Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen

Stellungnahme

Mit dem Entwurf zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen (Drucksache 19/5412) soll auf den „signifikanten Reformbedarf”[1] im Bereich des Hessischen Landesverfassungsschutzes reagiert und Erkenntnisse aus diversen parlamentarischen Untersuchungen[2] umgesetzt werden. Jetzt steht der Innenausschuss des Hessischen Landtags in der Pflicht, die grundlegende Reform des Landesverfassungsschutzes und seiner Kontrolle zu beraten.

Wir bedanken uns für die Möglichkeit, eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten im Rahmen dieser Stellungnahme aufzuzeigen. Wir konzentrieren uns auf die Ausgestaltung der Instrumente und Mechanismen für eine effektive und demokratische Kontrolle über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten der Hessischen Landesregierung. Eine erschöpfende Stellungnahme zu anderen wichtigen Aspekten dieses Gesetzentwurfs kann und soll hier nicht geleistet werden.

Die Fokussierung auf Problemzonen der Kontrolle bedeutet gleichwohl nicht, dass jegliche nachrichtendienstliche Befugnis durch bessere Kontrolle zu legitimieren ist. Präzise gesetzliche Grundlagen, Transparenz und Kontrolle sind vielmehr unverzichtbare Grundvoraussetzung für einen demokratischen und effektiven Verfassungsschutz.

In der jetzigen Form fehlen dem Gesetzentwurf aber wichtige rechtsstaatliche Absicherungen um die Verhältnismäßigkeit und Legitimität von geheimen Überwachungsbefugnissen zu wahren. Der Entwurf versäumt es aus unserer Sicht leider, für ausreichende Transparenz zu sorgen und die parlamentarische und juristische Kontrolle entscheidend zu stärken. So stehen beispielsweise die unvollständigen Unterrichtungspflichten des Landesregierung, die unzureichende Berücksichtigung der Oppositionsrechte und die lückenhaften Berichtspflichten der Kontrollkommission einer effektiven parlamentarischen Kontrolle entgegen. Das nicht mehr zeitgemäße System der G10-Kontrolle und ihre technischen Defizite der Kontrolle bleiben ebenfalls unangetastet.

Parlamentarische Kontrolle

Gerade weil die Arbeit des Landesamts für Verfassungsschutz (anders als anderes Regierungshandeln) vornehmlich im Geheimen stattfindet und in Grundrechte eingreift, ist die Kontrolle des Verfassungsschutzes eine der bedeutendsten Aufgaben des Hessischen Landtags. Es ist daher zu kritisieren, dass der Gesetzentwurf viele Defizite der parlamentarischen Kontrolle ungelöst lässt.

Lücken in den Unterrichtungspflichten der Landesregierung schließen

Der Gesetzentwurf überlässt es der Landesregierung, „Zeit, Art und Umfang der Unterrichtung”  (§ 3 Abs. 2)[3] der Kontrollkommission zu bestimmen. Das erschwert eine wirksame Kontrolle ungemein. Nicht die Landesregierung, sondern die Kontrollkommission sollte die Rahmenbedingungen für die Prüfung relevanter nachrichtendienstlicher Vorgänge selbstständig festlegen. Zumindest sollte der Landtag den Zeitpunkt, den Gegenstand und die Form der Kontrolle selbstständig bestimmen können.

Auf Bundesebene wird die Unterrichtungspflicht über „besondere Vorgänge” präziser definiert als im hessischen Entwurf: Die Bringschuld der Bundesregierung gilt dort auch für „wesentliche Änderungen im Lagebild, behördeninterne Auswirkungen mit erheblicher Auswirkung auf die Aufgabenerfüllung sowie Einzelvorkommnisse, die Gegenstand politischer Diskussionen oder öffentlicher Berichterstattung sind” (§ 4 Abs. 1 Satz 2 PKGrG). Auch der Brandenburgische Landtag hat seine Kontrollkommission diesbezüglich selbstbewusster aufgestellt: Dort wird gesetzlich festgelegt, dass die Kontrollkommission „alle für ihre Kontrollaufgaben erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Akten- und Dateneinsicht, Stellungnahmen und den Zutritt zur Verfassungsschutzbehörde verlangen sowie bei besonderem Aufklärungsbedarf mit Zustimmung des Innenministers Bedienstete zum Sachverhalt befragen” kann (§ 25 Abs. 1 BbgVerfSchG). Der hessische Gesetzentwurf sollte ebenfalls um einen klaren Anspruch der Kontrollkommission auf Befragung Bediensteter ergänzt werden. Außerdem sollten der Kontrollkommission Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, wenn die Unterrichtung lückenhaft oder deutlich verzögert erfolgt.

Der Gesetzentwurf überlässt dem zuständigen Ministerium die Gestaltung wesentlicher Befugnisse durch Dienstvorschriften (§ 4 Abs. 1 des Artikels 1 des Gesetzentwurfs). Nachrichtendienstliche Überwachung greift besonders stark in die Grundrechte ein und muss daher unmittelbar vom Gesetzgeber und nicht durch opake Verwaltungsrichtlinien festgelegt werden. Die Landesregierung sollte die Kontrollkommission grundsätzlich über den beabsichtigten Erlass oder die beabsichtigte Änderung einer Dienstvorschrift, den Einsatz aller nachrichtendienstlicher Mittel und Auskunftsersuche informieren. Genauere gesetzliche Bedingungen für den Erlass von Dienstvorschriften sind daher dringend geboten: Grundsätzlich sollten den Landesverfassungsschutz betreffende Dienstvorschriften der Kontrollkommission zur Prüfung und Zustimmung vorgelegt werden, wie es etwa in § 5 Abs. 3 Satz 3 (des Artikel 1 des Gesetzentwurfs) bereits für einen Einzelfall vorgesehen ist.

Der Entwurf lässt offen, warum bei der Berichtspflicht nur einige Befugnisse des Landesamts explizit genannt werden, anstatt alle nachrichtendienstlichen Mittel, wie sie in § 5 Abs. 2 aufgelistet werden, in die Unterrichtung mit einzuschließen. Es ist prinzipiell zu begrüßen, dass § 3 Abs. 3 Nr. 2 die Landesregierung erstmals zu einem jährlichen Bericht über die Wohnraumüberwachung, Online-Durchsuchung, die Verwendung von IMSI-Catchern und den Einsatz von verdeckten Mitarbeiter*innen und V-Leuten verpflichtet. Doch auch alle anderen nachrichtendienstlichen Befugnisse, wie Observationen oder verdeckte Ermittlungen, sind für die Kontrolle relevant. Auch wirtschaftliche Kennzahlen zu Kosten und Effektivität der Maßnahmen sowie die konkrete Auslegung gesetzlicher Befugnisse im Hinblick auf neue Überwachungstechnik sollte in die Unterrichtungspflicht aufgenommen werden. Der Kontrollkommission muss es möglich sein, sich ein vollständiges und aktuelles Bild über alle geheimen Überwachungsmaßnahmen zu verschaffen. Dies ist auch im Lichte des vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Ansatzes der Überwachungsgesamtrechnung[4] geboten. Demnach braucht es einen gesamtheitlichen Überblick über alle schon laufenden und geplanten Überwachungsmaßnahmen um eine fundierte Bewertung aller Grundrechtseingriffe vornehmen zu können (siehe dazu Abschnitt 2.5 zur vernetzten Kontrolle). Die Landesregierung sollte dafür nicht nur jährlich, sondern mindestens alle sechs Monate umfassend berichten, wie sie es auch nach § 3 Abs. 4 gegenüber dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundes im Hinblick auf „Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten” der dort genannten Maßnahmen tun muss.

Kontrollinstrumente wirksamer ausgestalten

Mitglieder der Kontrollkommission sollten jederzeit und uneingeschränkt Zugang zu allen Dienststellen des Landesverfassungsschutzes haben. So ist es auch auf Bundesebene geregelt (§ 5 Abs. 1 PKGrG). Zutritt zu den Dienststellen des Landesamts für Verfassungsschutz wird den Mitgliedern bisher nur im Rahmen der Akteneinsicht gewährt (§ 4 Abs. 2 Satz 3). Diese Einschränkung ist unbegründet und schwächt die Kontrollmöglichkeiten der Kommission. Außerdem fehlen im Gesetzentwurf Vorgaben zu regelmäßigen Kontrollbesuchen vor Ort.

Die Wirksamkeit der parlamentarischen Kontrolle setzt sowohl eine eigenständige, proaktive Informationsbeschaffung durch die Mitglieder der Kommission als auch eindeutige und umfassende Zugangsrechte zu Informationen voraus. Um die Akteneinsicht (§ 4 Abs. 2) zu einem wirksamen Kontrollinstrument zu machen, braucht es klarere Regeln. Die Einsicht in Schriftstücke und Daten muss im Entwurf konkreter ausgestaltet werden. Datensätze und Schriftverkehr sollten in digitaler Form geführt und bereitgestellt werden um eine effiziente Untersuchung zu ermöglichen.

Die Bedingungen für die Ausgestaltung der Geschäftsordnung der Kontrollkommission (§ 1 Abs. 6) werden im Entwurf nicht ausreichend bestimmt. Sie sollten veröffentlicht werden, denn eine strukturierte Kontrolle braucht transparente Vorgaben und Regeln um Vertrauen zu schaffen. In der Geschäftsordnung sollten Jahresziele und Arbeitsschwerpunkte festgelegt werden. Neben der anlassbezogenen Kontrolle (nach Presseberichten etc.) bleibt die strukturelle Kontrolle (unabhängig von konkreten Vorkommnissen) ansonsten unausgeschöpft.

Die aufwendige und inhaltlich anspruchsvolle Kontrolltätigkeit sollte nicht allein auf den Schultern der gewählten Mitglieder beruhen. Ohne tatkräftige fachliche Unterstützung bleibt der Einfluss der parlamentarischen Kontrolle beschränkt. Daher sollte den Mitgliedern der Kontrollkommission einen Anspruch auf eine zusätzliche Mitarbeiterstelle für die Arbeit der Kontrolle eingeräumt werden. Außerdem sollte es einzelnen Mitgliedern gestattet sein, wichtige Informationen vertraulich mit ihrer Fraktionsspitze zu besprechen.[5] In Thüringen ist zum Beispiel klar geregelt, dass die Mitglieder der Kontrollkommission „unter Beachtung der Geheimhaltung den Vorsitzenden ihrer Fraktion, [...] über die wesentlichen Inhalte der Beratungen unterrichten” dürfen (§ 24 Abs. 2 Satz 2 ThürVerfSchG).

Bei den Haushaltsberatungen wird der Kontrollkommission nur ein Mitberatungsrecht gegeben (§ 4 Abs. 5). Ohne konkrete Sanktionsmöglichkeiten kann die Kontrollkommission kaum Druck gegenüber der Landesregierung aufbauen. Um die Position der Kontrollkommission zu stärken, empfiehlt es sich, ihr ein stärker ausgekleidetes Genehmigungsrecht bei der Bewilligung von zusätzlichen Haushaltsmitteln einzuräumen. Die Kontrollkommission könnte dann die Vergabe von Geldern an die Einhaltung von Rechten und Pflichten des Landesverfassungsschutzes knüpfen, was ihrer Kontrolltätigkeit zusätzliche Relevanz verleihen würde.

Der Gesetzentwurf verpasst es, einen für die Kontrolle wichtigen Whistleblowerschutz für Bedienstete des Landesverfassungsschutzes einzuführen. Das PKGr-Gesetz des Bundes erlaubt es „Angehörigen der Nachrichtendienste [...] sich in dienstlichen Angelegenheiten sowie bei innerdienstlichen Missständen [...] ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an das Parlamentarische Kontrollgremium zu wenden” (§ 8 Abs. 1 PKGrG). Diese Erlaubnis zur Eingabe sollte auch gegenüber der Kontrollkommission des Hessischen Landtags gelten.

Die Oppositionsrechte sind im Entwurf zu stärken

Der Gesetzentwurf sichert den Oppositionsfraktionen keine ausreichenden Rechte zu. Parlamentarische Regierungssysteme sind strukturell immer durch die enge Verzahnung der legislativen Regierungsmehrheit mit der exekutiven Landesregierung gekennzeichnet. Ein Großteil der Kontrollarbeit im Parlament wird in der Praxis typischerweise durch die Oppositionsfraktionen geleistet. In der Kontrollpraxis zeigt sich, dass die Qualität und Wirksamkeit der Kontrolle wesentlich von den Mitbestimmungsmöglichkeiten der parlamentarischen Minderheit beziehungsweise dem Einsatz einzelner Mitglieder der Kontrollkommission bestimmt wird. Die Oppositionsrechte sind im vorliegenden Gesetzentwurf aber zu schwach ausgeprägt. Das zeigt sich insbesondere an folgenden Beispielen:

Um die Mitbestimmung der Opposition zu gewährleisten – und die besondere Bedeutung der Kontrolltätigkeit herauszustellen – muss eine höhere Schwelle (z.B. eine zwei Drittel Mehrheit) für die Wahl der Kommissionsmitglieder angesetzt werden.[6] Die Mitglieder werden nach § 1 Abs. 4 des Artikel 2 des Gesetzentwurfs nur mit einfacher Mehrheit gewählt. Allen Fraktionen sollte zudem mindestens ein Sitz in der Kontrollkommission gesetzlich zugesichert werden.

Der Gesetzentwurf verhindert die effektive Mitsprache der Opposition bei der Dokumentation der Kontrolle. § 2 Abs. 2 regelt lediglich, dass ein Protokoll durch die Kanzlei des Landtags auf Grundlage einer Aufzeichnung der Sitzungen erstellt wird. Darüber hinaus ist es den Mitgliedern der Kontrollkommission „gestattet, sich für die Beratungen während der Sitzungen handschriftliche Notizen anzufertigen” (§ 2 Abs. 3 Satz 1). Vollständige und detaillierte Protokolle der Sitzungen der Kontrollkommission sind das Gedächtnis der Fraktionen und zentral für die Dokumentation der Kontrollarbeit. Deswegen sollten auch hier die Oppositionsrechte besser verankert werden. Eine Abstimmung über die Vollständigkeit des Protokolls und das Recht durch ein Minderheitsvotum abweichende Meinungen im Protokoll zu dokumentieren, gehören dazu und sollten in § 2 über die Arbeitsweise der Kontrollkommission aufgenommen werden.

Öffentliche Sitzungen und erweiterte Berichtspflichten

Die Kontrollkommission des Hessischen Landtags soll laut Gesetzentwurf ausschließlich geheim tagen (§ 2 Abs. 1). Doch parlamentarische Arbeit lebt von Öffentlichkeit. Deshalb sollte auch für die Kontrollkommission die Möglichkeit bestehen, öffentliche oder teilweise öffentliche Sitzungen zu beantragen und durchzuführen.[7] Das brandenburgische Landesverfassungsschutzgesetz ermöglicht etwa, dass die Kontrollkommission „auf Antrag eines Mitgliedes” beschließen kann, Öffentlichkeit herzustellen, sofern berechtigte Interessen dem nicht entgegenstehen (§ 26 Abs. 2 BbgVerfSchG). Auch in Hessen sollte eine solche Möglichkeit zur Beantragung öffentlicher Sitzung eingeführt werden.

Zudem ist der Umfang der Pflicht zur Berichterstattung im Gesetzentwurf unzureichend bestimmt. Eine öffentliche Berichterstattung ist Voraussetzung für Vertrauensbildung und ermöglicht erst demokratische Debatten. Diese Berichtspflichten der Kontrollkommission sind zu unkonkret und werden der „gesellschaftliche Öffnung des Verfassungsschutzes”[8] nicht gerecht. Das PKGrG des Bundes spezifiziert die Berichtspflicht genauer: Der Bericht muss dort klarstellen „ob die Bundesregierung gegenüber dem Gremium ihren Pflichten, insbesondere ihrer Unterrichtungspflicht zu Vorgängen von besonderer Bedeutung, nachgekommen ist” (§ 13 PKGrG). Es bedarf klarer Anforderungen für den Inhalt der Berichterstattung, etwa bezüglich Statistiken über den Einsatz und die Entwicklung nachrichtendienstliche Maßnahmen, den Einsatz von Ressourcen und ein Protokoll des Abstimmungsverhaltens der Fraktionen in den Sitzungen der Kontrollkommission. Ein Minderheitsvotum, dass die Mitsprache und Sichtbarkeit der Opposition in den Berichten schützt, sollte ebenfalls gesetzlich verankert werden.

Der vernetzen Sicherheit eine vernetzte Kontrolle entgegenstellen

Es erstaunt, dass der Gesetzentwurf es gänzlich versäumt, Regelungen zur Zusammenarbeit mit anderen Kontrollgremien zu treffen. Verfassungsfeindliche Bestrebungen machen nicht an den Grenzen des Landes Hessens halt. Daher ist die Kooperation mit anderen Landes- und Bundesbehörden und auch internationalen Partnerdiensten wichtig. Vor diesem Hintergrund ist es aber genauso bedeutend, dass auch die Kontrollgremien sowohl auf Landes-, Bundes- und internationaler Ebene besser zusammenarbeiten um eine lückenlose und wirksame Überprüfung der länderübergreifenden Nachrichtendienstkooperation leisten zu können.[9] Ein modernes Verfassungsschutzkontrollgesetz sollte der Kontrollkommission im Rahmen ihrer Zuständigkeit eine explizite Befugnis zum Austausch mit anderen Kontrollgremien geben. Nur so kann einer vernetzter Überwachung auch eine vernetzte Kontrolle entgegengestellt und Kontrolllücken geschlossen werden.

Dabei sollte die Kooperation zwischen den verschiedenen hessischen Kontrollinstitutionen, der hessischen G10-Kommission, dem Landesdatenschutzbeauftragten und der Kontrollkommission des Landtags ebenfalls gestärkt werden. In ihrem Tätigkeitsbericht 2015-2016 hält die Bundesdatenschutzbeauftragte den Bedarf nach koordinierter Kontrolle der Nachrichtendienste ausdrücklich fest: „Den im Rahmen der Kontrolle beim BfV erstmalig verfolgten gemeinsamen Kontrollansatz mit der G-10-Kommission des Deutschen Bundestages betrachte ich als zukunftsweisendes Modell, das es zur Vermeidung kontrollfreier Räume auch künftig zu verfolgen gilt”.[10] Dieser gemeinsame Kontrollansatz sollte nun auch auf Landesebene verankert werden. Da der Gesetzentwurf kein gemeinsames Prüfrecht und keine Regelungen zum Informationsaustausch zwischen Kontrollinstitutionen enthält, fehlt der Kontrolle ein gesamtheitlicher Überblick.

Juristische Kontrolle

Der Gesetzentwurf räumt dem Verfassungsschutz zusätzliche Befugnisse bei der Telekommunikationsüberwachung ein, vermeidet aber gleichzeitig eine Stärkung der juristischen Kontrolle.

Um das geheime Handeln des Verfassungsschutzes zu legitimieren, braucht es aber eine effiziente  Zulässigkeits- und Notwendigkeitsprüfung von Überwachungsmaßnahmen. Der juristischen Kontrolle kommt im Gefüge der verschiedenen Kontrollinstanzen eine besonders wichtige Rolle zu. Die G10-Kommission ist die einzige Kontrollinstanz, die Abhörmaßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz prüft und Maßnahmen vor dem Vollzug stoppen kann (§ 4 AG G 10, HE). Anders als bei der parlamentarischen Kontrolle, braucht die Landesregierung zur Durchführung von Maßnahmen die Vorabgenehmigung der juristischen Kontrolle.

Unzureichender Grundrechtsschutz durch G10-Kommission

Die G10-Kommission in Hessen ist in vielen Teilen analog zur G10-Kommission des Bundes gestaltet. Daher gehen wir davon aus, dass für die hessische G10-Kommission die gleichen strukturellen Defizite bestehen wie für die G10-Kommission des Bundestags. Dort ist die G10-Kommission derzeit nicht in der Lage, ihre zentrale Funktion bei der demokratischen Kontrolle der Abhöraktivitäten effektiv wahrzunehmen. Es fehlen ihr die Ressourcen und die Kompetenzen (die ihr nach § 15 Abs. 3 Artikel 10-Gesetz zustünden), um den Umgang des Verfassungsschutzes mit den erfassten Kommunikationsdaten ausreichend zu überprüfen. Auch die hessische G10-Kommission braucht bedeutend mehr technische, fachliche und personelle Kapazitäten um eine Vorprüfung der Anordnungen im Sinne des gesetzlichen Auftrags (§ 2 Abs. 2 AG G 10, HE) vornehmen zu können.

Die sogenannte Quellen-TKÜ (§ 6 Abs. 2 des Artikel 1 des Gesetzentwurfs) ist ausschließlich auf laufende Kommunikation beschränkt. Dies soll „durch technische Maßnahmen sichergestellt” sein (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 des Artikel 1 des Gesetzentwurfs). Außerdem gilt die Bedingung, dass „der Eingriff in das informationstechnische System notwendig ist um die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation insbesondere auch in unverschlüsselter Form zu ermöglichen” (§ 6 Abs. 2 Nr. 2 des Artikel 1 des Gesetzentwurfs). Wie die G10-Kommission diese Bedingungen praktisch prüfen kann und soll, bleibt gänzlich unklar. Technisch greift die Maßnahme zwangsläufig in die Integrität des Zielsystems ein, indem eine Software auf dem Zielsystem installiert wird. Somit steht die Quellen-TKÜ im deutlichen Gegensatz zum Abhören von Gesprächen auf dem Leitungsweg, weil eine Spionagesoftware direkt auf den Computern der Zielpersonen installiert wird. Welche Nebeneffekte dadurch entstehen ist auf Grundlage des Entwurfs nicht vorhersehbar.

Daraus ergibt sich eine eklatante Kontrolllücke. Die G10-Kommission wurde für die Prüfung und Autorisierung von Abhörmaßnahmen auf dem Leitungsweg geschaffen. Sie kann die vorgesehene Beschränkung auf laufende Kommunikation technisch und praktisch nicht effektiv kontrollieren. Das veraltete und dringend überarbeitungsbedürftige Artikel-10-Gesetz des Bundes war bisher nicht Gegenstand der Reform und stellt keinen ausreichenden Standard für eine wirksame Kontrolle dar.[11] Es ist damit nicht sichergestellt, dass die G10-Kommission die nötigen Mittel und Ressourcen hat um die vorgesehene Überwachungsbefugnis gründlich zu prüfen.

G10 Beschränkungsmaßnahmen können sich auch auf Computer-zu-Computer-Kommunikation beziehen. Dies wird zwar im Gesetzentwurf nicht explizit geregelt, geht aber aus der Begründung (S. 31) hervor. Dort heißt es, nach § 6 können auch „sog. Command&Control-Server [...] mit einer G-10-Beschränkungsmaßnahme”[12] belegt werden. Auch hier stellt sich die Frage, ob die hessische G10-Kommission die Möglichkeiten hat, solche Maßnahmen sachgerecht zu prüfen. Gerade weil Hessen ein bedeutender Serverstandort und Internetknotenpunkt ist (DE-CIX in Frankfurt), ist die effektive Kontrolle dieser Form der Internetüberwachung wichtig.

Technische Defizite der Kontrolle beseitigen

Die gleiche Problemlage gilt auch für richterliche Anordnungen, die unter anderem für die verdeckte Wohnraumüberwachung (§ 7), den Staatstrojaner (§ 8) und die Ortung von Handys (§ 10) vorgesehen sind. Das vorgesehene Genehmigungsverfahren nach § 9 des Artikel 1 des Gesetzentwurfs kann in der Praxis keine effektive Kontrolle leisten. Die sogenannten „technischen Sicherungspflichten” des Gesetzentwurfs sind bei weitem nicht ausreichend um den Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung[13] und von Berufsgeheimnisträger*innen zu garantieren. Aus § 8 Abs. 2 des Artikel 1 des Gesetzentwurfs wird in keiner Weise klar, welche konkreten Sicherungspflichten gemeint sind und wie sie umgesetzt werden sollen.

Beispielsweise ist die Regelung, dass „nur Veränderungen vorgenommen werden, die für die Datenerhebung unerlässlich sind und die vorgenommenen Veränderungen bei Beendigung der Maßnahme soweit technisch möglich automatisiert rückgängig gemacht werden” (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2) zu unspezifisch. Wie kann die juristische Kontrolle überprüfen ob ausschließlich unerlässliche Veränderungen erfolgen auch wieder rückgängig gemacht werden? Diese Überprüfung und Genehmigung des Einsatzes komplexer und höchst grundrechtssensibler Überwachungstechnik kann nicht allein auf den oder die zuständigen Richter*in am Amtsgericht fallen. Um das Grundrecht auf Schutz der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme (Art. 1 Abs.1, Art. 2 Abs. 1 GG) zu wahren, sollte der Gesetzentwurf konkrete und überprüfbare Sicherungspflichten formulieren und eine unabhängige technische Kontrolle ermöglichen. Ansonsten ist keine ausreichende Nachvollziehbarkeit für die Kontrolle gewährleistet.

Wenn nur die Dienste, nicht aber die Kontrolle technisch voranschreitet, werden demokratische Sicherungsmechanismen sukzessive ausgehöhlt. Die Kontrolle muss daher institutionell so ausgestaltet werden, dass sie mit den technologischen Entwicklung Schritt halten kann.

Teilhabe und Auskunftsrechte stärken

Im Vergleich zu anderen Verfassungsschutzgesetzen, greifen die im Gesetzentwurf verankerten Transparenzregelungen und Auskunftsrechte zu kurz. In der Präambel des Gesetzentwurfs heißt es, der Verfassungsschutz „tauscht sich mit Wissenschaft und Gesellschaft aus. Hierzu gehört auch der öffentliche Diskurs”. Danach findet sich aber keine Norm im Gesetzentwurf, die diesen wichtigen Grundsatz verbindlich in die Tat umsetzt. Zentrale Anspruchsgruppen wie die Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Telekommunikationsdienstleister, Medien und Datenschutzbeauftragte (um nur einige zu nennen) haben ein berechtigtes Interesse an der Nachrichtendienstpolitik und ihrer Kontrolle. Die stärkere Öffnung und institutionalisierter Austausch sind elementar für gutes Regierungshandeln, gerade im sensiblen Bereich der Nachrichtendienste.

Die Auskunftsrechte über gespeicherte Daten für Bürger*innen sind im Vergleich zu anderen Bundesländern unnötig und ungerechtfertigt eingeschränkt. Auskunft über gespeicherte Daten wird durch den Gesetzentwurf nur gestattet, „soweit die betroffene Person hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt“ (§ 27 Abs. 1 des Artikel 1 des Gesetzentwurfs). Es bleibt unklar, warum ein Auskunftsinteresse mit einem konkreten Hinweis begründet werden muss. Das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz verpflichtet die Landesverfassungsschutzbehörde „Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherter Daten, den Zweck und die Rechtsgrundlage der Speicherung sowie die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen“ (§ 30 Abs. 1 NVerfSchG) zu erteilen. Ein klarer gesetzlicher Auskunftsanspruch ist ein integraler Bestandteil für einen transparenten Verfassungsschutz und für individuellen Rechtsschutz. Gerade die Auskunft über die Herkunft und die Empfänger der Daten sind dafür wichtig. Im Sinne einer angestrebten Öffnung des Verfassungsschutzes sollte der Gesetzentwurf bei Auskunftsrechten nicht hinter vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern zurückfallen.

 


[1] Siehe Gesetzentwurfsbegründung, Drucksache 19/5412, S. 29, Abs. 1

[2] Vgl. unter anderem: 2. Bundestags-Untersuchungsausschuss BT-Drucksache 18/12950; Bericht der Expertenkommission für die Umsetzung der Empfehlungen des Zweiten BT-Untersuchungsausschusses der 17. WP; Untersuchungsausschuss 19/2 (UNA19/2) des Hessischen Landtags

[3] Angaben von Paragraphen beziehen sich wenn nicht anders angegeben auf Artikel 2 des Gesetzentwurfs.

[4] GPS-Urteil (BVerfG, vom 12. April 2005 - 2 BvR 581/01)

[5] Siehe Expertenkommission der Hessischen Landesregierung, Empfehlung 41.05, S. 202

[6] Auch die Expertenkommission der Hessischen Landesregierung empfahl eine angemessene Vertretung der Oppositionsfraktionen besser gesetzlich zu verankern, siehe Empfehlung 41.02, S. 199ff

[7] Siehe dazu auch Expertenkommission der Hessischen Landesregierung, Empfehlung 41.06, S. 203

[8] Siehe Drucksache 19/5412, S. 29, Abs. 1

[9] Auch die Expertenkommission der Landesregierung empfiehlt der Kontrollkommission mit anderen Kontrollgremien in Verbindung zu treten und zusammenzuarbeiten: Empfehlung 43.01, S. 207

[10] Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, 26. Tätigkeitsbericht 2015-2016, S. 134

[11] Siehe „Das Herzstück der deutschen Geheimdienstreform: Vorschläge für eine starke G 10-Kommission”, Policy Brief, 09/2015 https://www.stiftung-nv.de/de/publikation/das-herzst%C3%BCck-der-deutschen-geheimdienstreform-vorschl%C3%A4ge-f%C3%BCr-eine-starke-g-10

[12] Siehe Gesetzentwurfsbegründung, Drucksache 19/5412, S. 31

[13] Vgl. hierzu BVerfG, vom 20. April 2016, 1 BvR 966/09 u.a., Rn. 236 ff.

Erschienen bei: 
Stiftung Neue Verantwortung
05. Februar 2018
Autor:in: 

Kilian Vieth
Dr. Thorsten Wetzling