Verzerrte Realitäten: „Fake News“ im Schatten der USA und der Bundestagswahl

Studie

Dieses Papier ist der zweite Zwischenbericht aus unserem Projekt „Measuring Fake News“. Er fasst die zentralen Erkenntnisse aus den Befragungsdaten, die nach der Bundestagswahl erhoben wurden, zusammen und schließt an das erste Papier „Deutschland vor der Bundestagswahl – Überall Fake News?“  an, in dem „Fake News“ definiert, als Problem verortet und erste Erkenntnisse aus der Analyse von „Fake News“ innerhalb der Online-Öffentlichkeit vorgestellt wurden.

Vor der Bundestagswahl gab es große Sorgen, ob „Fake News“ die Wahl beeinflussen würden. Nun liegen erstmals Zahlen vor, wie die deutschen Wähler das Phänomen „Fake News“ nach der Bundestagswahl einschätzen. Aus der direkt in der Woche nach der Wahl durchgeführten Umfrage wird auch ersichtlich, wie gut unterschiedliche Bevölkerungsgruppen Fake News erkennen und welche Rolle dabei die Glaubwürdigkeit einzelner Medien oder die Parteizugehörigkeit spielen.

Bereits in den letzten Wochen vor der Bundestagswahl gaben Sicherheitsbehörden, Fact-Checking-Institutionen und Wissenschaft  nach und nach Entwarnung, dass es bei Weitem in Deutschland nicht so viele Fake News gab, wie zuvor befürchtet. Dem einhelligen Tenor der Factchecking-Institutionen nach, vom Faktenfinder der ARD bis zu Correctiv, gibt es auf die Frage, ob es „die“ eine große Fake News gab, die den Wahlkampf beeinflusst hat, ein klares „Nein“. Auch die große Fake-News-Schwemme blieb aus.

Dies hat großenteils damit zu tun, dass Deutschland schlicht einen anderen Nährboden für Fake News bietet als bspw. die USA: So sind die aktuell erhobenen Glaubwürdigkeitswerte „der Medien“ weiter gut – und dennoch hatte ein Großteil der Bevölkerung den Eindruck, dass viele „Fake News“ im Wahlkampf in den Medien verbreitet wurden – 1/3 der Wähler geht sogar von einem großen Einfluss auf die Wahl aus. Ein Zerrbild? Es kommt darauf an.

Festzuhalten ist, dass die Aufregung um mögliche Desinformation, die Einfluss auf die Wahl nehmen könnten, groß war und die Berichterstattung bis zur Wahl begleitete: Vor allem auch, weil das Thema in den USA weiter nicht zur Ruhe kommt (vermutlich solange Donald Trump im Weißen Haus sitzt). Dabei wird in der Medienberichterstattung selten zwischen den verschiedenen Bedeutungen des Phänomens „Fake News“ in den USA und hierzulande sowie den jeweiligen Spezifika des Medien- und Politiksystems differenziert. Dies ist jedoch unerlässlich für das Verständnis und die Bedeutung des Themas.

Schaut man allein auf die Suchanfragen bei Google Trends, sieht man, dass „Fake News“ ein Dauerthema bleibt – selbst im Wahlkampf nimmt es mehr Raum ein als wichtige Wahlkampfthemen wie die „Mietpreisbremse“ oder „Soziale Gerechtigkeit“. In einer der SNV vorliegenden noch unveröffentlichten Studie von Daniel Moßbrucker, der für Reporter ohne Grenzen intensiv zum NetzDG gearbeitet hat, wird ersichtlich, dass sich die Berichterstattung zu Fake News über die erste Hälfte des Jahres 2017 kaum wandelt und die dramatisierenden Narrative aus dem Eindruck der US-Wahl heraus die Debatte dominieren.

Google Trends - Fake News im Vergleich zu anderen Themen

Die klassischen Fake News hierzulande bewegen sich meist unter dem Radar der Öffentlichkeit, fast immer geht es um Themen wie „Flüchtlinge“ oder „Innere Sicherheit“ und besonders erfolgreich laufen sie in all den Kommunikationsräumen, in denen der Journalismus heute in der digitalen Welt nicht mehr vollends hineinreicht – das betrifft geschlossene Gruppen und offene Timelines auf Facebook genauso, wie Foren und Blogs – und zwar überwiegend weit rechts der Mitte. Beim Konsum von Medien geht es in der Regel viel um das „Vermeiden kognitiver Dissonanz“ – in den Kommunikationsräumen von Social Media wird man noch kreativer – was nicht ins Weltbild passt wird mitunter passend gemacht. Heißt: Wenn die Realität selbst nicht schlimm genug ist, müssen halt „Fake News“ herhalten, damit sie es wird. Wie „egal“ dann in der politischen Kommunikationsarbeit der Unterschied zwischen „wahr“ und „falsch“ ist, zeigt ein Zitat von Christian Lüth, dem Pressesprecher der AfD gegenüber dem Faktenfinder, auf die Frage hin, warum Fake News von der AfD bewusst geteilt werden: „Wenn die Message stimmt, ist uns eigentlich egal, woher das Ganze kommt oder wie es erstellt wurde. Dann ist es auch nicht so tragisch, dass es Fake ist.“

Die Realität als Pippi-Langstrumpf-Prinzip: „Ich mach mir die Welt, widewide-wie sie mir gefällt.“ Doch der Reihe nach. Um das Phänomen Fake News zu erklären, haben wir eine Befragungsstudie an die Analyse, wie sich Fake News in der Online-Öffentlichkeit verbreiten, angeschlossen. Die erhobenen Daten sind für alle Interessierten öffentlich einsehbar. Mit Kantar Public, Institut für Politik- und Sozialforschung, wurden repräsentativ 1.037 Wähler telefonisch in der Woche nach der Bundestagswahl befragt, welche Medien sie im Wahlkampf genutzt haben, wie sie die Glaubwürdigkeit dieser einschätzen und ob sie ausgewählte „Fake News“ glauben oder nicht.

Die Deutschen halten die Medien für glaubwürdig, doch bei Weitem nicht alle

Glaubwürdigkeit der Medien (in Prozent)

Basis = 1.037 Befragte, im Fokus: B90/Grüne-Wähler (87), AfD-Wähler (69), Nichtwähler (95)
Frage „Wenn Sie an die Medien in Deutschland und deren Berichterstattung über wichtige Dinge, wie
z.B. Umweltprobleme, Gesundheitsgefahren oder politische Skandale denken. Halten Sie die Medien in
Deutschland dann alles in allem für ...?“

 


Es ist kein neuer Befund für die Bundesrepublik, die Medien erhalten gute Glaubwürdigkeitswerte – die überwiegende Zahl der Menschen in Deutschland befindet „die Medien“ für glaubwürdig (63 %). Unter denen, die das nicht tun, ist es bei Wählern mit Hauptschulabschluss jeder Zweite – bei den Akademikern jeder Vierte. Die stärkste Sollbruchstelle verläuft allerdings zwischen den Wählern verschiedener Parteien: Ist die Glaubwürdigkeit der Medien bei den Wählern von CDU bis Grünen (letztere sind beispielshaft in der Grafik abgetragen) überdurchschnittlich hoch, sieht das Bild für Wähler der AfD und auch der Nichtwähler diametral anders aus. Ganze 70 % der von uns befragten AfD-Wähler halten die Medien für wenig glaubwürdig bis unglaubwürdig. Und auch bei den Nichtwählern geht die Tendenz in der Summe eher zur geringen Glaubwürdigkeit.
Da der Begriff „die Medien“ eher unkonkret ist und wohl mehr ein diffuses institutionelles Vertrauen ins Mediensystem misst, lohnt sich die Aufschlüsselung nach einzelnen Medientypen, um zu konkretisieren: Über alle Befragten hinweg genießen hier die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten auch weiter die größte Glaubwürdigkeit (77 %), bei den Jüngeren (18-34jährigen) kommen aber auch Online-Nachrichtenseiten wie Spiegel Online oder Tagesschau.de auf sehr hohe Werte (78 %). Schlusslicht wiederum bei allen: Boulevardzeitungen (9 %) und Social Media (8 %).

Auffällig und durch die Historie erklärbar: Im Osten der Republik ist die Glaubwürdigkeit aller Medienformen deutlich geringer. Der öffentlich-rechtliche Hörfunk (West 73 % glaubwürdig, Ost 56 %), Tageszeitungen (West 70 %, Ost 46 %), Wochenzeitungen (West 66 %, Ost 40 %) – bei Ihnen sind die Unterschiede besonders groß. Die Werte bei den AfD-Wählern sind noch drastischer: Gerade das öffentlich-rechtliche Fernsehen halten nur 36 % von ihnen für glaubwürdig (zum Vergleich die Wähler der Grünen: 95 %).

Wichtigstes Medium zur Information im Wahlkampf (in Prozent)

Basis = 1.037 Befragte, im Fokus: 18-34 Jährige (238), AfD-Wähler (69), nicht ausgewiesen:
„Sonstige“ (7 %, darunter Boulevardzeitungen, Wochenzeitungen, privates Radio,
andere Nennungen, keine Angabe)
Frage „Und wo, also in welchem Medienangebot, haben Sie sich vor der Bundestagswahl
hauptsächlich über den Wahlkampf informiert?“ (Die Frage wurde im Anschluss an die Frage
zur Mediennutzung gestellt)

 

Was die Mediennutzung betrifft, wird die Bundesrepublik zunehmend onlineaffiner, auch wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen insgesamt Hauptinformationsquelle im Wahlkampf bleibt. Gerade bei den Jüngeren (18-34 Jahre) haben die Online-Nachrichtenmedien (38 %) längst das Fernsehen (20 %) verdrängt. Tageszeitungen spielen hier nur noch eine marginale (2 %) Rolle.

Auch die Gruppe der AfD-Wähler weicht in der Mediennutzung erheblich von den Wählern anderer Parteien ab: Social Media ist für sie viel bedeutender als bei allen anderen, 17 % haben sich gleich gar nicht über die Medien zum Wahlkampf informiert. Und dennoch spielt das öffentlich-rechtliche Fernsehen (27 %) auch bei den AfD-Wählern nach wie vor die größte Rolle. Unter ihnen gibt es zwei Gruppen: Es gibt diejenigen, welche die Glaubwürdigkeit von gewissen Medienformen für so gering halten, dass sie diese gleich gar nicht nutzen und diejenigen, die sich mit der täglich erlebten kognitiven Dissonanz auseinandersetzen. Dennoch sieht man gerade bei den Wählern von AfD – und auch den Linken –, dass man sich verstärkt alternativen Medienangeboten (wie Epoch Times, RT Deutsch, etc.) widmet (alle Befragten 8 %, AfD 19 %, Linke 18 %). Auch die sozialen Netzwerke, auf denen die rechtspopulistischen Parteien besonders aktiv sind, werden dementsprechend vor allem von AfD-Wählern (48 %) sogar täglich genutzt (alle Befragten: 28 %).


Trotz weniger Fake News – überall Fake News?

Verbreitung von Fake News im Wahlkampf? (in Prozent)

Basis = 1.037 Befragte, im Fokus: Medienkritische (337), 18-34 Jährige (238)
Frage „Haben Sie den Eindruck, dass im Wahlkampf viele falsche Nachrichten,
sogenannte ”Fake News” in den Medien verbreitet wurden?“


Den bisherigen Befunden zur überschaubaren Verbreitung von Fake News zum Trotz, ist die Wahrnehmung eine andere: 61 % aller Befragten gaben an, dass sie den Eindruck haben, dass viele „Fake News“ im Wahlkampf durch die Medien verbreitet würden. Darüber hinaus gibt es auch starke Wirkungsannahmen: Immerhin gehen 30 % von einem großen Einfluss von Fake News auf die Bundestagswahl aus, auch wenn der überwiegende Teil der Befragten (55 %) nur von einem geringen und 12 % von keinem Einfluss ausgehen. Bei den Medienkritischen und bei den Jungen ist dieser Eindruck besonders verbreitet. Bei der Gruppe der Jungen ist anzunehmen, dass dies viel mit ihrer Mediennutzung zu tun hat. Social Media ist zwar als Medium in der täglichen Nutzung bedeutend, doch nicht als Quelle für politische Information. Ihr Umgang mit ihnen ist hingegen kritisch: So werden die sozialen Medien mit Abstand als am wenigsten glaubwürdig bewertet. Auch bei den Medienkritischen gibt es einen Zusammenhang – wer die Medien nicht als glaubwürdig ansieht, sieht auch mehr „Fake News“, vermutlich auch, weil der Begriff anders verstanden wird: dazu gleich.

Doch warum unterscheidet sich die Wahrnehmung der Realität der Befragten so stark von denen, die „Fake News“ entweder journalistisch in den Factchecking-Institutionen bekämpfen oder sie versuchen zu messen? Eine Erklärung ist, wie durch die Google Trend-Daten deutlich wird, die dauerhafte mediale Präsenz des Themas mit Fokus auf den USA. Sind Themen in den Medien dauerhaft zugegen, wird ihnen zwangsläufig eine Bedeutung eingeräumt: eine klassische Erkenntnis des sogenannten „Agenda Settings“ (= Themensetzung).

Auch ist der Begriff noch immer für viele wie ein Schwamm, der alles mögliche aufsaugt, aller Definitionsbemühungen zum Trotz. Trump und andere Populisten nutzen „Fake News“ als Kampfbegriff gegen die ihnen gegenüber kritischen Medien wie CNN oder die New York Times, in der Diskussion um die Rolle von Facebook im amerikanischen Wahlkampf sind „Fake News“ vor allem als verdeckte russische Propaganda in Form von Dark Ads und Microtargeting unterwegs, in der deutschen Debatte wird der Begriff zuweilen mit „Hate Speech“ vermischt. Analytisch gesehen sind „Fake News“ dabei vor allem als vorwiegend gezielt verbreitete falsche Informationen als Teil der Kommunikationsstrategie der Rechtspopulisten – sogenannte Desinformation – auf Social Media zugegen. In der Debatte versuchen unterschiedliche Kräfte den Begriff in ihrem Sinne zu deuten. Um der politischen Aufladung des Begriffs zu entgehen, nutzt beispielsweise das Oxford Internet Institute den Begriff „Junk News“. Ob die Vermeidung des Begriffs hilfreich ist, ist fraglich. Im journalistischen Umgang empfiehlt sich daher eine definitorische Schärfung bei der Verwendung.

Die begriffliche Konfusion findet ihre Fortsetzung im Begriffsverständnis der unterschiedlichen Wählergruppen. Wer die Medien für nicht glaubwürdig hält und AfD wählt, wird unter „Fake News“ wohl eher – wie Donald Trump – die „Berichterstattung der Systempresse“ verstehen – kein Wunder, dass ausgerechnet AfD-Wähler demnach den stärksten Eindruck haben, dass es besonders viele „Fake News“ in der Öffentlichkeit gibt (72 %, das Mittel über alle Befragte liegt bei 61 %).

 

Das Pippi-Langstrumpf-Prinzip – geglaubt wird, was ins Weltbild passt

Für „wahr“ geglaubte (Fake) News im Wahlkampf (in Prozent)

Basis = 1.037 Befragte, im Fokus: AfD-Wähler (69), B90/Grüne-Wähler (87)
Frage „Im Folgenden lese ich Ihnen einige Nachrichten vor, die im Wahlkampf in den Medien
diskutiert wurden. Können Sie mir bitte zu jeder dieser Nachrichten sagen, ob sie Ihrer Meinung
nach wahr oder falsch ist? Wie ist das mit...“.

 

Im ersten Teil unseres Projekts haben wir mithilfe der Fact-Checking-Institutionen Fake News identifiziert und durch die Online-Öffentlichkeit verfolgt. Die reichweitenstärkste haben wir in die Befragung übernommen. Nun verschmelzen, wie in der Grafik sichtbar, „Wahrnehmung“, „Wissen“ und „Einstellung“ zu einer diffusen Wirklichkeit. Versteht man – vom Weltbild ausgehend – die Wähler der Grünen und die der AfD als zwei gegensätzliche Pole, ist die Frage nach dem Wahrheitsgehalt einer Nachricht auch eine Frage nach der „Einstellung“ des Wählers, die wiederum in Abgleich mit der Einschätzung danach, wie wahrscheinlich eine Nachricht auch real sein könnte, zur Antwort über ihren Wahrheitsgehalt führt. In den Zahlen, welche Fake News für wahr und für falsch gehalten werden, verbergen sich nun die viel diskutierten Echokammern.

Bei den von uns abgefragten Fake News, die unmittelbar das Thema Migration berühren (Fake News 2-4 und 7), sieht man den Unterschied zwischen den beiden Entitäten deutlich: Die Wähler der AfD beurteilen alle der genannten Fake News viel häufiger als wahr als der Durchschnitt – und genau im Gegensatz dazu beurteilen die Wähler der Grünen den jeweiligen Wahrheitsgehalt. Bei der Fake News, ob das CDU-Wahlplakat „Für ein Land, in dem wir gut gerne leben“ von der SED kopiert sei, ist der Unterschied hingegen weniger prägnant. Allen anderen soziodemographischen Faktoren, wie Geschlecht, Alter, Haushaltseinkommen und selbst Bildung haben dabei im Vergleich zur Parteipräferenz geringeren Einfluss.
 
Als Kontrollfrage diente das „Arbeitslosengeld Q“ der SPD – das halten nur 28 % der Befragten für wahr – 52 % für eine Fake News (der Rest weiß es nicht). Dies ist dann wohl eher ein trauriges Beispiel für die geringe Durchschlagskraft der Wahlkampfthemen der Sozialdemokratie.

Nun, was sagt uns das alles über den Einfluss von Fake News? Sie wirken vor allem dort, wo sie geglaubt werden sollen und wo sie dazu beitragen, die verzerrte Realität zu zeichnen, die politisch gewollt ist. In dieser „Ersatzrealität“ sind es die Flüchtlinge, die – so den Fake News nach – „ungebildet, massenhaft hier einwandern, Straftaten begehen und vom Staat auch noch alimentiert werden“. In dieser Logik argumentiert vor allem die AfD und erreicht in den Echokammern auf Social Media und den rechtspopulistischen Blogs und Nachrichtenseiten mit diesem „Narrativ der Wirklichkeit“ ihre Wähler – „toxische Narrative“ nennt das die Amadeu-Antonio-Stiftung, die zu ähnlichen Schlüssen in ihrem aktuellen Monitoringpapier kommt. Dies wird bei all denen problematisch, die sich dieser Logik hingeben, der Realität nicht mehr stellen und somit ihre eigene Echokammer nicht mehr verlassen.

 

Nicht die einzelne Fake-News entscheidet den Wahlkampf


Die Bedeutung einer einzelnen Nachricht wird somit nicht entscheiden, wo der Wähler sein Kreuz auf dem Wahlzettel trifft. Eher höhlt steter Tropfen den Stein. Entscheidender ist ohnehin das gesamte Agenda Setting (= Themensetzung) der verschiedenen Medien-Kanäle. Hierunter ist die Timeline der AfD bei Facebook genauso zu fassen, wie die Nachrichten der ARD oder Zeit Online. Welche Themen rücken in welcher Art der Darstellung dauerhaft in den Fokus und bestimmen in welcher Art und Weise die Agenda des Publikums? Was wird also im „Grundrauschen der Informationen“ vermittelt? Und haben diejenigen, die sich in den Kommunikationsräumen der AfD oder der Epoch Times bewegen, nicht das Gefühl, dass es außer der Flüchtlingskrise und der vermeintlich dramatischen Lage der inneren Sicherheit keine anderen Themen mehr gibt – auch weil die politischen Akteure, denen dieses Narrativ passt, es ständig füttern – mit einer Mischung aus Fakten und Fakes?

Hier ist, ganze ohne Medienbashing, auch die Rolle der Medien zu diskutieren. Denn der Eindruck, dass die Kommunikationsstrategie der AfD aufgeht, dauerhaft durch Empörung, Themenverengung und Skandale die Medienlogik zu bedienen, erhärtet sich nach dem Wahlkampf. Das TV-Duell zwischen Merkel und Schulz, als letztlich „das“ mediale Wahlkampfereignis, ist hier als ein solcher journalistischer Tiefpunkt im gesamten Wahlkampf gedanklich wohl Vielen noch präsent. Das problematische „Agenda Setting“ in der Befragung, in dem bestimmte im Wahlkampf wichtige Themen nicht angesprochen wurde, dokumentierte Spiegel Online recht eindrücklich.  Zumal „Migration“ (15 %) und „Soziale Gerechtigkeit“ (13 %) als wichtigste Wahlkampfthemen für die Wähler, auch das zeigen unsere Daten, recht nah beieinander liegen.

„Fake News“ sind dabei nur ein Kommunikationsmittel, um diese verzerrten Realitäten aufrecht zu erhalten. Auch hier passt das Beispiel TV-Duell. Der abgesandte Journalist des Privatsenders Sat.1 Claus Strunz platzierte eine „Fake News“, als er Martin Schulz mit einem dekontextualisierten Zitat konfrontierte: Ob Schulz bei seiner Aussage bleiben würde, dass Flüchtlinge besser als Gold seien – eine Verkürzung dieses Zitat geisterte schon vorher durch die rechtspopulistischen Social-Media-Kanäle. Martin Schulz konterte, Strunz müsse das Zitat schon vollständig wiedergeben: „Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold“, hatte der SPD-Kanzlerkandidat im Original gesagt. „Es ist der unbeirrbare Glaube an den Traum von Europa. Ein Traum, der uns irgendwann verloren gegangen ist.“ Ein Paradestück – wie Fake News funktionieren – und wie man sich dem erfolgreich zur Wehr setzt.

Dieser erste Ausschnitt der empirisch dargestellten verzerrten Realitäten lässt vermuten, unter welchen Bedingungen „Fake News“ bei wem erfolgreich sein können und wie sie ihren Nährboden in einer unheiligen Allianz aus geringem Vertrauen in die klassischen Medien und den daher genutzten alternativen Medienkanälen mit problematischem Agenda Setting finden. Auch, weil die meisten Fake News, im Gegensatz zum TV-Duell, auf den jeweiligen Seiten ihrer Verbreiter in der Regel unwiderlegt stehen bleiben.
 

Welche Erkenntnisse lassen sich nun aus diesen Daten mitnehmen?

„Fake News“ sind ein Teil einer Kommunikationsstrategie. So wie es sich in Deutschland darstellt, sind es vor allem Rechtspopulisten und Rechtsextreme, die sie nutzen, um ein verzerrtes Weltbild im Sinne eines verengten Agenda-Settings von Themen voranzutreiben. Wie die AfD-Zahlen zeigen, werden sie dort geglaubt, wo sie ins Weltbild passen.
Es gibt Tendenzen anzunehmen, dass es abgekoppelte Gruppen von Wählern gibt, deren Vertrauen in klassische Medienangebote so gering ist, dass sie sich in „alternativen Medienrealitäten“, ob über Social Media, Foren, Blogs oder Nachrichtenseiten wie Epoch Times und RT Deutsch in ihren eigenen Echokammern bewegen.


Den Einschätzungen der befragten Wähler nach ist, trotz letztlich überschaubarer Mengen an „Fake News“ in der Öffentlichkeit, das Problem ein großes. Die viele Berichterstattung über das Phänomen in den USA und die mehrdeutige Verwendung des Begriffs mögen eine Ursache dafür sein.

Ob „wegregulieren“ hilft, um die Echokammern und das Agenda Setting zu verändern, ist fraglich. Viele Fragen, auch wie Nutzer in sozialen Netzwerken auf das Debunking reagieren und ob es sie es denn überhaupt erreicht, bleiben offen.  Für unser „postfaktisches“ Zeitalter, in denen die Umwälzungen des Mediensystems eine zentrale Herausforderung sind, stellen sich vor allem diese sehr grundsätzlichen Fragen: Wie kommen die Fakten zurück in die Kommunikationsräume, die faktenbefreit sind – und wie schaffen wir es, dass dort einem faktenbasierten Diskurs überhaupt eine echte Chance gegeben wird?


Die Umfrage wurde direkt nach der Bundestagswahl 2017 vom 26.-28.09. von Kantar Public durchgeführt. Die Recallfrage zur Bundestagswahl bezog sich direkt auf das Wahlverhalten am 24. September.

23. Oktober 2017
Autor:in: 

Alexander Sängerlaub, Projektleiter "Measuring Fake News"