, wenn wir in unserem Team nicht die Kernentwickler von Ethereum an Board hätten. Die hatten die Vision, wie wir da hinkommen.

Aber was vielen da draußen dabei nicht klar ist, vor allem den großen Konzernen: Man kann das nicht beauftragen wie Standard-Softwareentwicklung. Wir sind mitten in einem riesigen Experiment. Ethereum war geplant in einem halben Jahr zu bauen. Es hat viel länger gedauert und sie waren allein fünf Monate im Beta. Es gab Probleme genauso wie es bei Bitcoin am Anfang Startprobleme gab

Ob wir tatsächlich zu unseren 1000 Hertz und dann zu einer Million Transaktionen nach unserem Plan in zwei Jahren kommen oder ob wir tatsächlich in zwei Jahren da sind? Ja, das ist tatsächlich ein riesiges Experiment. Eigentlich betreiben wir Forschung.

Fabian Reetz: Oft bekomme ich das Gefühl, Blockchain Projekt werden gemacht, damit Blockchain drunter steht. Brauchen wir wirklich alle diese Blockchain Anwendungen oder kann das auch ein cleveres SAP machen?

Ewald Hesse: Ich empfehle jedem Start-Up, was irgendwie keine Traction hat, zu behaupten: Da ist Blockchain drin. Dann hast du Traction.

Fabian Reetz: Das würde also dafür sprechen.

Ewald Hesse: Nein, ich möchte dem Start-Up einfach nur helfen. Das muss jeder für sich selbst entscheiden, aber die einzig kritische Frage ist, was macht ist das Business Model und warum ist Blockchain hier von Vorteil. Man sieht einige Beispiele, wo das nicht notwendig ist. Es gibt etliche Leitfäden: Arbeite dein Businessmodell durch diesen Leitfaden, wenn du immer noch zu dem Fall kommst, dann brauchst du eine Blockchain, also dann hast du eben viele Einsparungen. Wenn nicht, dann nicht.

Fabian Reetz: Wie viel Prozent von diesen Projekten sind Hype und wie viele nicht?

Ewald Hesse: Vielleicht dazu eine Analogie. Wir haben vielleicht 50 Workshops gemacht in den letzten vier Jahren. Es waren vielleicht insgesamt hundert Leute involviert. Wir haben alles auf Video aufgenommen. Daraus haben sich sechs Start-Ups gebildet. Am 14. und 15. Februar wird es in Wien eine Veranstaltung Namens Event Horizon 2017 geben. Da haben sich bereits 100 Start-Ups angemeldet. Das alles in einem Jahr. Und da kommen nur Energy Blockchain Start-Ups.

Use-Cases sind jetzt mittlerweile dokumentiert. Von diesem gibt es insgesamt fünf Studien, die um die Welt schwirren. In den nächsten drei Wochen kommen noch einmal drei neue Studien heraus. Da gibt es akkumuliert vielleicht 200 Use Cases. Ich rechne im nächstes Jahr mit 200 bis 400 Start-Ups. Das ist ein irre schnell wachsendes Feld.

Fabian Reetz: Du hattest vorhin das Beispiel mit Afrika gebracht. Das ist ja nun ein bisschen ein anderes Gebiet. Viele Länder in Afrika überspringen ganze Technologie-Generationen. Bitcoin ist dort zum Beispiel eines der gängigsten Zahlungsmittel, weil Leute einfach keinen Zugang zu einem Konto haben. In Deutschland und den entwickelten Industriestaaten haben wir sehr komplexe Strukturen. Könnten wir deshalb womöglich irgendwann als Erfinder der Energiewende ins Hintertreffen geraten? Oder passiert uns das so schnell nicht?

Ewald Hesse: Für unsere Workshops haben wir ganz konkret Länder wie Georgien ausgesucht. Georgien ist kurz vor der Unbundling Stufe. Und das heißt, die denken über das Bilanzkreissysteme oder das amerikanische System nach. Costa Rica ist auch enorm innovativ. Chile ist eines der fortschrittlichsten Märkte, da ist bereits alles privatisiert. Und Südafrika im Gegenteil. Dort ist alles nationalisiert.

Da wird es mit Sicherheit auf einen Frog Leap hinauslaufen. Als Alternative stehen nur Systeme welche in den Entstehungs-Ländern bereits veraltet sind. Die Systeme kommen nicht ja von alleine, sondern da ist eine Weltbank oder eine KfW, die das auch finanziell unterstützt. Wir haben enorm viele Anfragen im Nachhinein von diesen Ländern bekommen, also aus Ministerien.

In vielen dieser Ländern ist es einfacher, eine Regulierung durchzubringen. Es sind nicht so viele Leute, mit denen man sprechen muss und die Probleme sind viel größer. Alle die im Pensionsalter in Entwicklungsländern sind, können sich kaum den Strom leisten, um zu heizen. Dort hast du sofort mit einer Problemlösung überzeugt. Und deswegen kamen aus diesen Ländern viel mehr Anfragen.

Wie gesagt: wir sind noch am Anfang des Experiments. Und wenn man die Kern Entwickler fragt: Eine Million Transaktionen und Privatsphäre – wann wird das verfügbar sein? Zwei bis fünf Jahre? Aber es könnte auch schneller passieren.

Fabian Reetz: Sind das dann auch die Orte, wo zukünftig solche Lösungen entwickelt werden und die Proof of Concepts stattfinden?

Ewald Hesse: Also wir haben etliche Partner, das ist einmal Solar-Hersteller, Inverter-Hersteller und diverse Silicon Valley Firmen, ganz berühmte darunter. Vielen von diesen schauen jetzt gerade alle unter dem Aspekt Energy Access auf alle Entwicklungsländer wo es noch keinen Strom gibt. Da sind unterschiedliche Businessmodelle dahinter. Manche dieser Firmen handeln mit Daten. Manche möchten einfach Produkte verkaufen. Wenn man in ein Dorf rein geht mit 10.000 Leuten und da ist kein Strom vorhanden und man bringt Strom dahin, möchte man das auf die billigste Variante machen. Weil dadurch erschließe ich ja einen neuen Markt. Zum Beispiel durch Daten. Allein in Afrika gibt es in den nächsten zwei Jahren eine Milliarde neuer User per Smartphone.

Und wir sehen einen enormen Druck aus dieser Branche, in diesen diversen Entwicklungsländern, die wiederum zu uns kommen und fragen: Hey, könnte man nicht so eine Lösung bauen? Also das wird wahrscheinlich um Ecken gehen.

Fabian Reetz: Deutschland ist ja auch nicht untätig, was das Thema Digitalisierung der Energiewende angeht. Es gibt das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende. Und es gibt den ganzen Prozess zum Strommarkt 2.0. Blockchain ist darin bisher vollkommen unberücksichtigt geblieben. Verbauen wir uns da jetzt gerade etwas, wenn wir nun Gesetze machen, ohne Blockchain mitzudenken?

Ewald Hesse: Ihr habt das vielleicht alle selber festgestellt: Wenn jemand euch versucht die Blockchain zu erklären, ist das erste was passiert ein Self-Disruption-Prozess. Man versucht sich vielleicht irgendwo rein zu lesen, dann werden einem die Freiheitsgrade klar und dann rattert es so ein bisschen und dann auf einmal, Aha! Eure Aufgabe wäre es, dies in die Politik zu bringen.

Die Betrachtungsweise ändert sich komplett. Wir betrachten das Netz aus der Dirigenten Sicht. Die Smart Meter wurden ausgerollt auf Druck der Energieversorger und Hardware Hersteller mit unterscheidlichen bekannten Motivationen. Der Kunde stand nicht im Fokus und man überlegt bis Heute wie man den Kunden dazu bringt das alles ohne Murren zu bezahlen. Diese Technologie rückt aber den Kunden komplett in den Fokus. Das heißt, diese Technologie lässt sich verkaufen komplett über den Vorteil für den Kunden.

Das heißt, wir können einen Smart Meter machen, wo wir einen Private Key als hard coded Chip einbetten und nur dieser Smart Meter Besitzer, also nur der Hausbesitzer, ist Besitzer der Daten und er entscheidet welche Daten er mit wem teilt. Da gibt es keine dritte Partei, die bestimmt wer die Daten kriegt, sondern tatsächlich der Datenbesitzer. Und dann fangen wir schon bei der Diskussion an, wer ist der Datenbesitzer.

Da werden so viele Themen aufgerollt. Es geht um Security, weil in diesem System hast du keinen Single Point of Attack. Das heißt, diese Security Leaks auf der privaten Ebene, da ist nichts sicherer geworden. Aber ein Gruppenattack, der viel gefährlicher ist, zum Beispiel wenn es einen Smart Meter Produzenten gibt, der seinen Firmenname als Passwort verwendet, was ja auch vorgekommen ist, wird es nicht mehr geben. Weil es einfach eine Public Key Infrastructure ist.

Security, Privatsphäre, Datentausch: Das sind so viele schwerwiegende Themen in der Politik, ich wüsste gar nicht wo man anfangen muss. Man müsste seinen Standpunkt ja komplett ändern. Wir müssen das nicht erzwingen. Der Energie Markt geht sowieso in die Dezentralisierung. Jetzt brauchen wir aber das richtige System, um diese Dezentralisierung tatsächlich managen zu können. Das dezentrale Blockchain System passt wie die Faust aufs Auge.

Fabia Reetz: Eigentlich haben wir das Konzept vor uns liegen. Wir müssten nur einen Neustart wagen. Ist das richtig?

Ewald Hesse: Absolut. Wenn es nach mir ginge, müsste man sofort alle Start-Ups in ein Zimmer mit der Politik setzen und zeigen, was da funktioniert. Und zwar mit harten Fakten, also mit richtigen Use Cases, die tatsächlich funktionieren. Weil wir haben einen massiven Vorteil. Das Rennen hat ungefähr vor zwei Jahren begonnen in dieser Technologie. Die größten Investoren auf der Welt sind die Chinesen. Wir sind noch recht dahinter in Deutschland. Sehr, sehr dahinter.

Bei uns haben viele Chinesen angerufen, mit einer irren Valuierung. Natürlich mit Konditionen und so weiter, dass wir halt da rüber ziehen. Viele wissen aber nicht, das Ethereum ein europäisches Baby ist. Und die Hauptstadt von Ethereum ist Berlin. Die meisten Entwickler sitzen hier, das ist gerade ein Magnetpunkt für die Ethereum Entwickler. Und die VC's und die ganzen Angels verstehen nicht was da abgeht, die kommen nicht hinterher.

Fabian Reetz: Ich glaube, das ist ein guter Zeitpunkt, um die Diskussion zu öffnen.

- Ende des Transkriptes -

Mit: 

Ewald Hesse (Gründer von Grid Singularity)

Datum: 
12.01.2017 - 18:30 bis 20:30